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Der SPIEGEL: Hofberichterstattung für Angela Merkel, die Zweite

Mitte Mai berichtete SPIEGELblog, wie der Kisch-Preisträger und SPIEGEL-Autor Alexander Osang mit seinem 10-seitigen Beitrag „Die deutsche Queen“ Hofberichterstattung für die Kanzlerin Angela Merkel betrieb [1]. [2]Jetzt hat Dirk Kurbjuweit, Leiter des Ressorts Deutsche Politik im Hauptstadtbüro, mit seinem SPIEGEL-Online-Beitrag „Deutschlands Kanzlerin: Mutti Merkel, die Große“ in gleicher Manier nachgelegt (siehe ersten Screenshot). Der Artikel erschien dem Online-Portal so wichtig, dass er über einen sehr langen Zeitraum einer der Hauptaufmacher blieb.

Merkels Vergangenheit als FDJ-Funktionärin für Agitation und Propaganda blendet der SPIEGEL erneut einfach aus
Das prekäre daran: Auch dieser Beitrag hätte gut in eine CDU-Mitgliederzeitschrift gepasst, für ein Medium, das sich selbst als [3]„Sturmgeschütz der Demokratie“ bezeichnet, ist ein solcher Artikel jedoch unwürdig. Allein das Foto hätte die PR-Agentur der CDU nicht besser aussuchen können. Und dann diese Plattitüden, die bereits im Vorspann beginnen. Nicht nur die Überschrift „Mutti Merkel“ ist – vor allem auch in Kombination mit dem Bild – geradezu verniedlichend; und auch Sätze wie „Die Kanzlerin ist eine kühle Machtstrategin – und hält gleichzeitig alle bei Laune“ sind geradezu grotesk.

Vielleicht hält die Kanzlerin alle verbrämten Politik-Journalisten beim SPIEGEL bei bester Laune, doch dass Merkel, wie Kurbjuweit behauptet, „alle Gesellschaftsmitglieder bei Laune halten könne“, kann nur einer Realitätswahrnehmungsstörung geschuldet sein. Allein wenn man daran denkt, dass auch unter Merkels Zeit als Kanzlerin Arm und Reich in Deutschland weiter auseinandergedriftet sind, bleibt einem das Lachen über Merkels muttimäßige Fönfrisur im Halse stecken. Davon abgesehen haben CDU plus CSU bei der Bundestagswahl wohlgemerkt gerade einmal etwas mehr als 30 Prozent eingefahren… Fast 70 Prozent der Wähler plus Millionen von Nichtwählern finden Merkel also gar nicht so zum Lachen.

Besonders unjournalistisch ist auch, dass Kurbjuweits Beitrag letztlich praktisch nichts wirklich Kritisches zutage fördert. Während der SPIEGEL zum Beispiel nicht müde wird, der LINKEN ihre DDR-Vergangenheit aufs Brot zu schmieren, verliert man über die DDR-Vergangenheit der Kanzlerin kein Sterbenswörtchen. Dabei war Merkel nicht geringeres als FDJ-Funktionärin für Agitation und Propaganda. Damit gehörte sie zur Kampfreserve der Partei und war alles andere als die nette „Mutti“ von nebenan. Und dass die CDU die DDR wirklich aufgearbeitet hat, kann man nun wirklich nicht sagen. Hat die Partei der guten Christen doch das Vermögen zweier SED-Blockparteien geschluckt, deckt aber ansonsten über ihre Vergangenheit den Mantel des Schweigens – und Kurbjuweit schweigt mit.

Oder wie steht es um die Frage, welche Rolle Angela Merkel in ihrer Zeit als Bundesumweltministerin womöglich in dem Asse-Skandal gespielt hat? Dies wäre doch wirklich mal eine Rechercher wert – mindestens genau so spannend wie umfassenden Recherchen des SPIEGEL über Gregor Gysis DDR-Vergangenheit. Doch auch hierzu sagt Kurbjuweit nichts (siehe dazu auch den SPIEGELblog-Bericht „Der SPIEGEL geriert sich als eine Art Marketingmaschine für Angela Merkel – und sorgt sich um die “Glaubwürdigkeit” der Lügenbaronin“ [4]).

Auch hätte sich Kurbjuweit, um nur eines von etlichen weiteren Möglichkeiten zu nennen, doch mal dezidiert der Frage annehmen können, was es über Angela Merkel aussagt, dass sie jemanden wie Wolfgang Schäuble zum Finanzminister ernennt – eine Frage, die vor kurzem der Journalist Rob Savelberg vom niederländischen Telegraaf auf einer Pressekonferenz an die Kanzlerin richtete (siehe zweiten Screenshot; der Journalist Gerhard Wisnewski macht darauf noch mal explizit auf seiner Website [5] aufmerksam):

Savelberg: „Wie kann man einem Mann [wie Schäuble], der sich nicht an den Verbleib von 100.000 Mark erinnern kann, das Amt des Finanzministers anvertrauen?“

Merkel: „Weil diese Person mein Vertrauen hat.“

Savelberg: „Aber kann er denn mit Geld umgehen, wenn er vergisst, dass er 100.000 Mark in bar in seiner Schublade liegen hat?“

(Heiterkeit im Saal)

Merkel: „Ich habe wirklich alles gesagt dazu.“

Savelberg: „unverständlich.“

Merkel: „Ja, ich kann gerne den Satz nochmal wiederholen, aber ich habe aus meiner Sicht alles gesagt.“

Savelberg: „Aber es geht um die Finanzen von 82 Millionen Deutschen …“

Merkel: „Die nächste Frage.“