Wie der SPIEGEL das neue Buch „Das erste Leben der Angela M.“ per Antijournalismus als „Verschwörungstheorie“ abkanzelt – und SPIEGEL Online dann auch noch im CDU-Marketingstil über einen Kino-Besuch von Merkel schwadroniert

  12. Mai 2013, von T. Engelbrecht

„Weder war Angela Merkel eine unpolitische Wissenschaftlerin, noch schlug ihr Herz für die deutsche Einheit. Vielmehr gehörte die systemkonforme Physikerin der sowjetisch geprägten Wissenschaftselite des SED-Staates an. Auch stand sie dem DDR-System näher als bislang bekannt. Den Recherchen zufolge war sie an ihrem Institut an der Akademie der Wissenschaften etwa 1981 FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda. Merkel selbst bestreitet dies.“
DIE WELT über das neue Buch „Das erste Leben der Angela M.“, 11. Mai 2013

„Tja, wenn der SPIEGEL doch nur immer so beschönigend, relativierend und beschwichtigend über Ost-Karrieren schreiben würde, [wie er es in seinem Online-Beitrag über das neue Merkel-Buch tut, den er am 14. Mai – also zwei Tage nach Veröffentlichung dieses SPIEGELblog-Beitrags – gebracht hat]. Geht es aber um Gysi und Co, dann wenden SPIEGEL-Redakteure exakt die Methoden an, die in diesem [SPIEGEL-Online-]Artikel kritisiert werden. Ich erinnere da nur an den Ehrenmedaillen-Quatsch, der angeblich ein Stasi-Nachweis war. Im Übrigen ist in der DDR ein FDJ-Agitator [- ein solcher soll Merkel ja gewesen sein -] keineswegs ’nur ein Ehrenamt‘, das man eben mal so übergepropft kriegt [wie SPIEGEL Online behauptet]. Dafür musste man schon eine gewisse Systemtreue aufzeigen.“
Zweiter Online-Kommentar, verfasst von „Strichnid“, zum am 14. Mai nachgeschobenen SPIEGEL-Online-Beitrag zum Buch über Angela Merkel

Der SPIEGEL legt sich in seiner aktuellen Ausgabe auf Seite 15 mal wieder im Stile eines PR-Managers für Kanzlerin Merkel ins Zeug; Foto: Jupp Darchinger im AdsD der FES

Dass der SPIEGEL unsere Kanzlerin Angela Merkel in einer für ein kritisches Medium unwürdigen Weise verehrt, war allerspätestens Mitte 2009 klar, als sich das so genannte Nachrichtenmagazin wie eine Art Marketingmaschine für Angela Merkel gerierte und sich tatsächlich um die “Glaubwürdigkeit” der Lügenbaronin Sorgen machte (SPIEGELblog berichtete). Ein paar Monate später verklärte der SPIEGEL unser Deutschland allen Ernstes zum “guten, alten Merkelland, das so schonend ist für die Nerven seiner Bewohner” (siehe SPIEGELblog-Beitrag vom 30. Nov. 2009).

Dazu passt wie die Faust aufs Auge, dass das Blatt in seiner aktuellen Ausgabe auf Seite 15 in dem Beitrag „Matroschka Merkel“ (siehe auch Scan-Ausschnitt oben links) das neue Buch über Angela Merkel – „Das erste Leben der Angela M.“ – mir nix dir nix als „Verschwörungstheorie“ abkanzelt. Dumpfbackiger geht’s kaum!

Ob die brisantesten Punkte des Buches – etwa dass Merkel bei der FDJ Sekretärin für Agitation und Propaganda war – stimmen oder nicht, darauf geht der SPIEGEL überhaupt nicht ein
Wohlgemerkt, ob das Buch bins ins kleinste Detail faktisch wasserdicht ist, kann an dieser Stelle freilich nicht beurteilt werden. Fakt ist hingegen, dass allein der vom SPIEGEL verwendete Begriff „Verschwörungstheorie“ einfach nur ein dämlicher Kampfbegriff ist, denn wie in diesem Fall soll mit ihm nur diffamiert werden – mit seriöser Faktenrecherche hat er also auch in diesem Fall nix am Hut.

Dies zeigt sich auch daran, dass eine solche Faktenrecherche vor allem zum Ziel gehabt hätte, die brisantesten Punkte des Buches einer faktischen Überprüfung und Evaluierung zu unterziehen, doch genau das findet beim SPIEGEL gar nicht statt. „Am Thema vorbei“ könnte man da im Lehrerstil sagen…

So kommt das Buch über Merkels Vergangenheit zu dem durchaus bemerkenswerten Ergebnis – wie etwa die WELT gestern ausführt -, dass Angela Merkel einst „weder eine unpolitische Wissenschaftlerin war, noch ihr Herz für die deutsche Einheit schlug. Vielmehr gehörte die systemkonforme Physikerin der sowjetisch geprägten Wissenschaftselite des SED-Staates an… Zudem stand sie dem DDR-System näher als bislang bekannt. Den Recherchen zufolge war sie an ihrem Institut an der Akademie der Wissenschaften etwa 1981 FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda. Merkel selbst bestreitet dies.“

Derlei Thesen sind im Übrigen gar nicht so neu. Bereits 2005 berichtet etwa die WELT am Sonntag, dass Merkel nach eigenen Angaben in ihrer FDJ-Gruppe als Kulturreferentin tätig gewesen sei, während Quellen, die der Merkel-Biograf Gerd Langguth befragt hat, davon sprechen würden, dass Merkel für „Agitation und Propaganda“ zuständig gewesen sei.

Und was schreibt der SPIEGEL dazu? Nach wie vor nix…

Offenbar will der SPIEGEL das Buch auch deshalb ins Lächerliche ziehen, um die mediale Konkurrenz doof aussehen zu lassen
In dem erwähnten gestrigen WELT-Artikel heißt es übrigens auch, dass Angela Merkel selbst sagt: „Man weiß in den alten Bundesländern über 35 Jahre meines Lebens kaum etwas.“

Während der FOCUS das neue Buch über die Vergangheit von Angela Merkel sogar zum Titelthema macht, verklärt SPIEGEL Online die DDR-Vergangenheit der Kanzlerin lieber erneut in boulevardesker Manier; Foto: Reuters

Kurzum: Merkels Zeit in der DDR, ihre Jugend, die Studienjahre und vor allem ihre Zeit als Physikerin an der Akademie der Wissenschaften der DDR liegen weitgehend im Dunkeln. „Warum ist das mehr als 20 Jahre nach der deutschen Einheit noch so?“, fragt daraufhin die WELT.

Und die Antwort lautet: Weil bedeutende Massenmedien wie der SPIEGEL bei Angela Merkel mit Vorliebe wie Hofberichterstatter agieren – und eben nicht, wie der SPIEGEL sich ernsthaft selber nennt, als „Sturmgeschütz der Demokratie“, das den Machtcliquen penibel und faktengesteuert auf die Finger schaut. Mit der Folge, dass der Hofberichterstatter SPIEGEL offenbar nicht dazu beitragen will, dass seine Herrscherin am Ende vom Sockel gestoßen wird.

Zudem liegt die Annahme nahe, dass der SPIEGEL das Buch auch deshalb einfach ins Lächerliche ziehen will, um die Konkurrenz unprofessionell aussehen zu lassen. Immerhin fährt der direkte Rivale FOCUS das neue Merkel-Buch ganz groß, und zwar als Titelthema (–> siehe hier). Zudem sind die beiden Autoren von der Springer-Konkurrenz: Günther Lachmann ist WELT-Redakteur und Ralf Georg Reuth ist von der BILD.

Foto und Text des SPIEGEL-Online-Beitrags hätte die CDU-Marketingabteilung nicht besser auswählen können – zugleich tut SPIEGEL Online den brisanten Punkt, dass Merkel bei der FDJ Sekretärin für Agitation und Propaganda war, mal soeben als „Politikkladderadatsch“ ab
PS: Anstatt die Veröffentlichung des neuen Buches als Gelegenheit zu nutzen, sich ernsthaft und im Faktencheck mit der Vergangenheit der Kanzlerin auseinanderzusetzen, präsentiert der SPIEGEL lieber die nächste verklärende Marketingstory über Merkels DDR-Leben. So bringt SPIEGEL Online allen Ernstes einen Tag später (Montag, 13. Mai) ganz im Stile des Schickimickimagazins GALA den Artikel „Merkel bei Kino-Vorführung Amüsiert in Reihe fünf“ (siehe zweites Bild oben). Dieser Artikel ist wohlgemerkt einer der Hauptaufmacher.

Und allein das Foto zu diesem Artikel, das Merkel und die um sie herumsitzenden Kindobesucher in feucht-fröhlicher grinsender Manier zeigt (siehe oben), hätte die Marketingabteilung der CDU nicht besser auswählen können. Dasselbe gilt im Grunde für den Text. Gleich im Vorspann wird drauflos schwadroniert: „Wenn die Kanzlerin über alte DDR-Zeiten plaudert, wird’s lustig: Bei einer Kino-Vorführung in Berlin schwelgte Angela Merkel in Erinnerungen an Kohleöfen, Ost-Pop und ihre Nebentätigkeit als Bardame.“

Dass Merkel offenbar bei der FDJ für Agitation und Propaganda zuständig war, wird in dem Boulevarbeitrag dann am Ende auch tatsächlich zum Thema gemacht. Da heißt es: „Als dann ein BILD-Zeitungs-Kollege eine Frage zu einem soeben erschienenen Buch anbringt, in dem stehe, dass Merkel sehr wohl – entgegen ihrer Angaben – Anfang der achtziger Jahre als FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda gewirkt habe, will das keiner so richtig hören. Obwohl es selbstredend wichtig ist.“

Sooooooooooo schlecht kann das Buch dann also doch nicht sein… Und wenn dieser Punkt mit der FDJ-Tätigkeit von Merkel dann „selbstredend wichtig ist“, wie SPIEGEL Online hier meint, wieso macht der SPIEGEL ihn dann nirgends größer zum Thema? Nun, die Antwort liefert der SPON-Artikel im nächsten Satz gleich mit. Darin wird dieser Aspekt, der eben noch „selbsredend wichtig“ war, mal so eben als „Politikkladderadatsch“ abgetan. Wörtlich liest man da: „Man hat sich [beim Kinobesuch der Kanzlerin] bei dem Versuch, eine Politikerin privat und über ihre Erlebnisse und Vorlieben zu verstehen, eben darauf eingelassen, jenen Politikkladderadatsch zu ignorieren, um ein wenig davon mitzubekommen, was die Frau sonst noch umtreibt.“

Das ist GALA-Schreibe und hat mit „Sturmgeschütz der Demokratie“ soviel am Hut wie Hofberichterstattung.

 

2 Kommentare zu “Wie der SPIEGEL das neue Buch „Das erste Leben der Angela M.“ per Antijournalismus als „Verschwörungstheorie“ abkanzelt – und SPIEGEL Online dann auch noch im CDU-Marketingstil über einen Kino-Besuch von Merkel schwadroniert”

  1. Sinan A. sagt:

    „Kulturreferentin“ klingt wirklich arg gestelzt, glaubt kein Mensch. Angela Merkel hat eine FDJ-Vita wie aus dem DDR-Bilderbuch. So eine schlichte Wahrheit als Verschwörungstheorie abzutun – wie es der SPIEGEL macht – ist einfach nur läpsch.

  2. Too much information - Notizblog - Lesezeichen vom 14. Mai 2013 sagt:

    […] SPIEGELblog » Wie der SPIEGEL das neue Buch “Das erste Leben der Angela M.” per An… – […]

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