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Der SPIEGEL behauptet fälschlicherweise, dass der weltweite Kampf gegen Tuberkulose nur mit einem massiven Antibiotika-Einsatz zu führen sei

„Die Zerstörung von Mikroben ist zweifelsohne nicht der einzige und nicht notwendigerweise der beste Weg, um Infektionskrankheiten zu begegnen.“
René Dubos (1901-1982), Pulitzer-Preisträger, Mikrobiologe und Pionier der Antibiotika-Forschung

[1]

Tbc-Todesfälle in Deutschland, 1750-1950

Wenn es um das Thema Mikroben geht, so könnte man nach wie vor meinen, in der SPIEGEL-Redaktion würden die Gesundheitsbehörden – vom RKI über die amerikanische CDC bis hin zur WHO – selber die Artikel basteln. Das Problem dabei: Das, was von denen kommt, ist oft mehr PR als solide Wissenschaft, wie auch das British Medical Journal schrieb [2].

So auch beim Thema Tuberkulose. Gestern etwa durften wir auf SPIEGEL Online die knackige Headline lesen: „Die WHO warnt vor Tuberkulose-Zeitbombe.“ [3] Und auch wenn es die Situation nicht undramatisch ist, so ist es falsch, wenn die SPIEGEL-Online-Redaktion unter Berufung auf die WHO zu schreibt, dass der Kampf gegen die Tuberkulose und die zunehmend resistenten Bakterienstämme nur mit einem immer massiveren Antibiotika-Einsatz zu führen sei.

Bei der Tuberkulose ist der Zustand des Immunsystems sehr entscheidend – was SPIEGEL Online aber gar nicht thematisiert
In Wahrheit nämlich ist das Immunsystem des Einzelnen (also seine körperliche und seelische Verfassung) entscheidend, ob er oder sie mit den Bakterien, die hier am Werk sind, fertig wird. Sicher können Antibiotika im Zusammenhang mit der Tuberkulose ihre Dienste leisten. Doch das ALLEINIGE Mittel, um der Krankheit zu begegnen, sind sie sicher nicht. Zumal Antibiotika das Immunsystem nicht aufbauen, sondern immunsuppressiv wirken und gerade auch bei geschwächten Menschen entsprechende Nebenwirkungen (z.B. Nieren- und Leberschäden, Beeinträchtigung der Darmflora) entfalten können.

Schaut man sich zum Beispiel die Entwicklung der Tuberkulose-Todesfälle  in Deutschland an (siehe Abbildung), so zeigt sich, dass im Jahr 1750 etwas mehr als 70 Menschen pro 10.000 Einwohner an Tbc starben. Diese Zahl ging dann über die Jahrzehnte kontinuierlich zurück (wobei Antibiotika hierfür nicht verantwortlich gewesen sein können, da erst 1942 der erste Patient überhaupt mit Penicillin behandelt werden konnte). 1955 starben dann nur noch fünf von 10.000 Deutschen an Tuberkulose.

Die Grafik stammt von einem gewissen Prof. Weise vom Bundesgesundheitsamt in Berlin. Dieser vermerkt, dass die Entdeckung des Tuberkulose-Bakteriums im Jahr 1875, die Einrichtung und die Durchsetzung der Heilstättenbehandlung, die Einführung der BCG-Impfung und die breite Anwendung der heute üblichen medikamentösen Behandlung auf das Seuchengeschehen bei der Tuberkulose ohne jeden Einfluss geblieben sind. Kurzum: Es waren die sich verbessernden Lebensumstände (u.a. mit einer besseren Ernährung), die die Tuberkulose sukzessive zurückgedrängt haben.

SPIEGEL Online vergisst zu erwähnen, dass arme Menschen vor allem auch gute Ernährung und soziale Sicherheit brauchen
Wie SPIEGEL Online selber schreibt, sind heuzutage „vor allem Menschen in armen Ländern“ von der Tuberkulose betroffen. Worum es – neben dem gezielten Antibiotika-Einsatz – also gehen muss, ist, das Immunsystem der dort lebenden Menschen in einen guten Zustand zu versetzen, es ihnen also zu ermöglichen, dass sie sich dauerhaft gut ernähren und keinem Sozialstress ausgesetzt sind. Daran verdient nur kein Arzneimittelhersteller, die im Übrigen auch bei der WHO ihre Finger im Spiel haben. Um so wichtiger wäre es gewesen, wenn SPIEGEL Online mal von den Aussagen der WHO abstrahiert und auch das Thema Ernährungssituation und Sozialbedingungen angepackt hätte.

Doch wie sehr SPIEGEL Online offenbar der totalen Mikroben-Panikmache nachhängt und hiermit versucht, auf Deubel komm raus eine reißerische Story zu basteln, zeigte sich auch vor kurzem in dem Artikel „Reicher Bakterienfund auf Arzthandys“ [4]. Dazu schreibt uns Wolfram R.: „Wissenschaftsnachrichten bei SPIEGEL Online sind oft Anlaß zur Erheiterung“ – was man unterstreichen kann, auch wenn einem in Anbetracht der ungeheuren Wirkung des Portals auf die öffentliche Meinung doch ein wenig mulmig werden kann…

Gleich zu Beginn des Stücks lesen wir: „Übler Verdacht gegen Handys in Kliniken: Die Mobiltelefone sind offenbar wahre Bakterienschleudern.“ Denn ein“Team um Fatma Ulger von der türkischen Ondokuz-Mayis-Universität hat 200 Handys von Ärzten und Pflegern unter die Lupe genommen“. Ergebnis: „Auf fast jedem Gerät [wurde] mindestens eine Bakterienart gefunden.“

Doch es ist ja wohl selbstverständlich, dass sich auf jedem Handy, das nicht gerade frisch aus dem Sterilisator kommt, Bakterien tummeln. Dass nicht auf allen welche gefunden wurden, sagt etwas über die verwendeten Nachweismethoden aus, aber kaum etwa über die Handys.

Auch scheint die reißerische Anlage des Artikels gewaltig übertrieben in Anbetracht der mageren Studie, der als Hauptquelle dient (am Ende des Artikels heißt es, dass die die Ergebnisse der Studie „nur aus einer kleinen Zahl von Tests stammten“).