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Die Diffamierer von der Elbe – wie der SPIEGEL das Weltsozialforum faktenarm heruntermacht

Mittwoch, 04. Februar 2009

Der SPIEGEL-Online-Artikel „Die Selbstbetrüger vom Amazonas“ über das Weltsozialforum im brasilianischen Belém (siehe Screenshot) erinnert mich an meine Zeit als Tageszeitungsredakteur. Vor einigen Jahren kam in meiner ehemaligen Redaktion mal eine Mode auf. Hatte ein Autor einen besonders polemischen Artikel geschrieben, der an Fakten arm oder gar faktenfrei war, dann hieß es: „Der hat ja mal wieder geSPONt“ – in Bezug auf das Akronym von SPIEGEL Online.

Der Autor, Jens Glüsing, macht diesem Urteil alle Ehre. Das typische Manko an dem Artikel ist nämlich nicht nur, dass er faktenarm ist und dabei kaum über das Weltsozialforum, das am 1. Februar zu Ende gegangen ist, informiert, sondern letztlich die ganze Veranstaltung süffisant ins Lächerliche zieht.

SPIEGEL Online würdigt die gesamte Veranstaltung unbegründet pauschal herab
Dies drückt sich nicht nur in der beleidigenden Überschrift „Die Selbstbetrüger vom Amazonas“ aus. Überhaupt erfährt man aus dem Beitrag lediglich, dass ein offensichtlich schlecht vorbereiteter Journalist auf einem Campus umherirrt und daraus schlussfolgert, dass das Weltsozialforum „choatisch“ und „anarchisch“ sei, womit die gesamte Veranstaltung herabgewürdigt wird. Die beiden Adjektive mit der negativen Konnotation bekommen dabei ein besonderes Gewicht, da sie gleich zu Beginn des Vorspanns Erwähnung finden. Harte Fakten, die es rechfertigen würden, den alternativen Gipfel als PRIMÄR oder IM WESENTLICHEN „chaotisch“ und „anarchisch“ abzustempeln, liefert der Artikel aber nicht.

Eine weitere zentrale Behauptung des Schreibers ist, dass „die geladenen Ureinwohner nur Statisten“ seien auf dem Weltsozialforum. Doch weder liefert der SPIEGEL-Online-Beitrag verlässliche Belege für diese These, noch erscheint sie glaubhaft, wenn man bedenkt, dass aus zahlreichen Berichten hervorgeht, dass gerade dieses Forum ausdrücklich der Situation des Amazonas und der Ureinwohner gewidmet war. Der zweite Tag des Forums befasste sich sogar ausschließlich mit diesen Themen.

Desweiteren versucht Autor Jens Glüsing zu suggerieren, dass es auf dem Forum keine Kritik „am autoritären Charakter der linken Regierungen“ in Südamerika gegeben hätte. Doch auch diese steile These scheint nicht nur unglaubhaft, auch liefert der Beitrag für sie keinerlei handfesten Beweise – war es Glüsing sicher auch nur möglich, einen Bruchteil aller Veranstaltungen auf der großen Konferenz zu besuchen.

Der Autor übersieht den Einfluss des „Imperiums der Schande“
Natürlich kann man den Regierungen in Venezuela, Brasilien, Ecuador oder Nicaragua kritisch gegenüber stehen, doch es ist der eklatante Mangel an Informationen über die Hintergründe, der den Beitrag so undifferenziert macht. Denn einfach nur zu behaupten, diese Regierungen würden „unliebsame Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen an die Leine legen“ und den „freien Gedankenaustausch“ unterdrücken, ist so pauschal, dass es den Fakten alles andere als gerecht wird.

Wie komplex das Problem etwa in Brasilien ist, schildert der UNO-Sonderberichterstatter Jean Ziegler eindrucksvoll in seinem Buch „Das Imperium der Schande“, mit dem er das Konglomerat aus multinationalen Konzernen, Politikern, Internationalem Währungsfonds IWF, Weltbank und Welthandelsorganisation WTO bezeichnet. (mehr …)