Archiv für März 2009

SPIEGEL-Feuilleton: Den ganzen Tag Milchschaum aus der Tasse kratzen

Samstag, 28. März 2009

SPIEGEL-Feuilleton!

Gemütlich bei Dir, nicht? Den ganzen Tag Verlagsprospekte blättern, den Milchschaum aus der Tasse kratzen und nonchchalant Top-Essays wie den der Neuberliner Suhrkamp-Chefhenne Berkéwicz abnicken [siehe Ausriss]. „Woher du kommst, oder ob du schon lange hier warst, interessiert Berlin nicht… Was Brecht mit ein paar Laptops in seiner Gruppe gemacht hätte, kann man nur erahnen… Wer nur an seinem Ort bleiben will, wird den Halt verlieren. Die Orte sind nicht mehr vorgegeben. Sie müssen erarbeitet werden. Das Zuhause, das wir uns schaffen, wird provisorisch, diasporisch sein“ – bis auf, SPIEGEL-Feuilleton, die Altbauwohnungen, die Deine Redakteure mit dem Durchwinken solch übergeschnappt-inferioren[1] Geblökes zusammenverdienen.

Durchaus diasporische Grüße: Titanic

(aus: Titanic 4/2008, Briefe an die Leser, S. 11)

Interessant auch der Beitrag dazu im Tagesspiegel am 21. März „Bewegung ist der neue Halt. Frankfurt ist Geschichte, Berlin wird hart erarbeitet: Wie der Suhrkamp Verlag seinen Umzug vorbereitet – und meint, dazu auch noch Visionen verbreiten zu müssent“. Darin heißt es:

„Die Mail, die der Suhrkamp Verlag Anfang der Woche an Berliner Medien schickte, hatte etwas unfreiwillig Komisches: ‚Sehnsucht Berlin‘ stand da in der Betreffzeile, als wolle der Verlag seiner Ungeduld ebenso Ausdruck verleihen wie seiner Freude darüber, nun endlich, zu Beginn des nächsten Jahres, von Frankfurt nach Berlin umziehen zu können. Der Inhalt der Mail verwies dann zwar doch nur auf eine Veranstaltung an diesem Sonntag im Babylon-Kino, bei der der slowenische Autor Aleš Šteger aus seinem Berlin-Buch ‚Preußenpark‘ lesen und im Anschluss ein Film mit dem Titel ‚Sehnsucht Berlin‘ gezeigt wird. Doch passt die Mail natürlich wunderbar in eine Woche, in der Suhrkamp-Verlegerin Ulla Berkéwicz in einem Essay für den SPIEGEL der Frage ‚Wohin zieht Berlin?‘ nachgeht und ‚die Chancen der Hauptstadt‘ bewertet – als sei ausgerechnet sie besonders kompetent als Berlin-Visionär…“

[1] inferior = minderwertig

Wie aus einem „Phantom von Heilbronn“ ein „Phantom von Heidelberg“ wurde

Freitag, 27. März 2009

(Danke an Stefan S.)

Nutzten Redakteure bei SPIEGEL Online eigentlich auch Wattestäbchen dieser österreichischen Firma, als sie den Artikel „Jagd auf das Phantom“ schrieben?

Tragödie von Winnenden: Der SPIEGEL gibt sich diese Woche als „Revolverblatt“ – an schonungsloser Aufklärung aber uninteressiert

Dienstag, 24. März 2009

Das als Amoklauf bezeichnete Massaker von Winnenden steckt vielen in den Knochen, allen voran natürlich den Angehörigen der Opfer. Völlig zu Recht fordern sie daher in einem offenen Brief in ihrer lokalen Winnender Zeitung, „dass sich etwas ändert in dieser Gesellschaft… wir wollen mithelfen, damit es kein zweites Winnenden mehr geben kann… Wir wollen, dass die Tat aufgeklärt und aufgearbeitet wird… Wir wollen wissen, an welchen Stellen unsere ethisch-moralischen und gesetzlichen Sicherungen versagt haben.“

US-Datenbank: Bei 49(!) Amokläufen waren Prozac und andere Antidepressiva im Spiel
Doch können Medien wie der SPIEGEL zur schonungslosen Aufklärung beitragen, ohne in alle möglichen Richtungen zu schauen? Wohl kaum. So widmet sich das Nachrichtenmagazin seiner aktuellen Print-Ausgabe noch mal ausführliche der Tragödie und fokussiert sich dabei auf das Thema Schusswaffen. Das dramatisch anmutende Titelbild zeigt eine Pistole, die in eine Deutschlandfahne gehüllt ist (siehe Screenshot). Doch nicht nur Waffen bringen Menschen um, auch Medikamente könnene nachweislich Menschen töten und auch zu Gewalttaten bis hin zu Amokläufen veranlassen. Unverständlicherweise will der SPIEGEL – genau wie das Gros der Medien – diese aber partout nicht diskutieren.

Dabei geht zum Beispiel aus einer US-Datenbank, die auch in einem New-York-Times-Artikel über einen möglichen Zusammenhang von Antidepressiva wie Prozac und Gewalttaten bis hin zu Amokläufen erwähnt ist, hervor, dass bei 49(!) solcher Amokläufe Prozac und andere Antidepressiva (so genannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, kurz SSRI) im Spiel waren. Die Seite listet zudem mehr als 2900 News-Artikel auf, in denen SSRI’s mit Gewalt in Verbindung gebracht werden.

Selbst wenn Tim K. nicht „auf Medikamentendroge“ war – der nächste Täter kann es sein…
Und auch bei Tim K. steht ja offenbar fest, dass er in psychotherapeutischer Behandlung war. Was also hat er an Antidepressiva oder anderen Medikamenten bekommen? Und wenn er welche bekommen und genommen hat, wie mögen sie ihn bei seinem Amoklauf beeinflusst haben?

Die Fragen sind absolut berechtigt. Denn die Nebenwirkungen dieser Antidepressiva sind sehr gut dokumentiert, darunter Zentralnervöse Beschwerden wie Angstgefühle, Zittern, Benommenheit, Schwindelgefühl, Parästhesien, Alpträume, Denkstörung, Verwirrtheit, Unruhe, Beeinträchtigung Konzentration, Miktionsstörungen Hypomanie, Manie, Suizidgedanken, aggressive Verhaltensweisen (Entzugserscheinungen könne wohlgemerkt auch diese Wirkungen haben). Wobei die Dunkelziffer extrem hoch ist, sprich das wahre Ausmaß kennen wir gar nicht, wie auch der Guardian 2008 schreibt: „In the heyday of antidepressant PR, only about 10% of results about how the drugs affected quality of life were published. More than two-thirds of studies today are industry funded, and such research is four times as likely to find in favour of the drugs than independent inquiry.“

Und auch Tim zeigte Zeugenberichten zofolge zuletzt ein äußerst merkwürdiges Verhalten. Für seinen Freund Michael „wurde Tim in letzter Zeit immer eigenartiger… Tim veränderte sich, (mehr …)

KISS-Syndrom: Der SPIEGEL und der schiefe Blick auf alles, was nach Alternativmedizin riecht

Donnerstag, 19. März 2009

(Mit Dank an Tilo Neuhaus für den Hinweis)

Der Beitrag „Biedermanns schiefe Kinder“ im aktuellen SPIEGEL (siehe Screenshot) zeigt erneut, dass das Nachrichtenmagazin auf die etablierte Schulmedizin voll vetraut und alles, was irgendwie nach Alternativmedizin riecht, mit Vorliebe verunglimpft.

Sicher, weiß Gott nicht alles, was aus der so genannten alternativmedizinischen Ecke kommt, ist lobenswert – und nicht alles an der Schulmedizin ist zu verteufeln. Aber der SPIEGEL hält die Schulmedizin so hoch, als sei sie der Gral der Weisheit – und das, obwohl die schulmedizinische Forschung weitgehend von der Pharmaindustrie diktiert wird und Betrug an der Tagesordnung ist und zugleich Studien zu alternativmediznischen Verfahren oft schlicht nicht finanziert werden. Bemerkenswert auch, dass der SPIEGEL hier auf eine Einzelperson draufhaut – doch wenn es um das gigantische Skandalverhalten der Pharmabranche geht, so hat er für diese eine Art Schonraum eingerichtet (SPIEGELblog berichtete).

Die Schulmedizin taugt nicht als Kronzeuge für solide Therapien
In dem genannten Artikel geht es um einen Arzt namens Dr. Heiner Biedermann, der mittels einiger offenbar recht simpler Griffe bei Babys Blockaden im Halswirbelbereich löst und sie dadurch von dem so genannten KISS-Syndrom befreien will (KISS steht für „Kopfgelenk-induzierte Symmetriestörung“). Die Methode mag ja zu kritisieren sein, doch Fakten, die belegen, dass die Methode nutzlos ist, liefert der SPIEGEL nicht. Im Gegenteil.

So wird zu Beginn des Artikels sogar ein positives Beispiel geschildert, bei dem eine Mutter ihr Schreikind nicht in den Griff bekommt und dann nach einer „Ärzte-Odyssee“ Hilfe bei dem Chirurgen Biedermann findet, der mit seiner manualmedizinischen Behandlung dem Schreien ein Ende setzt. Doch anstatt diesen Behandlungserfolg kritisch zu würdigen, gewinnt der Leser beim Weiterlesen zunehmend den Eindruck, dass dieser Behandlungserfolg bestenfalls ein Zufallstreffer einer anrüchigen Methode sein muss. Grund laut SPIEGEL: Dr. Biedermann würde nicht „differenziert genug“ an die Sache herangehen, und Studienergebnisse seien „für ihn weniger wichtig“.

Dr. Biedermann bezeichnet dies als „glatte Lüge“. (mehr …)

Schonraum: Historischer Skandal in der Gesundheitsbranche ist dem SPIEGEL erneut keine Meldung wert

Dienstag, 17. März 2009

(Mit Dank an Georg v. Wintzingerode für den Hinweis)

Studien, die Dr. Reuben wohl gefaked hat; Q: anesthesiologynews.com

Wissen SPIEGEL-Leser mehr? Wenn es um Skandalverhalten, Rekordstrafen und Raffgier der Pharmabranche geht, sicher nicht – das muss man immer wieder feststellen.

Nicht nur beim Amoklauf des 17-jährigen Tim K. scheut der SPIEGEL, der naheliegenden Frage nachzugehen, ob Antidepressiva den 17-jährigen Schüler haben Amok laufen lassen (siehe SPIEGELblog-Bericht). Auch am 17. Februar berichtete SPIEGELblog, dass der SPIEGEL Erfolgsmeldungen von Pharmakonzernen wie Eli Lilly an seine Leser gerne weitergibt, jedoch etwa die historische Rekordstrafe für Eli Lilly von satten 1,4 Mrd. $ für illegale Marketingaktivitäten unter den Tisch fallen lässt – Marketingaktivitäten, die wohlgemerkt auch für deutsche Patienten in der Konsequenz lebensgefährlich sein können. Dabei war die Meldung so heiß, dass die New York Times daraus sogar eine exklusive Meldung – einen Scoop – machte.

Der SPIEGEL liest sich wie ein „Was ist was?“-Buch für große Kinder
Auch jetzt berichtet die New York Times über einen erneuen Skandal von wahrscheinlich historischer Dimension aus der Medizinbranche – und wieder interessiert es den SPIEGEL nicht. In dem Artikel mit der Überschrift „Doctor Admits Pain Studies Were Frauds, Hospital Says“ geht es um „den womöglich am längsten währenden und weitreichendsten Fall wissenschaftlichen Betrugs“. Im Zentrum des Betrugs steht ein gewisser Dr. Scott S. Reuben, der als „einer der erfolgreichsten Forscher auf dem Gebiet der Anästhesiologie [= Narkose- und Intensivmedizin] gestand, ein Großteil der Daten, auf die er seine Studien aufgebaut hatte, erfunden zu haben“ (siehe Screenshot).

Dass der SPIEGEL hier wegschaut, ist besonders tragisch. Denn wenn wir schon von den gesetzgebenden Politikern, die eng mit der Pharmabranche verbandelt sind, nicht mehr erwarten können, dass sie dem eklatanten Fehlverhalten der Konzerne und Top-Wissenschaftler einen Riegel vorschieben – und nun auch Medien wie dem SPIEGEL nicht mehr als Wachhung agieren, wer soll die Gesellschaft dann noch schützen? Interessant sind für den SPIEGEL vor allem nette Geschichtchen zum Beispiel darüber, dass die Gehirne von Gitarrenspielern synchron schwingen, wenn beide die gleiche Melodie spielen. Mit anderen Worten: Die Wissenschaftsrubrik des SPIEGEL liest sich wie ein „Was ist was?“-Buch für große Kinder – doch das, was die Machtmissbraucher in der Gesundheitsbranche das Fürchten lehren könnte, erfährt man leider nicht, nämlich: Wer macht was, sprich wer in der Gesundheitsbranche verzapft was an Betrügereien und Tricksereien?

Haben Antidepressiva wie Prozac Tim K. zu seinem Amoklauf veranlasst? Diese naheliegende Frage stellt der SPIEGEL erst gar nicht

Sonntag, 15. März 2009

Der US-Student Steven P. Kazmierczak nahm Antidepressiva - und erschoss fünf Studenten und sich selbst

Auch SPIEGEL Online treibt natürlich die Frage um: „Was machte Tim K. zum Amokläufer, der 15 Menschen erschossen hat?“ Doch in dem Artikel, in dem diese Frage erörtert wird, heißt es lediglich, der 17-jährige Tim K. „soll depressiv gewesen sein und sich in Gewaltphantasien ergangen haben“. Der SPIEGEL bleibt also dabei stehen, darüber zu sinnieren, ob die Depression Tim K.  zu seiner Irrsinnstat veranlasst hat. Auch lässt sich das Nachrichtenmagazin über die üblichen Verdächtigen wie PC-Killerspiele aus oder auch über Merkels Vorschlag, Waffenbesitzer besser zu kontrollieren.

Scheut der SPIEGEL erneut Kritik an der Pharmaindustrie?
Doch die Frage, die sich in diesem Zusammenhang aufdrängt, nämlich ob Antidepressiva den Schüler haben Amok laufen lassen, erwähnt der SPIEGEL überhaupt nicht – was absolut unverständlich ist, wenn man bedenkt, welche Anhaltspunkte hierfür vorliegen. Ist es also Rechercheunvermögen, fehlendes Wissen – oder das beim SPIEGEL zu beobachtende Phänomen, sich mit Kritik an der Pharmaindustrie zurückzuhalten (siehe SPIEGELblog-Beitrag)?

Auch der Amokläufer von Illinois nahm Prozac – und fühlte sich dabei wie ein „Zombie“
So berichtete die New York Times im Februar 2008 in dem Artikel „Reports of Gunman’s Use of Antidepressant Renew Debate Over Side Effects“, dass „in den vergangenen Jahren das Anitdepressivum Prozac sowie vergleichbare Medikamente wie Paxil und Zoloft in Verbindung gebracht wurden mit Selbstmorden und gewalttätigem Verhalten von Hunderten von Patienten. Auch der [der 27-jährige Soziologie-Student] Steven P. Kazmierczak hatte das Präparat Prozac gerade erst abgesetzt und dann in einem Amoklauf fünf Studenten von der Northern Illinois University sowie sich selbst erschossen, wie seine Freundin Jessica Baty berichtete. Baty sagte dem Sender CNN in einem Interview, dass sich Kazmierczak durch Prozac ‚wie ein Zombie fühlte‘.“

Prozac-Mythos: Von der Wunderpille zum möglichen Verursacher von Amokläufen
Kurz darauf brachte der Guardian einen Artikel über die Entstehung des „Prozac-Mythos“. Darin heißt es:

„Es dauerte 20 Jahre bis die Nebenwirkungen von Valium an die Oberfläche kamen. Vielleicht dauert es 20 Jahre in unserer Welt, in der Medikamene heftig gepusht werden, bis die Wahrheit über sie ans Licht dringt. Hier ist ein ungefährer Abriss der 20 Jahre, in denen Prozac und vergleichbare Präparate auf dem Markt sind:

Stufe 1: Ein Wundermedikament wie Prozac wurde entdeckt – und es soll allen Trübsinn wegblasen.

Stufe 2: Probleme, die in klinischen Studien mit der ‚Wunderpille‘ beobachet werden, werden zunächst noch unterdrückt, dringen aber langsam an die Öffentlichkeit.

Stufe 3: Regelmäßig werden alptraumartige Berichte bekannt, in denen Antidepressiva in Verbindung gebracht werden mit Akathisie (unstillbarem Bewegungsdrang), Gewaltbereitschaft, Selbstmorden und AMOKLÄUFEN.“

Sensationshascherei: Wie beim Fall Mannichl verdreht der SPIEGEL auch beim Amoklauf von Tim K. die Fakten

Samstag, 14. März 2009

„Außer der London Times hat uns niemand kontaktiert und um Informationen gebeten.“
Forum Krautchan.net

Zurückgezogener Falschbericht von SPIEGEL Online

Erinnern wir uns: Als Mitte Dezember 2008 das Gerücht de facto als Tatsache verbreitet wurde, dass der Passauer Polizeichef Mannichl von einem Rechtsextremen niedergestochen worden sei (obwohl dies immer noch nicht bewiesen ist), war SPIEGEL Online an vorderster Front dabei. Dabei war die Redaktion so auf den Blick nach rechts fixiert, dass man sich auch zu der Falschaussage verstieg, es gebe ein Phantombild des Mannichl-Attentäters – obwohl ein solches Phantombild gar nicht existierte (SPIEGELblog berichtete). Später, am 19. Januar, als klar war, dass nicht zwingend ein Nazi als Mannichl-Attentäter in Frage kommt, schob der SPIEGEL dann in seinem Artikel „Blick nach rechts“ praktisch die ganze Schuld der Polizei dafür in die Schuhe, „dass der Fall Mannichl überhaupt erst zum Gegenstand eines wilden öffentlichen Rätselratens werden konnte“ – anstatt sich auch selber mal an die Nase zu fassen und sich zu fragen, ob man hier nicht Sensationshascherei betrieben und dadurch seinen Lesern vorschnell unbewiesene Behauptungen als angebliche Tatsachen präsentiert hat.

Auch nach heftigen Dementis des Forums Krautchan.net bringt SPIEGEL Online noch die News-Ente
Wie sinnvoll eine kritische Selbstreflexion gewesen wäre, zeigt sich, wenn man bedenkt, dass SPIEGEL Online nun denselben Fehler begangen hat, indem man die vermutliche News-Ente mit der angeblichen Ankündigung des Amoklaufs von Tim K. als Tatsache dargestellt hat. Und selbst nachdem das Forum Krautchan.net, das als Quelle dieser Ankündigung genannt wurde, bereits heftig dementierte hatte, blieb der SPIEGEL bei der Darstellung, der Forumsbeitrag sei echt. Zudem hat die Hamburger Redaktion auch noch nach diesen Dementis eine reißerische Schlagzeile mit einem angeblichen Zitat von Tim K. gebracht: „Ich werde morgen früh mal so richtig gepflegt grillen“ (siehe ersten Screenshot). Ob der Beitrag nun gefälscht ist oder nicht: Der SPIEGEL agierte hier in keinster Weise abwägend und mit der notwendigen journalistischen Vorsicht bzw. Sorgfaltspflicht. Bezeichnenderweise hat die Redaktion den Artikel auch zurückgezogen bzw. korrigiert.

SPIEGEL Online schiebt die Schuld für die News-Panne auf staatliche Stellen – ohne sich selbst mal an die Nase zu fassen
SPIEGEL Online gelang es auch nicht, zwischen Forum (Krautchan) und Chat zu unterscheiden. Und so war das Nachrichtenmagazin offenbar außerstande, die Quellen korrekt zu evaluieren.

SPIEGEL Online gelang es dabei nicht einmal, das Krautchan-Dementi als potenziell ernst darzustellen. Vielmehr schrieb man: „Im [Krautchan.net-]Forum selbst war man lange der Meinung, es handele sich um eine Fälschung – in mehreren Threads amüsierten sich Teilnehmer über die angebliche Dämlichkeit der Massenmedien“ (siehe zweiten Screenshot).

Doch selbst als sich der Beitrag als offenbare Ente entpuppte, wollte man bei SPIEGEL Online in keiner Weise über die eigene Dämlichkeit nachdenken, sondern lastete einfach dem Innenminister von Baden-Württemberg, Heribert Rech, die Schuld für den Schlamassel an. „Offensichtlich war man so glücklich über den vermeintlichen Coup, dass darüber alle ermittlerische Sorgfalt vergessen wurde,“ lesen wir auf SPIEGEL Online. Doch wer, wie die SPIEGEL-Online-Redakton, die Forums-Dementis von Krautchan ignoriert und dazu noch zu einem späten Zeitpunkt eine Artikel-Schlagzeile mit einem Zitat aus dem vermeintlichen Thread bestückt, der hat mindestens in gleicher Weise die ermittlerische Sorgfaltspflicht vergessen lassen. Zumal sich die SPIEGEL-Redaktion ja so sehr ob ihrer Investigativität rühmt – doch wo war sie hier? (mehr …)

Hai-Angeln kann nicht, wie der SPIEGEL schreibt, dem Artenschutz dienen

Donnerstag, 12. März 2009

Vor kurzem erst berichtete der SPIEGEL fälschlicherweise, norwegische Aquafarmen für Kabeljau seien ein Beitrag zur Rettung der Wildfischbestände – in Wahrheit nämlich tragen auch diese Farmen zur Plünderung der Weltmeere bei (SPIEGELblog berichtete). Und nun behauptet der SPIEGEL in seinem Artikel „Jäger am Haken“ (siehe Ausriss), die internationale Meisterschaft im Hai-Angeln an einem Strand in Florida solle „dem Artenschutz“ dienen. Doch auch das ist offenbar nicht haltbar.

Früher, so der SPIEGEL, seien die geangelten Haien allesamt getötet worden. Doch jetzt würden die Raubfische zum ersten Mal „nach fairem Kampf [mit den Anglern am Strand] wieder ins Wasser zurückbefördert – nach Möglichkeit ohne dass ihm eine Flosse gekrümmt wurden. ‚Fangen und freilassen‘ heißt die unumstößliche Regel.“

Auch das fangen und freilassen bedeutet für die Haie den (fast) sicheren und qualvollen Tod
Das Problem dabei: Diese Angeltortur ist weder „fair“, noch hilft sie den Haien am Ende, denn die Tiere verenden mit hoher Wahrscheinlichkeit, nachdem sie wieder ins Meer geschmissen wurden. „Zu diesem so genannten ‚catch and release‘ bei Haien gibt es eine klare Aussage“, so Gerhard Wegner, Präsident vom Sharkproject, der internationalen Initiative zum Schutz der Haie und der marinen Ökosysteme. „Haie, die so unter Stress geraten, sind nach der Freilassung komplett angeschlagen. Die ausgeschütteten Streßhormone können nicht verarbeitet werden und führen zu einer extremen Schwächung des Tieres.“ Das kann dazu führen, dass die Haie auf den Grund absinken und in Folge dessen ersticken, oder dazu, dass die Tiere unkontrolliert umherschwimmen und dadurch leichte Beute werden für größere Fressfeinde.

Vom Catch-and-release-Angeln ist komplett abzuraten
„Hinzu kommt“, so Wegner, „dass die Haie durch die Haken der Angler zum Teil schwer verletzt werden. Nach dem Fangen müssen die Haken mitunter herausgeschnitten oder brutal heraus gerissen werden. Durch die Widerhaken verbleiben sie auch nach einem Reißen der Leine im Fleisch und schädigen die Tiere empfindlich. Aus all diesen Gründen ist von einem solchen ‚Sport‘ komplett abzuraten.“

In dem SPIEGEL-Beitrag wird auch ein Fall beschrieben, bei dem der geangelte Hai wieder ins Meer geworfen wurde, aber so angeschlagen war, dass er zur leichten Beute von einem großen Hammerhai wurde. Great Hammerheads jagen gerne Rochen und kleinere Haie nahe am Ufer. Doch dass die geangelten Haie so oder auf ähnliche Weise verenden, ist offenbar nicht, wie der SPIEGEL-Beitrag suggeriert, die Ausnahme, sondern die Regel. Das „catch and release“ – fangen und freilassen – der Haie kann dem Artenschutz also kaum dienen. „Von einem ‚Hai-schonenden‘ Angeln kann nur geredet werden, wenn man die Tötung der gefangenen Tiere als Alternative sieht“, wie Wegner anmerkt.

Der SPIEGEL und das Thema Impfen: noch kein hinreichend neutraler Zugang

Freitag, 06. März 2009

Masernsterbefälle waren stark zurückgegangen - und dann wurde die Impfung eingeführt; Q: Dr. med. G. Buchwald/Stat. Bundesamt

Der SPIEGEL-Online-Artikel „Allgemeinärzte beklagen Impf-Irrsinn“ ist insgesamt natürlich positiv zu sehen, da überhaupt einmal kritische Stimmen zum Thema Impfen zu Wort kommen, ohne dass diese diffamiert werden (kritische Seiten wie impfkritik.de z.B. haben es hierzulande nach wie vor sehr schwer, wenn es darum geht, das hoch emotional besetzte Thema Impfen nüchtern und an den Fakten orientiert zu diskutieren).

Beim SPIEGEL ist dies ein relativ neues Phänomen (siehe zum Beispiel SPIEGELblog-Bericht über die Gebärmutterhalskrebsimpfung). Dennoch fehlt dem Nachrichtenmagazin offenbar immer noch die nötige kritische Distanz, um sich den Fakten in konsequent neutraler Weise annähern zu können. Folgende Passagen in dem SPIEGEL-Online-Beitrag sind kritikwürdig:

Keuchhusten war fast weg - und dann wurde geimpft

Keuchhusten war fast weg - und dann wurde geimpft

SPIEGEL Online: „Die Impfungen waren in der Vergangenheit häufig so effektiv“,  so Friedrich Hoffman, Vorsitzender der ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Instituts (RKI).

Dazu SPIEGELblog: Der Satz bildet den Schluss des Artikels, doch es gäbe genügend Gründe, die Behauptung, Impfungen seien  „häufig so effektiv“, nicht unkommentiert an so prominenter Stelle stehen zu lassen. So waren viele Krankheiten, gegen die geimpft wird, bereits drastisch zurückgegangen, bevor die Impfungen eingeführt wurden (siehe Grafiken zu Masern, Keuchhusten und Diptherie als Beispiele).

Diphtherie und Impfungen in Dt. (1920 bis 1995)

Diphtherie und Impfungen in Dt. (1920 bis 1995)

Nähe zur Pharmaindustrie ist ein Riesenproblem
SPIEGEL Online: „STIKO-Vorsitzender Friedrich Hofmann weist den Vorwurf zurück, dass die von ihm geführte Impfkommission zu sehr den Interessen der Industrie dient. ‚Wenn damit die Durchführung von Impfstoff-Zulassungsstudien gemeint sein sollte, dann frage ich mich, wer denn sonst solche Untersuchungen vornehmen sollte.’“

Dazu SPIEGELblog: Es gibt genügend unabhängige Wissenschaftler, die den Sachverstand zur Beurteilung der Zulassungsstudien mitbringen und sich mit den Regeln evidenzbasierter Medizin auskennen. (mehr …)

Wahrheits-Kommission über die Bush-Regierung? Interessiert den SPIEGEL nicht – die „Muckis“ von Michelle Obama dagegen schon…

Donnerstag, 05. März 2009

Der US-Senator Patrick Leahy hat gestern vor dem Justizausschuss des US-Kongresses die Einberufung einer „Wahrheits-Kommission“ vorgeschlagen, die möglichen Machtmissbrauch der Bush-Administration untersuchen soll (siehe Screenshot). Zu prüfen seien etwa die Vorwürfe über Folter und Misshandlung von Gefangenen im Zuge der Terrorismusbekämpfung. Letztlich geht es aber um die Hintergründe des ganzen „War on Terror“, den die Bush-Regierung auf Basis der Anschläge vom 11. September 2001 losgetreten hat. „Nichts hat dem weltweiten Ansehen der USA mehr geschadet, als dass diese Nation die Gesetze verbogen und die Grenzen des politisch Erlaubten überschritten hat, indem Folter und grausame Behandlungen genehmigt wurden“, begründet Leahy seinen Vorschlag. „Eine solche Untersuchungskommission würde nicht nur Licht in die dunkle Vergangenheit bringen, sondern uns auch befähigen, begangene Fehler nicht zu wiederholen.“

„Truth Commission“ von zentraler Bedeutung für die ganze Welt
Über dieses Plädoyer für eine Truth Commission berichten nicht nur US-Medien wie die Washington Post, sondern etwa auch die Frankfurter RundschauSPIEGEL Online bevorzugt es dagegen, über Themen wie die Oberarmmuskulatur von Michelle Obama zu schreiben. Was völlig unverständlich ist, weil es hier um nicht weniger geht als um die Aufdeckung der Wahrheit über eine Politik, die das Leben der Menschen auf der ganzen Welt an vielen Stellen deutlich zum Negativen verändert hat. (mehr …)