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Absurdistan lässt grüßen: Wie ein SPIEGEL-Redakteur unter seiner nicht artikulierten Abneigung gegen Kohl-Witze litt und so „aus Versehen“ konservativ wurde

Helmut und Hannelore sitzen abends zu Hause, Helmut löst Kreuzworträtsel, Hannelore strickt. Helmut überlegt angestrengt: „Mmmmm… Jetz wird’s schwierisch… Kanzler der Wiedervereinigung mit vier Buchstabnnnn… Das bin ja isch!!! I – C – H… Basst net… Wieso basst des jetz net!? Des hat nur drei Buchstabnnnn…“ Hannelore: [1]„Aber Helmut, DU bist gemeint!“ Helmut: „Du?!? D – U… Des basst auch net… Isch brauch ein‘ mehr, net ein weniger, Hannelore!“ Hannelore: „Aber Helmut, denk doch mal nach! Die meinen DICH!“ Helmut: „Disch?!? D – I – C – H… Mensch, Hannelore, des basst! Vier Buchstabnnnn… Also Hannelore, wenn isch DISCH net hätte…“ (siehe www.neppel.com [2]).

Im letzten SPIEGELblog-Beitrag wurde bereits kurz erwähnt, dass beim SPIEGEL ein Redakteur gerade wortreich sein coming out als Konservativer gefeiert hat. Gemeint war damit der Essay von Jan Fleischauer. Das Stück war dem Magazin so wichtig, dass es in der Print-Ausgabe des SPIEGEL vom 4. Mai auf gleich drei Seiten abgedruckt wurde; und bei SPIEGEL Online erschien es am 10. Mai mit der Schlagzeile „Wie man aus Versehen konservativ wird“ [1] zusammen mit so weltbewegenden Themen wie dem Bundesliga-Liveticker in die Top-News (siehe Screenshot). Doch der Essay ist gespickt mit so viel plakativem Gesäusel und Absurditäten, dass SPIEGELblog es noch mal extra „würdigen“ möchte.

Fleischhauers Unterteilung in „links“ und „rechts“ macht längst keinen Sinn mehr
Nicht nur macht die Unterteilung in links und rechts/konservativ, die Fleischhauer benutzt, um in seinem Essay seine zähen Thesen durchzukauen, längst keinen Sinn mehr (wenn sie denn überhaupt mal Sinn gemacht haben sollte). Dies sollte besonders für einen Journalisten (genau wie für einen Wissenschaftler) gelten, der vom Selbstverständnis her weder „links“ noch „rechts“ sein sollte, sondern einfach nur konsequent kritisch gegnüber den Machtcliquen, um Machtmissbrauch entgegenwirken zu können.

Fleischhauer hat sich mit wirklich kritischem Gedankengut offenbar gar nicht beschäftigt
Zudem gibt es gar keine klaren Definitionen der Begriffe „links“ und „rechts“, die oft genug nur als Kampfbegriffe missbraucht werden. Und die Definition, die Fleischhauer verwendet, könnte idiotischer kaum sein. So behauptet Fleischhauer, die so genannten Linken würden allesamt für Obama schwärmen und dem Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung fröhnen. Was für ein Blödsinn. Und auch meint Fleischhauer, Linke würden „der Marktwirtschaft kritisch gegenüber [stehen], ohne genau sagen zu können, was die Alternative wäre“. Auch hier zeigt sich, wie intellektuell arm und oberflächlich das Gerede Fleischhauers daherkommt und wie wenig er sich mit „linken“ oder überhaupt Ideen zu Alternativen zur Marktwirtschaft beschäftigt haben kann.

So versammelte sich die Weltgemeinschaft 1992 auf der Umweltkonferenz in Rio de Janeiro und einigte sich dort auf die Umsetzung eines Miteinanders, das sukzessive Abschied nimmt von einem rein quantitativen Wachstumsmodell und hinsteuert auf ein Wirtschaftsmodell der nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development) [3]. Noch nie davon gehört, Mister Fleischhauer? Oder denken wir an das Konzept der ökosozialen Marktwirtschaft, das unter anderem von der Global Marshall Plan Initiative vertreten wird und grob formuliert eine gezähmte Form des Kapitalismus, den wir heute erleben, im Auge hat. Erklärt werden die dahinter stehenden Ideen etwa von dem Wirtschaftprofessor Franz Joseph Radermacher in dem Buch „Welt mit Zukunft“ [4].

Ein Lob auf die kritische Zeit der Kohl-Witze
Richtig lustig wird es dann, als Fleischhauer erzählt, wie er lange versucht hätte, seine „konservativen Neigungen zu unterdrücken“. Dies hätte sich vor allem auch bei Kohl-Witzen gezeigt, über die er „plötzlich nicht mehr lachen konnte“. Daher hätte er sich einfach verstellt, um nicht aufzufallen, und „beim nächsten Kohl-Witz dafür besonders laut gelacht“. SPIEGELblog vergeht eher das Lachen bei dem Gedanken, wie „konservativ“ im Sinne von unkritisch der SPIEGEL geworden ist – und wie voll kritischer Energie der Zeitgeist noch zu den Zeiten der Kohl-Witze war.

Damit einem das Lachen nicht vergeht, nachdem man solche Essays gelesen hat, sind Kohl-Witze genau das Richtige. Hier zwei weitere Kostproben von Kohl-Witzen [2]:

(1) Nach der Bundestagswahl 1998:
Bei Kohls in Oggersheim klingelt das Telefon. Hannelore hebt ab, meldet sich und hört:
„Guten Tag, ich würde gern den Bundeskanzler sprechen.“
„Da haben sie leider Pech, mein Mann ist nicht da und, äh, Bundeskanzler ist er auch nicht mehr!“ erwidert Sie.
„Ah, Danke!“ tönt die Stimme und legt auf.
Wenige Minuten später klingelt es wieder bei Kohls. Hannelore hebt ab, meldet sich und hört wieder:
„Guten Tag, ich würde gern den Bundeskanzler sprechen.“
Hannelore, geduldig -wie sie es gelernt hat mit Helmut zu sein- erwidert:
„Guter Mann, mein Mann ist nicht hier und auch nicht mehr Bundeskanzler.“
„Ah, ja! Danke!“ kommt es wieder aus dem Hörer und erneut wird aufgelegt.
Es vergehen keine fünf Minuten, da klingelt es schon wieder. Hannelore hebt wiederum ab und hört:
„Guten Tag, ich würde gern den Bundeskanzler sprechen.“
Diesmal aber sagt sie:“Haben sie nicht eben schon einmal angerufen?“
„Ja!“ schallt es ihr freudig aus dem Hörer entgegen.
„Und wie oft soll ich ihnen noch sagen, daß mein Mann weg und auch kein Bundeskanzler mehr ist?“ fragt Hannelore leicht gereizt, als es ihr aus dem Hörer zurückgurgelt:
„Ich kann’s gar nicht oft genug hören!“

(2) Kohl auf der Reise nach New York. Seine Berater warnen ihn vor den raffinierten amerikanischen Journalisten. Aber Kohl winkt ab: Die legen mich nicht rein. Auf dem JFK-Airport stürzt sich sofort ein Pulk Journalisten auf ihn. Einer fragt: „Werden Sie in New York Striptease-Bars besuchen?“
Kohl überlegt und meint süffisant:
„Gibt es hier Striptease-Bars?“
Am nächsten Tag im Hotel liest er die Schlagzeile:
Erste Frage Kohls nach Ankunft in N.Y.:
Gibt es hier Striptease-Bars?