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Der SPIEGEL geriert sich beim Thema Arbeitskosten als Sprachrohr der Arbeitgeber – und verklärt in einer Schmonzette die Kohl-Ära zur Zeit der „Sicherheit und Behaglichkeit“

(Mit Dank an Andreas R.)

Es ist schon bemerkenswert, mit welch verzerrtem bzw. arbeitgeberfreundlichem Blick so mancher SPIEGEL-Journalist auf die Realität schaut. [1]Da darf Markus Feldenkirchen [2] aktuell in seinem SPIEGEL-Online-Aufmacher „Wir Kohl-Kinder“ [3] (siehe auch Screenshot) den sechsten Bundeskanzler der Deutschen als „Glücksgriff“ bezeichnen und dessen Ära von 1982 bis 1998 zur Zeit der „Sicherheit und Behaglichkeit“ verklären. Mit Verlaub, Herr Feldenkirchen. Sie müssen kein linker Birne-Hasser sein, um ein realitätsnahes Bild von Kohl zeichen zu können, doch Ihre Lobeshymne auf den Altkanzler ist schlicht realitätsfern.

Kohl trieb Arm und Reich auseinander – und so eine Politik soll „Sicherheit und Behaglichkeit“ geboten haben, wie SPON meint?
So wurde Kohl ja gerade abgewählt, weil seine Politik, um nur ein wichtiges Beispiel zu nennen, Arm und Reich immer weiter auseinandergetrieben hat und sie damit den Menschen eben immer weniger „Sicherheit und Behaglichkeit“ bieten konnte. Auch Kohls Politik war nunmal auf die Vermehrung des Reichtums der herrschenden Schichten ausgerichtet (womit er sich von seinen Nachfolgern im Übrigen nicht unterscheidet). Und genau dies scheinen Sie, Herr Feldenkirchen, als „Glücksgriff“ zu empfinden. Na dann Prosit!

Am besten, man verleiht Helmut Kohl gleich den Nobelpreis, wie es die Titanic vorschlägt [4]!

Der SPIEGEL übersieht: Im Wettbewerb entscheiden die Lohnstückkosten – und die waren bis 2007 sehr niedrig
Zu Feldenkirchens Kohl-Schmonzette passt auch der kürzlich auf SPIEGEL Online erschienene Beitrag „EU-Vergleich: Arbeitskosten in Deutschland steigen massiv“ [5]. Darin erfahren wir, dass die Arbeitskosten hierzulande um vier Prozent steigen – und dass dies für die Unternehmen „drastische“ Auswirkungen hat. Die Frage ist jedoch, ob dies wirklich „massiv“ ist – zumal inflationsbereinigt ein Rückgang des Reallohnes um 0,4 Prozent dabei herauskommt.

Damit die vier Prozent überhaupt „errechnet“ werden können, werden nämlich auch fröhlich die abgefeierten Überstunden des Vorjahres dazugerechnet, die man krisenbedingt natürlich nicht ausgezahlt bekommt, sondern abzufeiern hat. Und wenn man zuhause bleibt statt zu arbeiten und dafür dann trotzdem weiter seinen Monatslohn (oder auch Kurzarbeitergeld) bekommt, ist das statistisch natürlich mehr Geld bei weniger Arbeit. So werden hierzulande also Statistiken krummgebogen und Überschriften gebastelt.

Und wo der SPIEGEL die ganzen lohnkostensenkenden Ein-Euro-Jobber, Tagelöhner, Leih- und Zeitarbeitsleute und die Tarifflucht der Arbeitgeber versteckt hat, wird wohl sein Geheimnis bleiben.

Der allergrößte Lacher ist aber ohnehin, dass die Arbeitskosten letztlich überhaupt nicht interessieren, sondern nur die Lohnstückkosten. Auch wenn jemand 100 € als Stundenlohn bekommen würde, dafür aber im Gegenzug das 20-fache an Fertigteilen eines 10-€-Stundenlöhners produzieren kann, ist derjenige mit 100-€-Stundenlohn der billigere Mitarbeiter. Toll, oder?

Dabei lohnt der Blick darauf, wie sich in Deutschland die Lohnstückkosten seit dem Jahr 2000 verändert haben. Hier hatte Deutschland in den sieben Jahren bis 2007, also vor Ausbruch der Krise, die bei weitem geringste Entwicklung. Leider bringt das Statistische Bundesamt, auf das sich der SPON-Artikel beruft, diese viel wichtigere Übersicht nicht (siehe dazu www.jjahnke.net [6]).

SPON-Bericht als Steilvorlage, um noch mehr deutsche Lohndisziplin einzufordern
Aber selbstverständlich werden die Papageien der Arbeitgeberlobby wieder in alle TV-Talkshows einfliegen und „engere Gürtel“ sowie eine Senkung der Lohnnebenkosten fordern. Denn da von all diesen Ersparnissen dank lachhafter Gewerkschaften beim Arbeiter nichts ankommt, kommen alle Senkungen in voller Höhe dem Konzerngewinn und somit den Managerboni zugute.

Dazu passt auch die Meldung, die vorgestern auf focus.de zu lesen ist: „Vorstandsvergütungen: Gehälter der Dax-Bosse exorbitant gestiegen“ [7]. Während sich also viele Mitarbeiter schon über ein paar Prozent mehr
Gehalt freuen, konnten Dax-Vorstände ihr Einkommen in zehn Jahren um bis zu 483 Prozent steigern. DAS ist doch mal eine echte MASSIVE Steigerung.

Allein 2009 steigen die Gehälter der Vorstandsetagen um lustige 35 Prozent. Und im Krisenjahr 2009, in dem viele Familien in die unsichere Kurzarbeit oder sogar in die Hartz-IV-Enteignung geschickt wurden, hat das Volksvermögen 2009 um satte 190 Mrd. € zugelegt [8]. Und da die Arbeitnehmer 0,4 Prozent Reallohnverlust hinnehmen mussten und die Renten und Hartz-IV-Beiträge nicht erhöht wurden, bleibt ja nur noch eine Gruppe übrig, der dies 190 Mrd- € zugeflossen sein kann: Die obersten 10 Prozent.