Der SPIEGEL: Ohne Kopf gegen Kapitalismus-Kritiker Dietmar Dath

  09. Februar 2009, von T. Engelbrecht

„Now watch what you say or they’ll be calling you a radical, liberal, fanatical, criminal.“
Aus: „The Logical Song“, Supertramp, 1979

(Mit Dank an Florian Hohenauer für den Hinweis)

Dietmar Dath, SPIEGEL Online
Dietmar Dath, SPIEGEL Online, 29. Jan. 2009

„Wer beherrscht eigentlich heute noch die Kunst der Polemik, die darin besteht, seinen Gegner planvoll und doch kurzweilig tranchieren?“, fragte der einstige Weltbühne-Herausgeber Carl von Ossieztky. Nun, der SPIEGEL offenbar nicht. Jedenfalls endet ein solcher Versuch bei dem Nachrichtenmagazin oft genug in einer üblen Diffamierung, die nicht nur so unerquicklich ist, weil sie haltlos daherkommt, sondern auch, weil sie überkommene und vereinfachte Denkmuster präsentiert und zudem nicht selten auch noch gegen die schwächeren Bereiche der Gesellschaft gerichtet ist. „Immer öfter ist Goliath der Gute, wie selbst ein SPIEGEL-Redakteur beklagt haben soll.

SPIEGEL-Verriss fehlt es an nachvollziehbarer Argumentation
Dieses Phänomen zieht sich sogar bis ins Kulturressort des SPIEGEL hinein. So wird in dem Stück „Mit dem Kopf gegen den Kapitalismus“ (siehe auch Screenshot) über den Schriftsteller Dietmar Dath bereits im Vorspann munter drauflos gelästert: „Nichts ist simpler, als Dietmar Dath doof zu finden: Er macht es einem schwer beim Lesen, er ist ausschweifend und belehrend, und in seiner Literatur kommen Zombies vor. Aber er ist Deutschlands einziger Jung-Autor mit Haltung – und sehr interessanten Argumenten für den Sozialismus.“ Das Problem dabei: Letztlich erfährt man von Phillipp Oehmke, dem Verfasser des SPIEGEL-Beitrags, gar kein „interessantes Argument für den Sozialismus“, und überhaupt legt Oehmke gar nicht klar dar, warum angeblich „nichts simpler ist, als Dietmar Dath doof zu finden“.

Um so unseriöser wirkt es, wenn Oehmke Schriftsteller Dath „doof“, „belehrend“ usw. findet und dabei vor allem auf selbst verliebte Formulierungen bedacht ist, nicht aber auf einen wirklichen Dialog mit dem Autor, um den es hier ja gehen soll.

Vereinfachte Denkschemata werden dem Thema nicht gerecht
Oehmke ist, so der Eindruck, intellektuell überfordert mit dem Thema. Etwa, wenn er schreibt: „Dath interessiert nicht, wie die Welt ist. Seine Texte handeln davon, wie die Welt sein sollte, wie sie hoffentlich nicht sein wird oder ganz neutral sein könnte. Und damit ist man automatisch bei spekulativen Texten, bei phantastischer Literatur.“ Kritik am System setzt Oehmke also gleich mit Phantasterei. Ein Status-quo-Denken, das erschrickt – genau wie die vereinfachten Denkschemata, die Oehmke seinem grob skizzierten Dialog mit Dath überstülpt.

Dies ist besonders dem letzten Abschnitt des Artikels, der die Zwischenüberschrift „Abschaffung des kapitalistischen Systems“ trägt, anzumerken. Da redet Oehmke plakativ vom „kapitalistischen System“– als ob es DAS kapitalistische System geben würde. Und dann versteigt er sich auch noch zu dem Satz, dass niemand heute noch die Abschaffung dieses „kapitalistischen System“ wolle – vor allem auch, weil ja ohnehin niemand wissen würde, was dann an dessen Stelle kommen könnte. Was für eine Eindimensionalität des Denkens…

Oehmkes suggeriert in haltloser Weise, Dath sei ein Verfechter der DDR-Diktatur
Natürlich gab es da doch mal was, ach ja, die DDR. Und sogleich strickt Oehmke in seinem Beitrag an einer Strategie, wie er Dath der DDR-Nostalgie überführen kann. Und so zitiert er Dath, der meint, der Sozialismus werde es schon noch schaffen, weil ja „auch die bürgerliche Demokratie ein paar Anläufe gebraucht habe.“ Was genau Dath mit Sozialismus meint, skizziert Oehmke aber leider nicht. Lediglich heißt es, dass Dath von einem „System der gemeinschaftlichen, arbeitsteiligen, demokratischen Produktion auf dem Stand der höchsten Technik“ träumt. Diese Worte erinnern an das, was Willy Brandt mit demokratischem Sozialismus im Sinn hatte – und was auch immer Dath damit gemeint hat, ein System im Sinne eine diktatorischen DDR-Überwachungsstaates schwebt Dath sicher nicht vor – was Oehmke aber nicht daran hindert, ihm genau das zu unterstellen.

Oehmkes Stück kennzeichnet das Unvermögen, über das Zweiermodell mit den Kampfbegriffen Kapitalismus und Sozialismus hinaus zu denken – ein Modell, das jedem klar denkenden Menschen, der die 70-er und 80-er Jahre des 20. Jahrhunderts miterlebt hat, einfach nur zum Hals heraushängt. Denn in diesem Modell wird übersehen, dass es sehr wohl Ideen für ein Zusammenleben auf dieser Erde gibt, die jenseits dessen liegt, was wir in den Industriestaaten insbesondere in den vergangenen zwei Jahrzehnten oder die Menschen in der DDR bis Ende der 80-er gelebt haben. Doch solche Ideen sind offenbar nicht Teil der Oehmkeschen Denkhemisphäre.

Oehmkes Eindimensionalität verwundert in Anbetracht der vielen gesellschaftlichen Entwürfe
Was nicht nur unverständlich wird, wenn man an die erwähnten Ausführungen von Willy Brandt denkt. Auch versammelte sich zum Beispiel die Weltgemeinschaft 1992 auf der Umweltkonferenz in Rio de Janeiro und einigte sich dort auf die Umsetzung eines Miteinanders, das sukzessive Abschied nimmt von einem rein quantitativen Wachstumsmodell und hinsteuert auf ein Wirtschaftsmodell der nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development). Oder denken wir an das Konzept der ökosozialen Marktwirtschaft, das unter anderem von der Global Marshall Plan Initiative vertreten wird und grob formuliert eine gezähmte Form des Kapitalismus, den wir heute erleben, im Auge hat. Erklärt werden die dahinter stehenden Ideen etwa von dem Wirtschaftprofessor Franz Joseph Radermacher in dem Buch „Welt mit Zukunft“.

Etwas philosophischer könnte man auch mit Friedrich Nietzsche sagen: „Tausend Pfade gibt es, die noch nie gegangen sind, tausend Gesundheiten und verborgene Eilande des Lebens. Unerschöpft und unentdeckt ist immer noch Mensch und Menschen-Erde.“

 

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