Drohender Streik der Lokführergewerkschaft GDL: Der SPIEGEL als pures Sprachrohr der Arbeitgeber

  04. November 2014, von T. Engelbrecht

„Kann man einen Streik bewerten, ohne dessen systemische Ursachen zu diskutieren?“
Alexander Dill, „Regierung, ARD, BILD und SPIEGEL vereint gegen das Streikrecht der Lokführer“, heise.de, 20. Okt. 2014

„Wie weit ist der Begriff Solidarität in unserem Land heruntergekommen, wenn Menschen, die völlig zu Recht für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne ihre Arbeit niederlegen, sich von der von der Presse aufgehetzten Bevölkerung als Idioten beschimpfen lassen müssen.“
Max Uthoff über den Streik der GDL, Die Anstalt, ZDF, 28. Okt. 2014

„Unterdessen hat der Deutsche Beamtenbund (DBB) der GDL seine Unterstützung zugesichert. Angesichts dessen, was die Deutsche Bahn der GDL als Tarifvertrag vorgeschlagen habe, sei die fehlende Unterschrift nachvollziehbar, sagte der DBB-Vorsitzende Klaus Dauderstädt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.“
Bernd Röder, „GDL lässt Bahnkunden zappeln — wann kommt der Streik?“, abendblatt.de, 4. Nov. 2014

gdl

Der SPIEGEL ergreift in seinem Artikel „Tarifkampf der GDL: Bahn-Kunden droht längster Streik der Geschichte“ völlig einseitig Partei für die Arbeitgeberseit und lässt nur(!) Stimmen zu Wort kommen, die sich über die Lokführergewerkschaft GDL abfällig äußern; Foto: Getty Images

Eine Einigung im Streik zwischen der Lokführergewerkschaft GDL und der Bahn war in letzter Sekunde gescheitert. Daraufhin kündigte die GDL einen neuen Streik an. Und wie berichtet SPIEGEL Online darüber? Völlig unausgewogen bzw. wie ein PR-Sprachrohr der Arbeitgeber. So kommen in dem SPON-Artikel „Tarifkampf der GDL: Bahn-Kunden droht längster Streik der Geschichte“ (siehe Screenshot oben links) ausschließlich(!) Personen zu Wort, die sich abfällig über das Verhalten der GDL im Tarifstreit äußern.

Bereits im Vorspann des Beitrags heißt es, „inzwischen regt sich selbst der DGB-Chef über die GDL auf“. Die einseitige Stoßrichtung des Beitrags ist damit schon mal klar gemacht. Und im Artikel selber dürfen dann der Reihe nach die Bahn-Arbeitgeber, SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi, der Fahrgastverband Pro Bahn und schließlich eben der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann vom Leder ziehen. „Wir setzen uns dafür ein, gemeinsam im Rahmen einer Tarifgemeinschaft zu vernünftigen Lösungen zu kommen. Das hat Herr Weselsky leider zu meinem Entsetzen abgelehnt“, darf Hoffmann den Artikel schließen.

Die PR-Abteilung der Deutschen Bahn AG hätte es nicht einseitiger ausformulieren können als SPON-Redakteur Stefan Schultz
Kritik an der GDL ist ohne Frage erlaubt, doch es gibt auch gute Gründe, die Machtinteressen der Arbeitgeber kritisch zu beleuchten. So spricht vieles dafür, dass die Existenz der GDL der Deutschen Bahn AG und der Bundesregierung, die sich die Scheingewinne der Bahn als vermeintlichen Privatisierungserfolg auszahlen lässt, schlicht ein Dorn im Auge ist.

Darauf macht etwa Alexander Dill am 20. Oktober, als die GDL erstmals während dieser Tarifverhandlungen einen Streik beschlossen hatte, in seinem heise.de-Artikel „Regierung, ARD, BILD und SPIEGEL vereint gegen das Streikrecht der Lokführer“ aufmerksam. Und Dill schreibt in seinem Beitrag u.a.:

„Während Jobcenter im Durchschnitt in 80 Tagen einen neuen Mitarbeiter finden, dauert es bei Bahnmitarbeitern 184 Tage, fast ein halbes Jahr. Zu den Forderungen der GDL zählt deshalb auch eine Arbeitszeitverkürzung und längere Ruhepausen. In den Nachbarstaaten Frankreich, Schweiz, Dänemark und den Niederlanden verdienen Lokführer das Doppelte – trotzdem funktionieren die dortigen Bahnen um Klassen besser als die seit Jahrzehnten heruntergewirtschaftete Deutsche Bahn, die sich als weltweit führender Logistikdienstleister wähnt. Kann man einen Streik bewerten, ohne dessen systemische Ursachen zu diskutieren?“

Ja, man kann tatsächlich – wenn man, wie SPIEGEL-Online-Redakteur Stefan Schultz, Systemkritik ausblendet und völlig einseitg Partei ergreift für die Arbeitgeberseite. Die PR-Abteilung der Deutschen Bahn AG hätte dies nicht besser bzw. einseitiger ausformulieren können…

Weitere interessante Links zum Thema:

# TV- Dokumentation „Das Bahnfiasko: Geschäftsmodell Deutsche Bahn – Globalisierung auf Bürgerkosten“ der NDR Redaktion für investigativen Journalismus, Panorama – Die Reporter, 10. Okt. 2010

# Roland Kirbach, „Deutsche Bahn: Die Wahn AG. Je teurer, desto lieber: Warum die Bahn sinnlose kostspielige Zugstrecken baut und die Menschen zur Verzweiflung treibt“, DIE ZEIT, 5/2011

– – – – –

PS: Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass Jakob Augstein zwei Tage nach diesem SPIEGELblog-Beitrag eine exzellente Analyse zum GDL-Streik auf SPIEGEL Online veröffentlicht hat. Headline: „Bahn-Streik: Ein Dank an die Lokführer“. Treffend schreibt der Sohn des SPIEGEL-Gründers Rudolf Augstein:

„Der Philosoph Byung-Chul Han hat geschrieben: ‚Der Neoliberalismus formt aus dem unterdrückten Arbeiter einen freien Unternehmer, einen Unternehmer seiner selbst. Jeder ist heute ein selbstausbeutender Arbeiter seines eigenen Unternehmers. Jeder ist Herr und Knecht in einer Person. Auch der Klassenkampf verwandelt sich in einen inneren Kampf mit sich selbst. Wer heute scheitert, beschuldigt sich selbst und schämt sich. Man problematisiert sich selbst statt die Gesellschaft.‘

Der Klassenkampf findet nicht mehr auf der Straße statt, sondern im Inneren. Margaret Thatcher musste die Gewerkschaften noch mit Polizeigewalt bekämpfen. Das übernehmen bei uns heute die Medien.

Die hasserfüllten Angriffe auf Weselsky sind die Personalisierung eines gesellschaftlichen Problems. Die öffentliche Meinung kann sich den Streik nur noch aus der problematischen Persönlichkeit des Gewerkschaftschefs heraus erklären, nicht mehr aus der Tarifpolitik der Deutschen Bahn.

Die Bahn ist ein Unternehmen in Staatshand, das aber nach den Prinzipien des privaten Profits betrieben wird – das ist die vollkommene Perversion des modernen Kapitalismus. Um es klar zu sagen: Wer nicht will, dass Lokführer streiken, der soll sie wieder zu Beamten machen.“

 

Hinterlasse einen Kommentar