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Der SPIEGEL präsentiert Aquafarmen für Kabeljau fälschlicherweise als Beitrag zur Rettung der Wildfischbestände…

… und vermeidet dabei auch noch die kritische Beleuchtung brisanter Aspekte wie die Flucht von Zuchtfischen aus den Becken oder den Stress der Tiere in den begrenzten Bassins.

Der Beitrag, erschienen im SPIEGEL vom 9. Februar [1] und geschrieben von Wissenschaftsredakteur Gerald Traufetter (siehe Ausriss), beginnt mit kernigen Worten: [1]Fische wie „Bodybuilder“ würden da in Norwegens „ersten Aquafarmen für Kabeljau“ herangezogen, und „Gourmet-Köche schwören, dass die Zuchtfische sogar besser schmecken“ – und vor allem auch „sollen [diese Aquafarmen] die überfischten Bestände im Meer entlasten“.

Doch so fantastisch dies klingt, so falsch ist es, denn wie selbst die Züchter aus Norwegen auf Nachfrage bestätigen, können auch die modernen Kabeljaufarmen nicht helfen, die überfischten Weltmeere zu entlasten – Weltmeere, in denen der Mensch des Industriezeitalters Raubfischarten wie Kabeljau, Schwertfisch, Hai oder Thunfisch bereits um 90 Prozent dezimiert hat [2]. Des weiteren sind Aquafarmen mit brisanten Problemen verbunden [3], die aber in dem SPIEGEL-Artikel gar nicht diskutiert werden.

(1) Norwegens Kabeljaufarmen sind keine Retter für die wilden Fischbestände, weil tatsächlich gerne mehr als 5 kg Wildfisch nötig sind, um 1 kg Zuchtfisch zu erhalten – was die Überfischung der Meere weiter forciert
Der SPIEGEL: So heißt es in dem Artikel, der WWF hätte die norwegischen Kabeljau-Farmfische sogar „als Retter der Wildbestände ausdrücklich geadelt“ – und Züchter Steinar Eliassen wird in diesem Zusammenhang mit den Worten zitiert, er müsse nur „1,1 kg Fisch[trocken]futter in seine Käfige pumpen, um 1 kg Kabeljau zu ernten“.

Dazu SPIEGELblog: Der SPIEGEL vergleicht hier Äpfel mit Birnen, wenn er Fischtrockenfutter und Zuchtkabeljau gegenüberstellt. Vergleichen muss man nämlich das Lebendgewicht der verfütterten Fische mit dem Ledendgewicht der daraus entstehenden Zuchtdorsche. Und wenn man dies tut, so zeigt sich, dass es gerne mehr als 5 kg an lebendem Wildfisch bedarf, um 1 kg Zuchtkabeljau zu produzieren – was die Überfischung der Meere weiter vorantreibt.

„Die Wildbestände werden nur effektiv geschützt, wenn für die Erzeugung von 1 kg Zuchtfisch deutlich weniger als 1 kg Wildfisch verfüttert werden muss“, so Heinzpeter Studer von der Organisation fair-fish [4]. Der SPIEGEL liefert seinen Lesern also nicht die korrekte Rechnung [5].

Erschwerend kommt hinzu, dass in dem Kabeljaufutter bzw. überhaupt in dem Futter für Zuchtfische reichlich Fischöl enthalten ist, mit dem etwa die Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren gewährleistet werden soll. Und um Fischöl zu gewinnen, bedarf es Unmengen an Fisch (Lebendgewicht). Dies rückt den Wunsch, aus Aquafarmen Stätten zur Rettung der Wildfischbestände zu machen, in noch weitere Ferne.

Die enormen Engergiekosten, um all das Fischmehl und Fischöl herzustellen, sind in der Rechnung im Übrigen noch gar nicht enthalten.

Und nicht zuletzt ist es so, wie auch Züchter Eliassen auf Nachfrage sagt, dass in der Massentierhaltung an Land Unmengen an Fischmehl in den Trögen von Schweinen und Hühnern landet. „Zuerst müssten die Hühner- und Schweinemastfarmen der Welt verschwinden, sonst sind ohnehin alle Bemühungen, die Überfischung der Meere aufhalten zu wollen, vergebens“, so Eliassen.

(2) Mögliche Qualen der Fische sind für den SPIEGEL kein Thema
Der SPIEGEL: In dem Beitrag lesen wir zudem, dass „unten im Netz ein grünliches Licht schimmert. Das soll den schuppigen Gefangenen die sommerliche Mitternachtssonne vorgaukeln. ‚So wollen wir sie davon abbringen, sich fortzupflanzen‘, erklärt [Züchter] Eliassen.“

Dazu SPIEGELblog: Das enorme Wachstum der Fischzuchtindustrie macht es schwer, Fragen nach dem Wohl der Fische auch nur einigermaßen ernsthaft zu diskutieren oder gar Mittel für entsprechende Forschungen zu bekommen. Doch warum der SPIEGEL hierzu überhaupt nicht kritisch Stellung nimmt, verwundert. Denn nicht nur gibt es klare Hinweise darauf bzw. kann niemand ausschließen, dass Fische extrem sensibel sind und sehr wohl Stress und Schmerzen empfinden [6]. Auch verdeutlicht dies eine Passage in dem SPIEGEL-Artikel selber: „[Der Kabeljau] entzog sich mit seinem urwüchsigen Verhalten den Zwängen der Fischzuchtindustrie… ‚Kabeljau sucht ständig nach einer Öffnung im Netz‘, sagt Atle Mortensen, Leiter des Norwegischen Zuchtprogramms für Kabeljau. Aus diesem Grund brauchen die Züchter doppelwandige Gehege.“ Unter anderem deshalb ist es aus Sicht von Tierschützern grundsätzlich problematisch, Arten wie Lachs, Thunfisch oder Kabeljau zu züchten, die in freier Natur große Wanderungen vollziehen.

Stressfaktoren in der Zucht sind: Besatzdichte (meist zu hoch, kein Rückzug möglich), zuviel Licht, Lärm/Erschütterungen, stark veränderte Sozialstrukturen (steile soziale Hierarchien, Terror gegenüber schwächeren Tieren), Wasserparameter, Futterprobleme. Zwar kann sich ein Züchter wie bei der Massentierhaltung von Schweinen oder Rindern weit von den Bedürfnissen der Tiere entfernen und sie doch zum wachsen bringen – fragt sich nur, wie viele Qualen im Zuge dessen erlitten haben und was wir am Ende da essen.

(3) Fehlende Diskkussion über folgenreiche Phänome wie Gentech-Fische oder die Flucht von Zuchtfischen?
Der SPIEGEL: Am Ende heißt es in dem SPIEGEL-Beitrag: „Die Turbo-Evolution will der Zoologe [Atle Mortensen] weiter forcieren. Dazu sequenzieren gerade norwegische Genforscher das Erbgut des Kabeljaus. ‚Wir wollen jene Gene finden, die für Wachstum und Abwehrkräfte ausschlaggebend sind‘, erklärt Mortensen.“

Dazu SPIEGELblog: Hier ist man offenbar bestrebt, gentechnisch veränderte Fische zu züchten – was nicht nur in krassem Gegensatz steht zum Grundtenor des Artikels, in dem von „Bio-Kabeljau“ und „ökologischen Standards“ die Rede ist. Auch ist Tierzucht zu Mastzwecken an sich schon ein Ausschalten natürlicher Selektion – und mit dem Eingriff in die genetische Vielfalt, die bei natürlicher Reproduktion gegeben ist, wird sie geradezu auf den Kopf gestellt. Schon ohne Gentechnik kann das zu Folgen führen, wie wir sie aus einseitig zielorientierten Tierzuchten längst kennen – ganz zu schweigen von den Abhängigkeiten der Produzenten von Zuchtkonzernen und von der Gefährdung der Nahrungsversorgung durch die Verengung der genetischen Vielfalt.

Bei der Fischzucht besteht zudem die reale Gefahr, dass gentechnisch modifizierte Arten in die Wildnis entweichen können – ein Phänomen, das schon bei nicht gentechnisch veränderten Tieren ein Riesenproblem darstellt. So verschwinden pro Jahr stolze 2 Millionen Zuchtlachse allein aus norwegischen Farmen. Und diese paaren sich nicht nur ständig mit ihren genetisch weit entfernten Verwandten – auch sind diese „Ehen“ zwischen Gen-Zuchtlachs und Wildlachs für den Fortbestand der wilden Urrasse regelrecht tödlich, den der daraus entstehende hybride Nachwuchs ist ohne Ausnahme ein hoffnungsloser, genschwacher Verlierer. Er ist weniger fit und schafft die Fortpflanzung oft nicht [7] (dies lässt Begriffe wie „Bodybuilder“, die der SPIEGEL in seiner Headline benutzt, auch noch mal in einem anderen Licht erscheinen). Doch auch auf diese Problematik geht der SPIEGEL-Artikl nicht ein, was verwundert, wenn man bedenkt, dass die Genmanipulation auch bei Fischen längst im Gange ist [8] und dass die Unbedenklichkeit solcher Gentech-Fische alles andere als gewährleistet ist.