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Bei Ehec schürt der SPIEGEL die Panik, was das Zeug hält – beim Thema „Krebs durch Handys?“ hingegen beschwichtigt man nur zu gerne, ganz im Sinne der Industrie

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Quelle: SPIEGEL Online

Es ist schon bemerkenswert: Während der SPIEGEL beim Thema Ehec mal wieder ganz vorne auf der Panikwelle mitsurft und dabei jedes noch so unbewiesene Detail seinem Millionenpublikum als großes Faktum verkauft, ist man beim Thema Handys und Krebs vor allem darum bemüht zu beschwichtigen – ganz im Sinne der Mobilfunkindustrie.

Am 26. Mai schreibt SPON noch: „Spanische Gurken als Ehec-Quelle identifiziert“
Erinnern wir uns: Erst am 26. Mai brachte SPIEGEL Online die Schlagzeile „Spanische Gurken als Ehec-Quelle identifiziert“ [2]. Doch das hat sich ja nun als falsch herausgestellt (siehe z.B. SPON-Artikel vom 31. Mai „Darmkeime auf spanischen Gurken lösten Ehec-Seuche nicht aus“ [3]) Abermals zeigt sich hier, das es um die Recherchequalität beim „Sturmgeschütz der Demokratie“ nicht zum Besten bestellt ist und dass man nur zu gerne blind auf die Aussagen des von der Industrie durchdrungenen Robert Koch Institut vertraut. Die Schweinegrippepanikmache der Medien – und allen voran des SPIEGEL – lässt grüßen, wie auch das ZDF-Magazin Frontal 21 gestern Abend anmerkte [4]

Was wiederum das Thema „Krebs durch Handys?“ angeht, so ist der SPIEGEL in der Regel auf industriefreundlichem bzw. faktenfernem Kurs (SPIEGELblog berichtete mehrfach, z.B. in dem Beitrag „Der SPIEGEL über Handystrahlung und Krebs: Berichterstattung im Stile einer PR-Abteilung der Mobilfunkindustrie“ [5]). So zu erkennen auch heute in dem Beitrag „WHO sieht möglichen Zusammenhang zwischen Handys und Krebs“ [1] (siehe auch Screenshot).

„Der SPIEGEL-Beitrag zur WHO-Analyse grenzt an Realitätsverweigerung“
So wird in diesem Artikel sogleich wieder beschwichtigt, indem man schreibt: „einen Beweis, dass die Strahlung den Krebs verursacht, gibt es allerdings weiterhin nicht… Experten konnten bisher keinen Anstieg der Zahl von Hirntumoren in der Bevölkerung entdecken.“

Das Problem daran: „Dieser SPIEGEL-Beitrag ist wie ein schlechter Witz und grenzt an Realitätsverweigerung“, so der Medizinprofessor Wilhelm Mosgöller. „Denn wenn der SPIEGEL sagt, es gibt in der Epidemiologie nichts, was auf einen Zusammenhang von Handynutzung und Krebs schließen lässt, dann möglicherweise deshalb, weil es nach 15 Jahren nicht geben kann, was 40 Jahre braucht, um sich zu manifestieren.“

Im Übrigen, so Mosgöller, sei das Votum der WHO primär ein Auftrag für die Wissenschafter. „Aber jeder kann sein Risiko mimimieren, indem er beim Handykauf auf niedrige ‚SAR‘ achtet, sich für lange Gespräche einen Ohrkopf nimmt, sich kurz hält, und nicht ’non stop‘ telefoniert, sondern Pausen einlegt,“ ergänzt der Medizinprofessor.

Darüber hinaus behauptet der SPIEGEL in diesem Artikel erneut, die Interphone-Großstudie, die in 13 Staaten durchgeführt worden war und auf die sich die WHO-Experten maßgeblich beziehen, hätte keine Hinweise auf Krebsgefahr durch Handys erbracht.

Doch das ist so nicht korrekt.

So konstatiert selbst Elisabeth Cardis, die Koordinatorin der Interphone-Studie, noch mal ausdrücklich in einem Artikel, der in der diesjährigen März-Ausgabe des Fachmagazins Occupational and Environmental Medicine [6] abgedruckt ist, dass bei Langzeitnutzern des Mobiltelefons insgesamt ein Anstieg von Hirntumoren zu sehen ist und dass deshalb Vorsorgemaßnahmen sinnvoll erscheinen.

SPIEGEL Online verschweigt abermals die um die Designfehler korrigierten Werte der Interphone-Studie zu Handys und Gehirnkrebs
Zu bedenken ist außerdem, dass die Interphone-Studie entscheidende Designfehler aufweist, die der SPON-Beitrag so genau nicht benennt. So erwähnt SPON nicht, dass es keine echte Kontrollgruppe von Personen ohne Gehirntumor gab, die keiner Mobilfunkstrahlung ausgesetzt waren.

Diese Designfehler realisierten auch die Autoren bei der Auswertung. Entsprechend korrigierten sie die Ergebnisse – und es ergab sich ein alarmierendes Bild, das SPON ebenfalls verschweigt:

Nun war die Häufigkeit, an einem Hirngewebetumor zu erkranken, nach mehr als zehn Jahren Handynutzung um das Doppelte erhöht. Die Tabelle mit den korrigierten Werten war ursprünglich auch Teil der Interphone-Publikation, doch dann wurde sie entfernt – offenbar auf Drängen industrienaher Forscher innerhalb des Teams. Die Beiräte des Fachmagazins forderten jedoch deren Veröffentlichung. In einem Kompromiss fügt man die korrigierte Tabelle als „Appendix 2“ an die Online-Ausgabe an – im Hauptdokument wird sie jedoch nicht erwähnt, und sie muss separat heruntergeladen werden.