Absurdistan lässt grüßen: Wie ein SPIEGEL-Redakteur unter seiner nicht artikulierten Abneigung gegen Kohl-Witze litt und so „aus Versehen“ konservativ wurde

  13. Mai 2009, von T. Engelbrecht

Helmut und Hannelore sitzen abends zu Hause, Helmut löst Kreuzworträtsel, Hannelore strickt. Helmut überlegt angestrengt: „Mmmmm… Jetz wird’s schwierisch… Kanzler der Wiedervereinigung mit vier Buchstabnnnn… Das bin ja isch!!! I – C – H… Basst net… Wieso basst des jetz net!? Des hat nur drei Buchstabnnnn…“ Hannelore: „Aber Helmut, DU bist gemeint!“ Helmut: „Du?!? D – U… Des basst auch net… Isch brauch ein‘ mehr, net ein weniger, Hannelore!“ Hannelore: „Aber Helmut, denk doch mal nach! Die meinen DICH!“ Helmut: „Disch?!? D – I – C – H… Mensch, Hannelore, des basst! Vier Buchstabnnnn… Also Hannelore, wenn isch DISCH net hätte…“ (siehe www.neppel.com).

Im letzten SPIEGELblog-Beitrag wurde bereits kurz erwähnt, dass beim SPIEGEL ein Redakteur gerade wortreich sein coming out als Konservativer gefeiert hat. Gemeint war damit der Essay von Jan Fleischauer. Das Stück war dem Magazin so wichtig, dass es in der Print-Ausgabe des SPIEGEL vom 4. Mai auf gleich drei Seiten abgedruckt wurde; und bei SPIEGEL Online erschien es am 10. Mai mit der Schlagzeile „Wie man aus Versehen konservativ wird“ zusammen mit so weltbewegenden Themen wie dem Bundesliga-Liveticker in die Top-News (siehe Screenshot). Doch der Essay ist gespickt mit so viel plakativem Gesäusel und Absurditäten, dass SPIEGELblog es noch mal extra „würdigen“ möchte.

Fleischhauers Unterteilung in „links“ und „rechts“ macht längst keinen Sinn mehr
Nicht nur macht die Unterteilung in links und rechts/konservativ, die Fleischhauer benutzt, um in seinem Essay seine zähen Thesen durchzukauen, längst keinen Sinn mehr (wenn sie denn überhaupt mal Sinn gemacht haben sollte). Dies sollte besonders für einen Journalisten (genau wie für einen Wissenschaftler) gelten, der vom Selbstverständnis her weder „links“ noch „rechts“ sein sollte, sondern einfach nur konsequent kritisch gegnüber den Machtcliquen, um Machtmissbrauch entgegenwirken zu können.

Fleischhauer hat sich mit wirklich kritischem Gedankengut offenbar gar nicht beschäftigt
Zudem gibt es gar keine klaren Definitionen der Begriffe „links“ und „rechts“, die oft genug nur als Kampfbegriffe missbraucht werden. Und die Definition, die Fleischhauer verwendet, könnte idiotischer kaum sein. So behauptet Fleischhauer, die so genannten Linken würden allesamt für Obama schwärmen und dem Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung fröhnen. Was für ein Blödsinn. Und auch meint Fleischhauer, Linke würden „der Marktwirtschaft kritisch gegenüber [stehen], ohne genau sagen zu können, was die Alternative wäre“. Auch hier zeigt sich, wie intellektuell arm und oberflächlich das Gerede Fleischhauers daherkommt und wie wenig er sich mit „linken“ oder überhaupt Ideen zu Alternativen zur Marktwirtschaft beschäftigt haben kann.

So versammelte sich die Weltgemeinschaft 1992 auf der Umweltkonferenz in Rio de Janeiro und einigte sich dort auf die Umsetzung eines Miteinanders, das sukzessive Abschied nimmt von einem rein quantitativen Wachstumsmodell und hinsteuert auf ein Wirtschaftsmodell der nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development). Noch nie davon gehört, Mister Fleischhauer? Oder denken wir an das Konzept der ökosozialen Marktwirtschaft, das unter anderem von der Global Marshall Plan Initiative vertreten wird und grob formuliert eine gezähmte Form des Kapitalismus, den wir heute erleben, im Auge hat. Erklärt werden die dahinter stehenden Ideen etwa von dem Wirtschaftprofessor Franz Joseph Radermacher in dem Buch „Welt mit Zukunft“.

Ein Lob auf die kritische Zeit der Kohl-Witze
Richtig lustig wird es dann, als Fleischhauer erzählt, wie er lange versucht hätte, seine „konservativen Neigungen zu unterdrücken“. Dies hätte sich vor allem auch bei Kohl-Witzen gezeigt, über die er „plötzlich nicht mehr lachen konnte“. Daher hätte er sich einfach verstellt, um nicht aufzufallen, und „beim nächsten Kohl-Witz dafür besonders laut gelacht“. SPIEGELblog vergeht eher das Lachen bei dem Gedanken, wie „konservativ“ im Sinne von unkritisch der SPIEGEL geworden ist – und wie voll kritischer Energie der Zeitgeist noch zu den Zeiten der Kohl-Witze war.

Damit einem das Lachen nicht vergeht, nachdem man solche Essays gelesen hat, sind Kohl-Witze genau das Richtige. Hier zwei weitere Kostproben von Kohl-Witzen:

(1) Nach der Bundestagswahl 1998:
Bei Kohls in Oggersheim klingelt das Telefon. Hannelore hebt ab, meldet sich und hört:
„Guten Tag, ich würde gern den Bundeskanzler sprechen.“
„Da haben sie leider Pech, mein Mann ist nicht da und, äh, Bundeskanzler ist er auch nicht mehr!“ erwidert Sie.
„Ah, Danke!“ tönt die Stimme und legt auf.
Wenige Minuten später klingelt es wieder bei Kohls. Hannelore hebt ab, meldet sich und hört wieder:
„Guten Tag, ich würde gern den Bundeskanzler sprechen.“
Hannelore, geduldig -wie sie es gelernt hat mit Helmut zu sein- erwidert:
„Guter Mann, mein Mann ist nicht hier und auch nicht mehr Bundeskanzler.“
„Ah, ja! Danke!“ kommt es wieder aus dem Hörer und erneut wird aufgelegt.
Es vergehen keine fünf Minuten, da klingelt es schon wieder. Hannelore hebt wiederum ab und hört:
„Guten Tag, ich würde gern den Bundeskanzler sprechen.“
Diesmal aber sagt sie:“Haben sie nicht eben schon einmal angerufen?“
„Ja!“ schallt es ihr freudig aus dem Hörer entgegen.
„Und wie oft soll ich ihnen noch sagen, daß mein Mann weg und auch kein Bundeskanzler mehr ist?“ fragt Hannelore leicht gereizt, als es ihr aus dem Hörer zurückgurgelt:
„Ich kann’s gar nicht oft genug hören!“

(2) Kohl auf der Reise nach New York. Seine Berater warnen ihn vor den raffinierten amerikanischen Journalisten. Aber Kohl winkt ab: Die legen mich nicht rein. Auf dem JFK-Airport stürzt sich sofort ein Pulk Journalisten auf ihn. Einer fragt: „Werden Sie in New York Striptease-Bars besuchen?“
Kohl überlegt und meint süffisant:
„Gibt es hier Striptease-Bars?“
Am nächsten Tag im Hotel liest er die Schlagzeile:
Erste Frage Kohls nach Ankunft in N.Y.:
Gibt es hier Striptease-Bars?

 

14 Kommentare zu “Absurdistan lässt grüßen: Wie ein SPIEGEL-Redakteur unter seiner nicht artikulierten Abneigung gegen Kohl-Witze litt und so „aus Versehen“ konservativ wurde”

  1. Johphil sagt:

    Bemerkenswert ist, dass SPON noch zwei Nachfolgeessays von Fleischhauer gepostet hat..man ist ja beinahe versucht das Kreuzzug zu nennen.

    1. http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,623961,00.html

    2. http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,624288,00.html

    MfG,

    Johphil

  2. Knopfauge sagt:

    Es ist wohl ein Versuch des Spiegel, sich von seinem neuen Image des rechten Kampf- und Schmuddelblaettchens zu distanzieren, indem man einen einzelnen als konservativen Abweichler darzustellen versucht. Albern, und vermutlich erfolgreich. Sie wollen der Bild ja nicht ganz die Leser abgraben, sondern einfach nur das Restpublikum bedienen, das die Bild verschmaeht.

  3. bofh sagt:

    Kleine Anregung zum Blog: Sehr gut recherchiert, herrlich kritisch, ABER: Bitte auf die Formulierung achten! Der Spiegel hat in den 70ern maßgeblich dazu beigetragen, dass falsche Sprachformeln wie „Macht Sinn“ einzug in das Deutsche gefunden haben.

    Und wenn schon kritisch über den Spiegel berichtet wird sollte man doch nicht so etwas vom Spiegel falsch ins deutsche bewusstsein eingeimpfte übernehmen oder?

    Ein „Sinn“ kann sich ergeben aber er kann nicht „gemacht werden“ 😉

  4. Marco sagt:

    Ich finde dieses Essay durchaus gelungen. „Linke“ Ideen erweisen sich mittelfristig immer als Luftschlösser, deshalb gibt es ja so viele Konvertiten.

    „ich von seinem neuen Image des rechten Kampf- und Schmuddelblaettchens zu distanzieren“

    Tatsächlich? Also, in den Kreisen, in denen ich mich so bewege, gilt der Spiegel immer noch als linkes Kampfplatt.

  5. rechtergehtsimmer sagt:

    @Marco

    … die Kreise, in denen Du verkehrst, müssen aber verdammt rechts sein 😉

  6. Manuel sagt:

    Nun, ich sage es nicht gern, aber ein Essay ist ein Essay und keine Reportage. Es spricht aus der Sicht des Autors, was -Verzeihung- jeder wissen müsste, der den Deutschunterricht an einer Realschule oder höher besucht hat.
    Die Ausführungen Fleischhauers wie politologische Äußerungen zu werten, wirkt auf mich regelrecht zynisch.

  7. Der Klarseher sagt:

    Der Spiegel ist längst ein Werkzeug der Eliten geworden, er dient „kritischen“ Menschen als Entschuldigung, nicht mehr selbst zu denken. Sehr richtig auch Ihre Analyse der Begriffe „Links“ und „Rechts“, die nur noch dazu dienen, uns Untertanen gegeneinander auszuspielen.

    @bofh: Spielen Sie doch hier nicht die Sprachpolizei! Wie Sie doch selber wissen, schreibt Herr Engelbrecht klar und verständlich und entlarvt die Dummheiten der Herrschenden. Was interessiert da, ob man Sinn „ergeben“ oder „machen“ kann.

  8. Schleimscheißer? Nein Danke! sagt:

    Herrlich! Ich habe lange nicht mehr so gelacht wie gerade eben! Diese Kohl-Witze sind wirklich etwas Tolles! Und der Spiegelblog-Beitrag hat meine Stimmung wieder aufgepeppelt! Vor allem nachdem ich das peinliche Essay von Jan Fleischhauer gelesen habe und mir dabei das Lachen vergangen war.

    Der Spiegel scheint schon lange ein Identitätsproblem zu haben: Will ich konservativ sein oder doch lieber links? Das Blatt widerspricht sich in fast jeder Ausgabe. Die Redaktion bringt einen Titel über die unsägliche systemimmanente Gier im Kapitalismus und dann so einen Scmarn von Essay von einem, der „aus Versehen“ konservativ wurde. Das macht den Spiegel meines Erachtens ziemlich unglaubwürdig und schreckt die Leser ab, die mit konservativismus nichts am Hut haben.

    Auch stellt man sich die Frage, was für ein Mensch dieser Fleischhauer war bzw. ist. Da hängt er mit „Linken“ ab und verstellt sich auf üble Weise. Wieso hat er sich nicht Freunde seines konservativen Schlages gesucht? Weil es gerade nicht „in“ bzw. „opportun“ war? Man kann ihn im Grunde nur als Opportunisten, um nicht zu sagen Schleimscheißer bezeichnen.
    Der Spiegel sollte die konservative Einstellung dem Bild überlassen und sich auf das Wesentliche konzentrieren: auf kritischen, gut gemachten Journalismus!

  9. wintzingerode sagt:

    … dazu fällt mir nur noch mein Lieblings-Kohl-Witz ein, der mich (ganz und gar nicht zufälligerweise) nicht zu einem Konservativen gemacht hat 😉

    Bei Helmut Kohl zu Hause hat es gebrannt. Die ganze Bibliothek ist stand in Flammen und alle 4 Bücher wurden dabei vernichtet. Aber das schlimmste war: eins davon war noch gar nicht ausgemalt.

  10. bofh sagt:

    @DerKlarseher:
    Ich spiele nicht die Wortpolizei, ich nehm das selber nicht so ernst. Immerhin ist es ja auch in gewisser Weise pure Ironie, dass wohl ausgerechnet der Spiegel dieses „Sinn machen“ in den 70ern unters Volk gebracht hat, dann aber eine Kolumne wie den Zwiebelfisch betreibt.

    Ich wollte das nur erwähnen weils mir auffiel, das Blog hier ist super 🙂

  11. Chris sagt:

    ich finde Fleischhauers Buch das intelligenteste und witzigste was seit vielen Jahren auf dem Büchermarkt erschienen ist. Ich konnte nicht aufhören zu lesen bis ich damit durch war. Und das Lachen ist mir seitdem nicht wieder vergangen. „Unter Linken“ mittels Politologen-Phrasen zu analysieren ist so als ob man Marx‘ „Kapital“ wissenschaftlich nennen würde. Einfach lächerlich.

  12. Spiegel-Illu sagt:

    @ Chris

    Da muss es um Ihre Intelligent und Ihren Witz ja grottig bestellt sein 🙂

  13. Chris sagt:

    @ Spiegel-Illu
    Sie wollen anderen vorschreiben, was sie witzig zu finden haben und was nicht. Eine typisch linke intollerante Einstellung ist das. Ich finde „Unter Linken“ zu brüllen komisch, und den Autor sehr witzig und intelligent. Lassen Sie es einfach so stehen, auch wenn es Ihnen als Linken sichtlich schwer fällt. Übrigens: Über die allumfassende Humorlosigkeit der Linken steht in dem Buch jede Menge. Und Ihr Urteil über meine Intelligenz spricht Bände – über SIE und Ihre Intelligenz! Spiegel-Illu, nehmen Sie es etwas leichter.

  14. Spiegel-Illu sagt:

    @ Chris

    Wer wird denn gleich in die Luft gehen 🙂

    Natürlich können Sie lachen, worüber Sie mögen. Doch es darf ja noch mal gestattet sein anzumerken, dass Ihr „brüllendes“ Gelächter auf einer totalen Verblendung gründet.

    Nicht nur hängen Sie – genau wie das gesamte Werk von Jan Fleischhauer – der Einteilung in “links” und “rechts” nach, die jedoch völlig überholt ist. Diese Begriffe sind nichts als Kampfbegriffe. Auch Sie können diesen Begriffen keine sinnvolle und endgültige Definition einhauen.

    Von daher bin ich auch nicht “links”, wie Sie behaupten, sondern einfach kritisch gegenüber den korrupten Machtcliquen, mögen sich diese nennen wie sie wollen: links, rechts, sozialliberal oder sonst etwas. All diese Begriffe sind reines Kaspertheater, was Sie aber nicht zu erkennen scheinen. In Wahrheit müssen wir uns also von diesen Begriffen verabschieden, weil sie einfach nur den Blick auf das Wesentliche verstellen.

    Natürlich gibt es in allen möglichen gesellschaftlichen Milieus Absurditäten, die einen Lacher wert sind. Doch in einem gesamten Buch plus Spiegel-Essay auf den so genannten “Linken” herumzukloppen und dabei auch noch den Eindruck zu erwecken, die “Linken” hätten praktisch die Gesellschaft im Griff, ist überhaupt nicht komisch, schlicht weil es die Realität verzerrt.

    In Wahrheit sind es nämlich die Konzernlenker, die die Politik und die Geschicke der Menschheit auf fatal-destruktive Weise bestimmen. Arm und Reich driften nicht nur in Deutschland, sondern weltweit sukzessive auseinander und die Natur wird mehr und mehr platt gemacht. Wer da, wie Jan Fleischhauer, davon redet, die “Linken” hätten irgendwie Macht in der Hand, der betreibt willentlich Desinformation. Und Desinformation ist eine Sache von diktatorischen Propagandaministerien, die ich jedenfalls überhaupt nicht zum Lachen finde.

    Sie lachen – genau wie Jan Fleischhauer – in die falsche Richtung. Es ist dieses fratzenhafte Lachen a la Pocher&Co, das sich über nicht wirklich bedeutende gesellschaftliche Gruppen oder gar die Schwachen lustig macht. Damit ist Jan Fleischhauer bei Pocher&Co anzusiedeln. Meines Erachtens sollte aber ein Medium wie der Spiegel (und seine Redakteure) eigentlich nach oben lachen, was aber nicht (mehr) geschieht. Und genau deshalb ist das Buch alles andere als komisch.

Hinterlasse einen Kommentar