Der SPIEGEL erzählt die Unwahrheit über die Behandlung von verstopften Herzkranzgefäßen

  06. Februar 2009, von T. Engelbrecht

Anfang des Jahres erschien im SPIEGEL ein Beitrag mit der Schlagzeile „Klempnerei am Herzen“ (siehe Ausriss), der auf den ersten Blick durchaus kritisch erscheint. Darin wird darüber berichtet, dass im Kampf gegen den Herzinfarkt bzw. gegen verstopfte Herzkranzgefäße der klassische Bypass häufig die bessere Alternative sei zu so genannten Stents, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Herzmedizin regelrecht erobert haben. Der Unterschied: Bei einem Bypass kommt es zu einer richtigen Operation am Herzen mit dem Ziel, stark verengte oder komplett verschlossene Herzkranzgefäße zu überbrücken. Stents hingegen stellen kleine Gitterröhrchen dar, mit denen verstopfte Gefäße von innen heraus offen gehalten werden und die endoskopisch, also auf minimal-invasivem Weg eingesetzt werden.

Eine Therapie nur mit Sport und Medikamenten, die der SPIEGEL unerwähnt lässt, ist Stents und Bypässen sogar oft überlegen
Doch bei näherer Betrachtung erzählt der Beitrag nur die halbe Wahrheit, um nicht zu sagen die Unwahrheit. Denn in dem Artikel wird fälschlicherweise behauptet, dass es vor dem Aufkommen der Stents Ende der 80-er Jahre „für verstopfte Herzkranzgefäße nur eine Lösung gab: Die Engstelle wurde chirurgisch überbrückt — mit einem Bypass.“ Doch das ist falsch, denn schon damals gab es sehr wohl eine dritte medizinische Variante, um auf verstopfte Herzgefäße therapeutisch zu reagieren, nämlich die so genannte konservative Methode, die auf sportliche Betätigung und Medikamentengaben setzt und dabei auf einen operativen Eingriff verzichtet.

Dass der SPIEGEL-Artikel diese Methode unerwähnt lässt, wiegt umso schwerer, wenn man bedenkt, dass einschlägige Studien belegen, dass diese konservative Methode Ergebnisse liefert, die genau so gut oder gar besser sind als diejenigen, die mit der Verpflanzung von Stents und auch der Verlegung eines Bypasses erzielt werden. Erst Anfang 2008 berichtet etwa die Ärztezeitung von einer Follow-up-Untersuchung einer Studie, die 2004 in der Fachzeitschrift Circulation veröffentlicht worden war. Darin wird aufgezeigt, dass Patienten, die täglich 20 Minuten auf einem Fahrradergometer strampelten, bedeutend weniger von so genannten ischämischen Ereignissen wie Herzinfarkten oder Schlaganfällen betroffen waren als diejenigen, bei denen Stents eingesetzt oder eine Ballondilatation (Methode zur Aufdehnung krankhaft verengter Blutgefäße mittels eines an einem Gefäßkatheter angebrachten Ballons) vorgenommen worden war.

Bereits 2004 hieß es in der Circulation-Studie: „Compared with Percutaneous coronary intervention PCI [= Stents und Ballondilatation), a 12-month program of regular physical exercise in selected patients with stable coronary artery disease resulted in superior event-free survival and exercise capacity at lower costs, notably owing to reduced rehospitalizations and repeat revascularizations.“

Dass der SPIEGEL den Bypass als die große „Hilfe“ verkauft, ist geradezu fahrlässig
Doch nicht nur im Vergleich zu Stents, auch im Vergleich zu Bypässen hat sich, wie Studien zeigen, die konservative Therapie (Sport, Medikamente) bereits als überlegen erwiesen. Angeführt wird hier vor allem die 1998 im New England Journal of Medicine publizierte VANQWISH-Studie, die zeigt, dass Patienten, die einen Bypass erhalten hatten, zum Beispiel deutlich öfter von tödlichen Schlaganfällen betroffen waren als diejenigen, die auf die konservative Therapie gesetzt hatten.

Oft scheint also, wie der SPIEGEL schreibt, der Bybass die bessere Option zu sein als die Stents. Doch knüpfen sich auch an die Bypass-OP oft viel zu hohe Erwartungen. Wurde die Bypass-OP ursprünglich als lebensrettende Maßnahme verkauft, so weiß man heute: Die allerwenigsten Menschen leben durch diese Maßnahme länger, nur eine kleine Gruppe von Patienten – etwa solche, die unter schweren Dreigefäßerkrankungen leiden – profitieren tatsächlich. Auch deswegen ist es geradezu fahrlässig, wenn der SPIEGEL den großen „Vorteilen“ der Bypass-Operation das Wort redet und sie seinen Lesern als die große „Hilfe“ verkauft.

So schrieb zum Beispiel auch das Fachblatt Kardiovaskuläre Medizin vor kurzem zu diesem Themenkomplex: „… Bei Patienten mit chronisch koronarer Herzkrankheit haben mehrere prospektiv randomisierte Studien gezeigt, dass die PTCA [=Herzkranzgefäßerweiterung, inklusive Stents] ebenso wie die Bypass-Operation im Vergleich mit einer konservativen Therapie [= Sport und/oder Medikamente] kurzfristig nicht zu einer Verbesserung der Prognose führen. Dass dies, wie in der [2008 veröffentlichten] COURAGE-Studie untersucht wurde, auch über 4 Jahre der Fall ist, erstaunt im Licht des heutigen pathophysiologischen Verständnisses der chronisch koronaren [= die Herzgefäße betreffend] Herzkrankheit wenig.“

 

Ein Kommentar zu “Der SPIEGEL erzählt die Unwahrheit über die Behandlung von verstopften Herzkranzgefäßen”

  1. koehnlein sagt:

    Ist gut geworden!

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