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Der SPIEGEL über 25 Jahre Privatfernsehen: beklagenswert banale Kritik am scheinbar Banalen

Am SPIEGEL (und noch mehr an vielen anderen Medien) ist nicht nur tragisch, dass er nicht selten an den Fakten vorbei berichtet und dabei sogar industriefreundlich daherkommt (wie etwa bei den Themen Mobilfunk [1] oder Gentechnik [2]). Auch ist der SPIEGEL nicht selten einfach so banal, dass man sich die Augen reibt und fragt: Lese ich hier wirklich den SPIEGEL, der ja nach eigenem Bekunden „für investigativen Journalismus steht“ und meint, seine Leser „wissen mehr“ – oder habe ich nicht doch die Hörzu in der Hand?

Gesüßte Kritik in Anbetracht der Macht des bonbonartigen Privatfernsehens unangemessen
Dabei ertappt man sich auch, wenn man in der aktuellen Ausgabe des SPIEGEL blättert und etwa auf den  Artikel „Es bewegt uns noch“ [3] stößt (siehe Ausriss). Darin wird der „25. Geburtstag des deutschen Privatfernsehens“ zum Anlass genommen, Resümee zu ziehen. [4]Doch dieses Resümee fällt so gesüßt aus wie die bonbonartige Unterhaltung des Privatfernsehens selbst. Oberflächlich betrachtet könnte man in dem mit vielen bunten Bildchen gespickten SPIEGEL-Potpourri kein Problem sehen, doch in Anbetracht der ungeheueren Macht der privaten Fernsehstationen – der SPIEGEL selber hebt hervor, dass allein aus RTL und Sat.1 „zwei große Fernsehkonzerne mit Milliardenumsätzen wurden“ – auch auf die politischen Anschauungen und Strukturen in der Gesellschaft ist dies unangemessen.

Das Kernproblem ist, dass die Privaten praktisch NUR Gaga machen
Das Hauptproblem der Privaten ist dabei nicht in erster Linie, DASS sie Gaga-Fernsehen machen – gute Unterhaltung gehört irgendwie zum Leben dazu -, sondern dass sie de facto NUR Gaga machen – ein Phänomen, das sich wohlgemerkt bis in die so genannten Nachrichtensendungen wie RTL aktuell, die den Politikern und Konzernlenkern genau so wenig das Fürchten lehren wie Anfang der 90-er Jahre Tutti Frutti und heute Wer wird Millionär?, hineinzieht.

Gemessen an dem Anspruch, den sich der SPIEGEL mit seiner Eigenwerbung auferlegt, wäre es also seine Aufgabe gewesen zu ergründen, wie es dazu kommen konnte, dass die Privaten nichts als Fun-Fernsehen machen und somit im negativen Sinne staatstragend wirken, indem sie die von sozialen Missständen immer stärker betroffenen Massen bei Laune halten. Der SPIEGEL hat es also schlicht versäumt darzulegen, um mit Herbert Marcuse zu reden, ob bzw. inwiefern das Privatfernsehen „bei den Menschen ein falsches Bewusstsein erzeugt, das gegen seine eigene Falschheit immun ist“.

Der SPIEGEL hätte beleuchten müssen, was wegen der Privaten „alles Mist ist“
Der SPIEGEL hätte auch die Beschreibung vom Fernsehen zum Thema machen können, die Jürgen Roth in seinem Beitrag „Was Mist ist“ in der aktuellen Ausgabe der Titanic gibt. Roth umschreibt „das Fernsehen, zweifellos, als die unaufhörliche Krönung dessen, was ‚das Scheißvolk‘ (Charles Bukowsky, Tagebücher) und die von den ökonomischen Eliten in Grund und Boden Gedemütigten fürs Leben halten – es ist dies, ungeachtet der seit Reich-Ranickis ridiküler Fernsehpreis-Empörung orgelnden Fernsehqualitätsdebatte, keine allzufrische Erkenntnis, und doch bleibt sie angesichts der epidemischen Selbstentäußerung und -verblödung gültig“…

Zumal gleich drei Autoren an dem SPIEGEL-Potpourri herumgebastelt haben – doch dabei in Sachen Kritik am Privatfernsehen nicht mehr zustande gebracht haben als lediglich einmal Helmut Schmidt zu zitieren, der bereits 1979 als „damaliger Bundeskanzler befand, kommerzielles Fernsehen sei ‚gefährlicher als Kernenergie'“. Doch offenbar ist der SPIEGEL den Privaten gegenüber so versöhnlich gestimmt wie Helmut Schmidt heute gegenüber der Kernkraft [5], weshalb es die drei Autoren auch gar nicht für nötig befanden, des Altkanzlers Frontalkritik am Privatfernsehen von 1979 weiter zu thematisieren.

Und sie rechtfertigen dies kurz und knapp damit, dass „man ja mittlerweile doch feststellen muss: Es war nicht alles schlecht [bei den Privaten] in diesem Vierteljahrhundert“, und: „Vieles hielt (oder hält sich) in dem angeblich so atemlosen Kommerz-TV erstaunlich lange“. Doch diese Sätze taugen nicht, um von einem Nachrichtenmagazin, das sich selbst investigativ nennt, als Gründe angeführt zu werden dafür, dass man dabei stehen bleibt zu zeigen, das Privatfernsehen spreche ja noch das Spaßzentrum ins unseren Gehirnen an – während man überhaupt nicht auslotet, wie und in welche Richtungen die Privaten in den vergangenen 25 Jahren die Machtgeschicke dieses Landes gelenkt haben und was das für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und andere wichtige Themenfelder bedeuet.

Welche Rolle spielen mediale Verflechtungen?
Anstatt also sich darauf zu beschränken, mit einem Augenzwinkern die Werbepause als „die warscheinlich wichtigste Errungenschaft des Privatfernsehens schlechthin“ zu bezeichnen – und anstatt Formate wie die am 19. September 2004 auf RTL gestartete Sendung „Die Super Nanny“ nur dafür zu loben, dass sie „eine der Ersten war, die es wagte, uns mitzunehmen in den düsteren Alltag unter deutschen Dächern“, hätten die SPIEGEL-Autoren zumindest auch detailliert aufzeigen müssen, wie sträflich es die Privaten vernachlässigt haben, auf investigative Weise Licht in dunkle Machtstrukturen der Gesellschaft bringen. In Machtstrukturen, die zum Ergebnis haben, dass es in Deutschland schon viel zu viele dieser düsteren Alltage gibt, wie sie in „Die Super Nanny“ telegen einem Millionenpublikum präsentiert werden.

Wer etwas in die Hintergründe eintaucht, stellt derweil fest, dass nicht nur die RTL-Familie weitgehend zum Gütersloher Bertelsmann-Konzern gehört. Auch hält der Bertelsmann-Konzern knapp 75 Prozent der Gesellschafteranteile an dem Verlagshaus Gruner + Jahr [6] – und Gruner + Jahr wiederum ist mit 25,50 Prozent am SPIEGEL-Verlag beteiligt [7]. Wollte der SPIEGEL womöglich deshalb den privaten Fernesehstationen in Deutschland ihre Bonbon-süße Jubiläumsfeier nicht mit einem gepfefferten Artikel vermiesen? In diesem Zusammenhang fällt im Übrigen auch auf, dass von den 26 im SPIEGEL-Artikel kurz porträtierten Sendungen, die, so wörtlich, „willkürlich ausgewählt“ wurden, 17 sind, die zur RTL-Familie gehören (15x RTL, 1x RTL II, 1x Vox). Zufall?