Der SPIEGEL und das Thema Piraten vor Somalia: Dem eindimensionalen Denken verhaftet

  11. Mai 2009, von T. Engelbrecht

Von den weithin in Interessenkonflikten verstrickten Politikern erwartet man ja kaum noch echte Lösungen für die wirklich dringenden Probleme diese Welt. Das Schaudern überkommt einen aber, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Massenmedien wie der SPIEGEL allzu oft nicht mehr imstande sind, über das Politiker-Ablenkungsgeschwafel hinauszuschreiben.

Intellektuelle Armut der SPIEGELschen Piraten-Diskussion
So hat die CDU aktuell wieder einmal die unsägliche Debatte losgetreten, ob man im Kampf gegen die Piraten gegen Somalia die Verfassung ändern soll, um die Kompetenzen der Bundeswehr im Kampf gegen Piraten zu erweitern. Die SPD ist natürlich dagegen. Und so beherrscht – v.a. auch dem SPIEGEL sei dank (siehe Screenshot) – wieder einmal ein Thema die Schlagzeilen, das an den wahren Problemen dieser Erde (wachsende Ungleichverteilung zwischen Arm und Reich, fortschreitende Naturzerstörung, eklatante Demokratiedefizite, grassierende Korruption durch immanente Intransparenz) vorbeirauscht.

Dass die EU-Fischereipolitik selbst Teil des Piratenproblems ist, blendet der SPIEGEL einfach aus
Die intellektuelle Armut dieser Diskussion zeigt sich nicht zuletzt daran, dass das Thema Prävention de facto ausgeblendet wird – und zwar nicht nur von den Politikern, sondern auch vom SPIEGEL. Ist der SPIEGEL nur ein Wiedergeber dessen, was die Politiker so alles absondern? Nun, in dem SPIEGEL-Artikel liest man kein einziges Wort darüber, dass das Piraten-Problem durch die Industriestaaten mitverursacht ist und vor allem auch ein Gerechtigkeits- und Armutsproblem ist.

Tatsächlich ist nämlich die Europäische Union im Zusammenhang mit der Industriefischerei im großen Stil in Piraterie verstrickt. Immer mehr Betreiber aus den großen Fangnationen USA, Japan und der EU flaggen ihre Fangschiffe aus und lassen sie unter einer so genannten Billigflagge registrieren – wobei die eigentlichen Eigentümer nicht selten in den Ländern der EU, in den USA oder in Japan sitzen. Greenpeace hat für diese Art von Fischerei, die auf den Weltmeeren rücksichtslos Fischgrund um Fischgrund plündert, explizit den Begriff „Piratenfischerei“ geprägt.

Doch für den SPIEGEL sind diese verbrecherischen Aktivitäten kein Thema…

Auch stört sich der SPIEGEL keine Sekunde daran, dass sowohl CDU als auch SPD dem militärischen Denken fröhnen. Im Gegensatz dazu übt etwa der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) harsche Kritik am Kampfeinsatz der Bundesmarine vor Somalia. Grund: „Die EU-Fischereipolitik ist mit schuld an Piraterie“, so Wolfgang Heinrich, EED-Experte für das Horn von Afrika. „Die Debatte über die Reaktion auf die Piraterie am Horn von Afrika in Deutschland ist leider wieder ein Ausdruck des militarisierten Denkens und Handelns deutscher Politiker… Anstatt sich mit den wirtschaftlichen und politischen Ursachen der Piraterie zu befassen, geht es ausschließlich um die militärische Absicherung deutscher und europäischer Wirtschaftsinteressen.”

Vielleicht sollte der SPIEGEL öfter mal einen Blick in das Satiremagazin Titanic werfen, um sich seiner Rolle als Medium, das die Mächtigen konsequent kritisch beäugt, wieder gewahr zu werden. Dort hieß es vor kurzem in einem Brief an Außenminister Steinmeier, dass dieser in einem FAS-Interview (genau wie der SPIEGEL) „nichts von der immer größere Dreistigkeit, mit der Piraten unter der Flagge von beispielsweise Belize, Honduras und Panama die Küsten Afrikas leerfischen, erwähnt. Wie auch nichts davon, dass die meisten Besitzer solcher Billigflaggen-Kutter seelenruhig und unbehelligt in Spanien leben; dass die EU jährlich geschätzte 500.000 Tonnen illegal gefangenen Fisch im Wert von mehr als einer Milliarde Euro importiert; dass afrikanische Küstenstaaten zwar 200 Seemeilen vor ihrer Küste ausschließlich selbst Fische fangen dürfen, dass sie das aber wg. Armut nicht kontrollieren können; dass die Netze der Einheimischen deshalb leer bleiben… Rund 100 Millionen Euro sollen somalische Piraten 2008 erpresst haben; verglichen mit der Milliarde EU-Importe durch Fischfangseeräuberei nicht beunruhigend viel, was, Steinmeier, alte Seerübe?“

 

4 Kommentare zu “Der SPIEGEL und das Thema Piraten vor Somalia: Dem eindimensionalen Denken verhaftet”

  1. misterx sagt:

    ich habe zur Zeit noch den Spiegel aboniert, verlängert wird diesmal nicht.
    ich frage mich bloß: welche Wochenzeitung bleibt mir als ALternative?(auser vllt Zeit)

  2. egal sagt:

    @misterx: „Laut einer Umfrage unter 1536 deutschen Journalisten im Frühjahr 2005 soll sich der Einfluss des Magazins verringert haben. 33,8 Prozent der Befragten bezeichneten den Spiegel weiterhin als ihr Leitmedium, während für die Süddeutsche Zeitung 34,6 % votierten. 1993 hatten noch zwei Drittel der befragten Journalisten für den Spiegel als Leitmedium gestimmt.“ (aus Wikipedia „Spiegel“).

    kenne leider keine wochenzeitung die noch taugt.

  3. hallöchen sagt:

    „Im kurzen Monat April erlitt Bild.de laut IVW nur ein Minus von sieben Prozent bei den Visits gegenüber März, Spiegel Online verlor hingegen 12,2 Prozent“, siehe http://turi-2.blog.de/2009/05/11/heute2-ivw-online-bild-de-holt-gegenueber-spiegel-online-6096637/.

    Apropos Zeitunglesen, hier ein Satz von Goethe:

    „Seit ich keine Zeitung mehr lese, bin ich ordentlich wohler und geistesfreier. Man kümmert sich doch nur um das, was andere tun und treiben, und versäumt, was einem zunächst obliegt.“

  4. Spaces of Reflection sagt:

    Die Verblödung der Menschen (global betrachtet) mit Hilfe der Medien funktioniert doch immer wieder.Hintergrunwissen wird dem Menschen bewußt vorenthalten-Na herzlichen Glückwunsch an den „Weltpolitikern“!!!

Hinterlasse einen Kommentar