Archiv für Juni 2009

Noch mal Hanebüchenes bei SPIEGEL Online: Wie Autor Schwennicke fälschlicherweise behauptet, der „Kasino-Kapitalismus“ sei passé

Mittwoch, 10. Juni 2009

Vor kurzem ist bei SPIEGEL Online der Artikel „Ende des Neoliberalismus: Konterrevolution im Krisenkampf“ erschienen (siehe Screenshot). Geschrieben wurde er von Christoph Schwennicke aus dem Hauptstadbüro des SPIEGEL, doch der Beitrag hätte auch aus der Feder der PR-Verantwortlichen des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) stammen können, ist doch Schwennickes „Stück mit einer Reihe von Fehleinschätzungen gespickt“, wie Albrecht Müller von den NachDenkSeiten analysiert. „Ich werde den Verdacht nicht los“, so Müller weiter, „dass hier ein Redakteur sein Fähnchen ein bisschen herum hängt und auf jeden Fall dabei sein möchte, wenn sich das Blatt wirklich wendet. Das Stück hat zugleich eine verschleiernde Wirkung. Tatsächlich nämlich fühlen sich die Neoliberalen nach wir vor oben auf und machen auf vielen Feldern weiter wie bisher.“

Dass der „Kasino-Kapitalismus“ passé sei, wie Schwennicke behauptet, ist ein Märchen
Hier die ersten vier von insgesamt 14 Kritikpunkten, die Müller anführt (wobei Müller am Ende noch hinzufügt: „Diesen Katalog könnte man ohne Schwierigkeit noch weiter verlängern“):

1. Schwennicke schreibt, „der ‚Kasino-Kapitalismus‘ ist plötzlich passé“ – davon kann aber keine Rede sein. Die Banken werden von uns Steuerzahlern neu mit Geld ausgestattet und machen weiter wie bisher.

2. In SPIEGEL Online wird behauptet, die kommunikative Hegemonie der Arbeitgeberseite sei zu Ende, die Bosse hätten ein Imageproblem. Das haben sie, aber sie bestimmen dennoch in weiten Bereichen, was gedacht werden kann und darf. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass sogar die öffentlich-rechtlichen Medien über weite Strecken in Arbeitgeberhand sind. Davon, dass die Hegemonie zu Ende sei, merkt man nichts. Auch das Institut der deutschen Wirtschaft und sein Ökonom Hüther werden nach wie vor als objektive Informationsquellen zitiert und weitergegeben.

Von der „Konterrevolution“, die Schwennicke herbeiredet, ist weit und breit nichts zu sehen
3. Wie sehr die Arbeitgeber die Hegemonie noch inne haben, kann man im Text von Schwennicke selbst lesen. Da freut er sich darüber, dass die deutschen Gewerkschaften so vernünftig geworden sind, die Lohnabschlüsse der vergangenen Jahre seien maßvoll gewesen, die Veranstaltungen zum 1. Mai seien nicht missbraucht worden, um die Massen aufzurühren, die Lohnpolitik sei moderat. – Das ist alles andere als eine Konterrevolution [wie sie Schwennicke meint wahrnehmen zu können]. Es ist inzwischen deflatorische Politik und nicht einmal zeitgemäß.

4. Die Rechtskonservativen und die Arbeitgeber besetzen weiterhin wichtige Gremien: den Sachverständigenrat, die Bundesbank, die Europäische Zentralbank, die Mehrheit der Wirtschaftsforschungsinstitute. Von Konterrevolution ist weit und breit nichts zu sehen.

Ist es also ein Täuschungsmanöver oder pure Verblendung, die Schwennicke zu so einem Beitrag veranlasst haben? Oder ist es sogar beides…

Nun, lesen Sie den Rest von Albrecht Müllers Analyse auf den NachDenkSeiten.

Interessant auch der Kommentar „Hanebüchenes in SPIEGEL Online“ in dem Blog Zettels Raum über Schwennickes Text. Darin wird aufgezeigt, dass Schwennicke den Artikel aus der Zeitschrift Economist, auf dem sein Beitrag fußt, offenbar völlig falsch rezipiert hat. Wörtlich heißt es am Ende: „Als Kronzeuge für das, was Schwennicke in seinem eigenen Artikel verkündet – ‚Der ‚Kasino- Kapitalismus‘ ist plötzlich passé‘ – eignet sich der [Artikel aus der Zeitschrift] Economist ungefähr so gut wie George W. Bush als Lobredner Saddam Husseins.“

Hanebüchener Vergleich: SPIEGEL Online setzt Guantánamo mit Alcatraz gleich – und offenbart damit erneut ein Rechts(un)verständnis, das an das der Bush-Regierung erinnert

Dienstag, 09. Juni 2009

(Mit Dank an Arnim R.)

Wenn es um die Suche nach der Sensation geht, scheint sich der SPIEGEL für nichts zu schade. Das Drama daran: Die Fakten bleiben dabei immer wieder auf der Strecke. Selbst vor einer Gleichsetzung des Gefangenenlagers in der Guantánamo-Bucht am Südende Kubas mit dem ehemaligen US-Hochsicherheitstrakt auf der Insel Alcatraz vor San Francisco schreckt man nicht zurück (siehe SPIEGEL-Online-Dossier „Alcatraz der Moderne“ und auch Screenshot). Damit offenbart SPIEGEL Online in Sachen Guantánamo erneut ein Rechtsverständnis bzw. RechtsUNverständnis, das an das der Bush-Regierung erinnert (SPIEGELblog berichtete).

Guantánamo-Häftlinge können nicht einmal als Verdächtige angesehen werden – Alcatraz hingegen beherbergte reihenweise rechtskräftig verurteilte Schwerstverbrecher
Das Abstruse und Fahrlässige an der Gleichsetzung von Guantánamo mit Alcatraz ist, dass SPIEGEL Online dadurch suggeriert, auch im Guantánamo-Gefängnis säßen rechtskräftig verurteilte Schwerstkriminelle ein. Doch das ist absoluter Blödsinn.

Tatsächlich können die Menschen, die in Guantánamo einsitzen, nicht einmal guten Gewissens als Verdächtige bezeichnet werden, da sie ja allesamt nicht dort gelandet sind, nachdem ihnen ein ordentlicher bzw. rechtsstaatlicher Prozess gemacht worden war. Gravierender noch: Die meisten sind dorthin verschleppt worden, nachdem sie denunziert wurden, wie es in Europa zu den ekelhaftesten Zeiten der Hexenverfolgung gang und gäbe war. Und so hat auch eine an der Rechtsfakultät der Seton Hall University erarbeitete Studie ermittelt, dass die meisten Häftlinge in Guantánamo schlicht unschuldig sind – wie etwa auch die ehemalige Bill-Clinton-Beraterin Naomi Wolf in ihrem Buch “Wie zerstört man eine Demokratie” schreibt.

Ganz anders in Alcatraz, das am 1. Januar 1934 von einem militärischen Fort zu einem Bundesgefängnis umfunktioniert worden war. Die ersten Gefangenen, 53 Häftlinge aus dem Staatsgefängnis in Atlanta, trafen 1934 ein. Alcatraz fungierte bis 1963 als Hochsicherheitsgefängnis, in dem durch ordentliche Gerichtsverfahren(!) verurteilte Gefangene untergebracht wurden, die in anderen Gefängnissen als unverbesserlich und schwierig eingestuft wurden. Unter ihnen befanden sich so bekannte Gangster wie Al Capone (1934–1939), Robert Franklin Stroud (1942–1959), Machine Gun Kelly (1934–1951) und Alvin „Creepy“ Karpis (1936–1962).

Vergleich von Guantánamo mit Stalins Gulag oder dem „Luziferturm“ wäre passend gewesen
Naomi Wolf zieht in ihrem Buch „Wie zerstört man eine Demokratie“, was die Behandlung der Gefangnen angeht, eine Parallele zu den Gefangenen in Stalins Gulags. Auch werden, wie gesagt, bei den solchen Zuständen Erinnerungen wach an Zeiten in Europa, in denen Menschen durch willkürliche Denunziationen zu Hexen abgestempelt wurden. Damals diente etwa der „Luziferturm“ in Horb als Gefängnis und Folterstätte für die armen denunzierten Frauen.

Der US-Schriftsteller Arthur Miller in einem Begleitwort zu seinem Werk „Hexenjagd“: “Die Hexenverfolgung war eine perverse Manifestation der Angst, die sich aller Klassen bemächtigte, als sich die Waage nach der Seite größerer individueller Freiheit zu senken begann. Sieht man über die offenbare Schändlichkeit des Einzelnen hinaus, so kann man sie alle nur bedauern, so wie man uns eines Tages bedauern wird.”

Piratenpartei: Wie der SPIEGEL Menschen, die sich gegen den Überwachungsstaat auflehnen, als „kriminelle Freaks“ aburteilt

Samstag, 06. Juni 2009

(mit Dank an Reinhold)

Alles, was auch nur nach Kritik am Establishment riecht, wird vom SPIEGEL regelmäßig wegdiffamiert. Dies zeigt, wie staatstragend das Magazin ist. Aktuelles Beispiel: Der SPIEGEL-Online-Artikel „Warum die Raubkopierer nach Brüssel wollen“ (siehe Screenshot). Schon in der Überschrift wird der disqualifizierende Begriff „Raubkopierer“ verwendet, der suggeriert, dass es hier um Kriminelle geht. Und auch am Anfang des Vorspanns heißt es: „Schwedische Computer-Freaks…“. Aha, gleich zu Beginn des Beitrags wird also klar gestellt, dass die Leute, die Gegenstand des Beitrags sind, kriminelle Freaks sind.

Tatsächlich aber geht es hier um die Piratenpartei in Schweden, die inzwischen Zehntausende Parteimitglieder hat und ins EU-Parlament drängt. Auch der schwedische Schriftsteller und Kulturkritiker Lars Gustafsson unterstützt die Piratenpartei. Diese Partei will die Privatsphäre der Bürger vor staatlichen Eingriffen schützen sowie Patente auf Gene und Software abschaffen. Zudem fordert die Piratenpertei das Recht auf die legale Privatkopie von Musikstücken, Filmen und Texten.

Man muss deren Ziele nicht durchweg unterstützen. Doch in Anbetracht der überbordenden Machtfülle von Überwachungsfanatikern wie Wolfgang Schäuble sind derlei gesellschaftlichen Kräfte dringendst notwendig. OK, für den SPIEGEL sind Menschen, die sich gegen das Politestablishment von Schäuble&Co auflehnen, kriminelle Freaks. Das spricht Bände – kann aber den aufmerksamen Betrachter nicht wirklich verwundern, macht der SPIEGEL doch regelrecht Wahlwerbung für Personen aus dem Politestablishment wie Angela Merkel, Karl-Theodor von und zu Guttenberg (SPIEGELblog berichtete)…

Wie der SPIEGEL plumpen Dauerwahlkampf für „CSU-Star Guttenberg“ macht – und es dabei mit den Fakten nicht so genau nimmt

Freitag, 05. Juni 2009

Die Europa-Wahlen stehen kurz bevor, und was gäbe es da Schöneres aus Sicht einer Partei, als von einem wichtigen Medium gratis hofiert und massiv promotet zu werden? Nun, die CSU kommt in diesen pikanten Genuss, legt sich der SPIEGEL doch seit geraumer Zeit im Stile einer PR-Agentur voll ins Zeug für den „CSU-Star Guttenberg“.  Schon vergangene Woche berichtete SPIEGELblog, wie das Nachrichtenmagazin „Wirtschaftsminister von und zu Guttenberg in Werbemanier zum Superhelden à la Batman verklärt“. Und auch heute wieder bringt SPIEGEL Online einen Aufmacher über den „Shootingstar“, der sogar „[CSU-]Parteichef Seehofer überstrahlt“. So ein Dauerwahlkampf ist ziemlich unwürdig, um nicht zu sagen peinlich für ein Medium, das sich selbst als investigativ und überparteilich begreift.

Der SPIEGEL übergeht geflissentlich die „peinliche Wahrheit“ über Wirtschaftminister zu Guttenberg
Dem SPIEGEL würde es besser zu Gesicht stehen, wenn er sich mal wirklich kritisch und an den Fakten orientiert mit Wirtschaftsminister zu Guttenberg auseinandersetzen würde. Dazu würde etwa gehören, dass SPIEGEL Online keine plumpen PR-Berichte darüber abzuliefert, wie zu Guttenberg bei einer Diskussionsveranstaltung der neoliberalen Propaganda-Agentur Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) dolle Reden schwingt. Auch sollten sich die Hofberichterstatter beim SPIEGEL mal am NDR-Magazin Zapp und seinem Beitrag „Die peinliche Wahrheit über Wirtschaftsminister Guttenberg!“ ein Beispiel nehmen (siehe Screenshot). Darin wird aufgezeigt, dass es bei zu Guttenberg einiges zu überprüfen gäbe – angefangen von seiner selbsternannten Wirtschaftskompetenz, die auch vom SPIEGEL so gerne hochgehalten wird. Diese basiert nach Aussage des Bundeswirtschaftsministers vor allem darauf, dass er vor seinem Eintritt in die Polititk Verantwortung im eigenen Familienunternehmen getragen hätte. Doch das ist nichts weiter als heiße Luft.

So hat der Bundeswirtschaftsminister nicht für die Von Guttenberg GmbH, einer Baustofffirma aus Aschheim, gearbeitet – wie viele Medien, darunter auch SPIEGEL Online, fälschlicherweise berichteten. Und auch macht es keinen Sinn zu behaupten – so wie es das „SPIEGEL Wissen“ Lexikon tut -, dass Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg „geschäftsführender Gesellschafter der [Münchener] Guttenberg GmbH“ ist (siehe zweiten Screenshot). So hatte diese Firma nach Recherchen von Zapp „lediglich drei Beschäftigte. Deren Aufgabe: Die Verwaltung des eigenen Vermögens. Es ist das Vermögen der Familie von und zu Guttenberg. Seit fünf Jahren gibt es auch diese Firma nicht mehr. Die Such nach der Wirtschaftkompetenz des neuen Wirtschaftsministers geht weiter – demnächst vielleicht auch in Ihrer Zeitung…“

Dass dies auch beim SPIEGEL der Fall sein wird, ist zu bezweifeln, wenn man bedenkt, wie plump offensiv das selbsternannte Nachrichgenmagazin Wahlkampf macht für zu Guttenberg.

Weitere interessante Links:

Panorama über Freiherr zu Guttenberg

Extra 3: Klaus fragt: Was ist (macht) eigentlich ein Wirtschaftsminister?

„Merkel, Guttenberg und die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM)“ (inklusive ZAPP-Beitrag über die  INSM – ein Beitrag, der bei youtube bemerkenswerterweise zwar noch aufrufbar, aber nicht mehr anzusehen ist…)