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Bombenanschlag in Boston: Wie sich der SPIEGEL zum Sprachrohr der amerikanischen Überwachungsstaats-Behörden macht

„Die Vierte Gewalt [= die Medien] hat [im Zsh. mit den Bombenanschlägen von Boston] offenbar ganze Arbeit geleistet: 75 Prozent sind sich laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Pew sicher, dass ‚gelegentliche Terrorakte künftig Teil des Lebens in den USA‘ sein werden. Vor weniger als zwei Wochen lag die Zahl noch bei 64 Prozent… [Dabei] gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Regierung der USA und ihrer politischen Klasse auch nur ein Haar gekrümmt werden könnte. Aber das ficht die sich zur Hysterie steigernde öffentliche Meinung nicht an. Rationale Aufklärung – die Universität North Carolina beispielsweise hat errechnet, dass die Wahrscheinlichkeit für einen US-Amerikaner weitaus größer ist, vom Blitz getroffen zu werden, als von einem Terroristen getötet zu werden – findet kaum noch Rezipienten. Wer es wagt, die naheliegende Frage zu stellen, warum die Morde an 66 Menschen, die im vergangenen Jahr von völlig legal (dank der National Rifle Association und den von ihr gesteuerten Politikern) bis an die Zähne bewaffneten Amokläufern begangen wurden, nicht als Terrorismus eingestuft wurden, die 33 Tötungsdelikte, die in den vergangenen 12 Jahren durch islamistische motivierte Täter begangen wurden, hingegen schon, der wird unter dringenden Verdacht gestellt, ein ‚Terroristenversteher‘, gar -Komplize zu sein. ‚Watch Your words!‘, lautet seit 9/11 im ‚land of the free and home of the brave‘ die unmissverständliche Warnung gegenüber allen, die noch kritische Überlegungen anstellen.“
Susann Witt-Stahl, „Locktown – Leben im Hochsicherheitstrakt“ [1], hintergrund.de, 26. April 2013

Der Bombenanschlag von Boston hat völlig zu Recht Entsetzen ausgelöst. So waren am Montagnachmittag (Ortszeit) während des traditionsreichen Marathons in der US-Ostküstenstadt nach einer Explosion von zwei Sprengsätzen drei Menschen ums Leben gekommen und weit mehr als 100 verletzt worden. Unter den Toten ist auch ein achtjähriger Junge. Doch so tragisch dieser Terrorakt ist, so unfassbar ist es auch, dass Medien wie der SPIEGEL sich de facto wieder einmal nur zum reinen Sprachrohr der Behörden machen.

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Der SPIEGEL begibt sich zusammen mit den US-Behörden auf die Suche nach den Urhebern der Bombenanschläge und Giftbriefe – die mehr als zwielichtige Rolle von FBI&Co. aus der Vergangenheit blendet das Nachrichtenmagazin dabei aus; Foto: Reuters

Unfassbar deshalb, weil gerade Medien wie der SPIEGEL die Behörden kontrollieren und ihnen genau auf die Finger schauen sollten. Genau das passiert aber nicht. So konnten zwar sämtliche seit dem 11. September 2001 erfolgten Anschlagspläne von den Behörden erfolgreich unterbunden werden, doch dies nicht zuletzt deswegen, weil die Behörden selbst darin durch V-Leute involviert waren, wie hintergrund.de aufzeigt [3]. Von dieser brisanten Thematik ist in der Berichterstattung des SPIEGEL über die aktuellen Anschläge, die die ersten tödlichen Bombenanschläge in den USA seit den Anschlägen vom 11. September 2001 darstellen, aber nichts zu vernehmen.

Behördenhörige Berichterstattung gibt abermals den Überwachungsfanatikern Auftrieb
Im Ergebnis wird durch diese behördenhörige Medienberichterstattung tragischerweise erneut denjenigen Vertretern des Staates und der Sicherheitsindustrie Auftrieb gegeben, die unter dem Stichwort des „homegrown terrorism“ eine immer stärkere Überwachung der US-Bevölkerung fordern und sich für eine entsprechende Ausweitung staatlicher Befugnisse einsetzen.

New York Times: „Terrorpläne wurden [in der Vergangenheit] vom FBI selber ausgeheckt“
Terrorakte Wohlgemerkt schrieb vor einem Jahr kein geringeres Medium als die New York Times in dem Artikel „Terrorist Plots, Hatched by the F.B.I.“ [4] (Terrorpläne, ausgeheckt vom FBI) darüber, wie die US-Behörden selber in vereitelte Anschlagsversuche verstrickt sind: „Ein Möchtegern-Selbstmordattentäter wurde auf dem Weg ins Capitol abgefangen; ein Plan, Synagogen mit Bomben anzugreifen und Stinger-Raketen auf Flugzeuge des Militärs abzuschießen, wurde von einer Gruppe Männer in Newburgh ausgeheckt;  und die abstruse Idee, mit Sprengstoff beladene Modellflugzeuge ins Pentagon und das Capitol krachen zu lassen, wurde in Massachusetts ausgebrütet. Aber all diese Dramen wurden durch das FBI ermöglicht, dessen verdeckt arbeitende Ermittler und Informanten sich als Terroristen ausgaben, die Raketen-Attrappen anboten, falschen C4-Sprengstoff, eine entschärfte Selbstmord-Sprengweste sowie eine rudimentäre Ausbildung. Die mutmaßlichen Täter spielten naiver Weise ihre Rolle, bis sie verhaftet wurden“ (Übersetzung von hintergrund.de [3]).

hintergrund.de schreibt dazu weiter: „Die Praxis des FBI, vornehmlich junge Männer mit psychischen Problemen zu Terrorakten anzustiften, um diese anschließend zu vereiteln und Erfolgsmeldungen im Kampf gegen den Terror verkünden zu können, wurde in den vergangenen Jahren mehrfach in der englischsprachigen Presse einer kritischen Würdigung unterzogen.“