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Der SPIEGEL über Handystrahlung und Krebs: Berichterstattung im Stile einer PR-Abteilung der Mobilfunkindustrie

„Long-term use of mobile phones may be linked to some cancers, a landmark international study will conclude later in 2009.“
Daily Telegraph, 24. Okt. 2009 [1]

Wie industriefreundlich und faktenfern der SPIEGEL das Thema Mobilfunkstrahlung angeht, [2]darüber hat nicht nur SPIEGELblog bereits ausführlich berichtet [3]. Auch die renommierte Medienfachzeitschrift message zum Beispiel wundert sich in ihrem Beitrag “Funkstille über Strahlungsschäden” [4] darüber, wie unkritisch und einseitig der SPIEGEL das Thema anpackt und Mobilfunkskeptiker einfach abqualifiziert.

Die Studie, auf die sich die verharmlosenden Aussagen von SPIEGEL Online stützen, ist letztlich wertlos
Letztlich muss man konstatierten, dass das selbsternannte „Sturmgeschütz der Demokratie“ über mögliche Gefahren von Handystrahlen im Stile einer PR-Abteilung der Mobilfunkindustrie berichtet, was heute wieder zu beobachten ist. Da behauptet SPIEGEL Online, erneut hätte „eine Studie mit Zehntausenden Patienten ergeben, dass von Handys keine akute Krebsgefahr ausgeht“ [2] (siehe Screenshot). So steht es wörtlich im Vorspann des Beitrags. Doch diese Behauptung entbehrt jeder Grundlage, wie dem aufmerksamen Leser gewahr wird, wenn er den Artikeltext liest. Dort heißt es nämlich, dass die Autoren der Studie, auf die sich der SPIEGEL-Online-Beitrag stützt, „einschränkend erklärten“, dass der letztlich untersuchte Zeitraum von „fünf bis zehn Jahren möglicherweise noch zu kurz ist für den Ausbruch von Krebserkrankungen“.

Und in der Tat ist dem so, denn „brain cancer can take forty years to develop in adults“, worauf auch die amerikanische Krebsforscherin Devra Davis in ihrm Buch „The Secret History of the War on Cancer“ aufmerksam macht. Ihr Fazit: „There is a growing body of evidence that there’s a serious Problem. [Many reputable and independent scientists] are suggesting that electromagnetic fields be considered a possible human carcinogen“ (S. 409-410).

Mit anderen Worten: Die Studie, deren Schlussfolgerungen SPIEGEL Online unkritisch übernimmt, ist in Wahrheit wertlos, um Aussagen darüber treffen zu können, ob Handystrahlen Krebs Vorschub leisten.

Beweislage, Beweislast und Industrieeinflüsse interessieren den SPIEGEL gar nicht
Dessen ungeachtet behauptet SPIEGEL Online auch noch, inzwischen lägen „Tausende Studien zum Thema vor… [und] keine dieser Untersuchungen hat bisher einen handfesten Beweis zutage gefördert, dass Handys Krebs verursachen“. Doch damit verdreht das Nachrichtenmagazin die Beweislast. Diese trägt nämlich eigentlich die Industrie. Doch Beweise dafür, dass Handystrahlen DEFINITIV NICHT krebserregend sind, fordert das Magazin von der Mobilfunkindustrie überhaupt nicht ein -, was im Übrigen auch sinnlos wäre, denn solche Beweise gibt es nicht.

Zudem ist das Gros der Studien, die Handystrahlen als nicht gefährlich einstufen, direkt oder indirekt von der Industrie bezahlt, wie etwa bei Micorwace News nachzulesen ist [5]. Doch das schert SPIEGEL Online überhaupt nicht, obwohl derlei Interessenkonflikte für die Beurteilung der Sachlage von entscheidender Bedeutung sind.

Und damit nicht genug. Auch wird in dem SPIEGEL-Online-Beitrag auf einen eigenen Artikel Bezug genommen, in dem eine Studie aus Dänemark aus dem Jahr 2006 als Beweis für die Ungefährlichkeit von Handystrahlen hochgehalten wird [6]. Dabei weist diese dänische Arbeit zahlreiche Schwachstellen, was den Superjournalisten vom SPIEGEL aber offenbar überhaupt nicht aufgefallen ist (oder nicht auffallen wollte). „The research design [of the Danish study] raises a lot of questions“, wie Devra Davis anmerkt. „Why did they not look at business users – those with far more frequent use of cell phones? Why lump all users together, putting those who might have made a single cell phone call a week with those who used the phones more often? Why stop collecting information on brain tumor in 2002, when we know that brain tumors often take decades to develop and be diagnosed?… The danish study in fact was biased against positive findings from the start“ (S. 402-403).

Solide Studien erhärten den Verdacht, dass Mobilfunkstrahlen Krebs Vorschub leisten
Erschwerend kommt hinzu, dass die Aussage von SPIEGEL Online, es gäbe überhaupt keine Hinweise auf die krebserregende Wirkung von Mobilfunkstrahlung, in der Klarheit, in der sie vorgetragen wird, nicht nachvollziehbar ist. So fand Anfang 2009 ein Team um den schwedischen Onkologen Lennart Hardell heraus, dass Kinder unter 20, die mehr als ein Jahr ein Mobiltelefon benutzt haben, ein mehr als fünffach erhöhtes Risiko haben einen bösartigen Hirntumor zu entwickeln [7] Dies veranlasste eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern dazu, einen Appell an Kanada und andere Länder zu richten, strengere Sicherheitsvorschriften für den Mobiltelefongebrauch einzuführen. Der Appell wurde im Fachjournal Pathophysiology veröffentlicht.

David O. Carpenter, Direktor des Instituts für Gesundheit und Umwelt der Universität im kanadischen Albany und einer der Co-Autoren der Studie, sagte dazu in einem Interview [8]:

„Die Ergebnisse von 15 Studien von Gesundheitsforschern in sechs verschiedenen Ländern, die ihr Augenmerk auf die Auswirkungen von elektromagnetischen Feldern und Hochfrequenzstrahlung auf lebende Zellen und auf die Gesundheit von Menschen legten, sollte den Regierungsbehörden den Anstoß für Vorsorgemaßnahmen geben. Der Beweis, so wie ich ihn sehe, ist stark genug, dass die gegenwärtigen Richtlinien – in Kanada, den Vereinigten Staaten und allen anderen Ländern – für den Schutz der menschlichen Gesundheit nicht genügen. Ich denke, dass wir vor einem größeren Zukunftsproblem stehen, weil die Tatsache, dass junge Kinder dauernd am Mobiltelefon hängen und wir im Begriff sind, selbst eine Hirntumor-Epidemie zu produzieren, genau dieselbe Geschichte ist, wie wir sie mit dem Rauchen und Lungenkrebs erlebt haben.“

Grund genug also, vor allem als Journalist zumindest mal skeptisch zu werden.

Zumal sich die Hinweise darauf, dass Strahlen von Handys, Schnurlostelefonen in der Wohnung, drahtloses Internet und Mobilfunkantennen Gehirntumoren Vorschub leisten, verdichten. So veröffentlichte Ende August 2009 eine Gruppe von mobilfunkkritischen Organisationen einen umfassenden Report zum Thema, der von zahlreichen Experten unterstützt wird, darunter von dem bereits erwähnten David O. Carpenter, dem Biophysiker Martin Blank von der Columbia University, dem Onkologe Ronald B. Herberman von der University of Pittsburgh, dem Mediziner Horst Eger von der Bayerischen Ärztekammer und dem britische Krebsforscher Ian Gibson.

Das Paper mit dem Titel „Mobiltelefone und Gehirntumoren – 15 Gründe zur Besorgnis“ [9] diskutiert den Stand der Forschung, skizziert die Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch die Mobilfunkindustrie und kommt zu dem Schluss:

# Mobilfunkstrahlung schädigt die Erbsubstanz –, was unbestritten eine Ursache von Krebs ist.
# Selbst die Studien der Industrie zeigen, dass Handys das Gehirnkrebsrisiko erhöhen.
# Das höchste Risiko tragen Kinder – und je jünger ein Kind ist, wenn es beginnt, Mobiltelefone zu benutzen, umso höher ist sein Risiko, an Gehirnkrebs zu erkranken.

Kurz darauf erschien in der Fachzeitschrift Surgical Neurology eine Übersichtsarbeit, die 11 Langzeitstudien auswertete und folgendes Fazit zog [10]: „Unsere Ergebnisse zeigen an, dass Menschen, die zehn Jahre oder länger ein Mobiltelefon verwenden, ihr Risiko verdoppeln, an der Seite des Kopfes, mit der telefoniert wird, an Gehirnkrebs zu erkranken“, so Vini Khurana, Neurochirurg an der Australian National University im australischen Canberra und Leiter der Studie.

PS: Passagen aus diesem Blogbeitrag stammen aus meinem demnächst erscheinenden Buch „Die Zukunft der Krebsmedizin“ [11].

Weiter Links zum Thema:

# Broschüre „Zellen im Strahlenstress“ [12] vom Verein zum Schutze der Bevölkerung vor Elektrosmog e. V.

# Broschüre „Wie empfindlich reagieren die Gene auf Mobilfunkstrahlung?“ [13] von der Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie e. V.

# Der BioInitiative Report [14]