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Der SPIEGEL und die Linkspartei: Fakten stören beim Verriss

Die Linke wird von vielen Medien ignoriert oder verleumdet. Eine wichtige Rolle spielt dabei der SPIEGEL.

In einem sind sich neoliberale Parteien und die meisten Redaktionen einig: Die Linkspartei muss klein gehalten werden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung [1] etwa hatte vor der Hessenwahl ungeniert verkündet, Die Linke schneiden zu wollen. [2]Die Fotoagenturen schlossen sich dem am Wahlabend an: Von den Wahlfeten aller Parteien wurden Fotos angeboten – nicht jedoch von der Linkspartei.

Die Ausgrenzung setzt sich in TV-Nachrichten fort. Dort kommen von der Opposition häufig nur Grüne und FDP zu Wort. Über Die Linke wird in der Regel nur berichtet, wenn es Abträgliches gibt – etwa wenn SPD-Parteichef Franz Müntefering behauptet, sie betreibe eine „nationale und soziale Politik“. Begründet wird das zwar nicht – aber die Assoziation zum „Nationalsozialismus“ steht erst einmal im Raum.

Der SPIEGEL: meinungsstark und faktenschwach
Das angebliche „Sturmgeschütz der Demokratie“, der SPIEGEL, spielt dabei häufig die Rolle des Stichwortgebers. Erst kürzlich phantasierte seine Redaktion genüßlich über eine „Austrittswelle“ [3] aus der hessischen Linkspartei – dass den 45 Abgängen im vergangenen Jahr 750 Neueintritte gegenüberstanden, erfuhr der Leser ursprünglich nicht (Anm.: der Beitrag auf SPIEGEL Online war zunächst nur eine kurze Notiz, die später möglicherweise durch eine Langfassung überschrieben
wurde; doch auch bei der erfährt der Leser erst ganz am Ende von den Neueintritten – was die Überschrift „Neue Austrittswelle erfasst Hessens Linkspartei“ und überhaupt den gesamten Tenor des Artikels konterkariert). So ziemlich alle Medien plapperten es nach – immerhin gilt der SPIEGEL vielen Journalisten als „Leitmedium“.

In seiner aktuellen Ausgabe liefert der SPIEGEL ein weiteres Beispiel für manipulative Berichterstattung. „Komplizen des Terrors“ (siehe Ausriss) ist ein Bericht über die Linksfraktion betitelt, in dem der Autor Markus Deggerich meinungsstark aber faktenschwach versucht, Teilen der Fraktion wegen ihrer Ablehnung der israelischen Kriegspolitik Antisemitismus anzuhängen. Dabei macht sich Deggerich nicht einmal die Mühe, zwischen „Antisemitismus“ und „Antizionismus“ zu unterscheiden. Die unterschwellige Botschaft lautet: Wer gegen Israels Kriegspolitik ist, will ein neues Auschwitz.

Der SPIEGEL: Probleme nicht nur bei der Recherche, sondern auch mit der Sehkraft
Fakten können bei einem solchen Verriss nur stören. Da wird der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke flugs zum außenpolitischen Sprecher ernannt. Falsch – er ist Obmann seiner Fraktion im außenpolitischen Ausschuss. Seiner Kollegin Ulla Jelpke wird ein israelkritisches Zitat aus einer Bundestagsrede untergeschoben – sie hat dort jedoch nie zu diesem Thema geredet.

Über einen Protestbrief, den die Abgeordneten Gehrcke und Norman Paech (letzterer ist tatsächlich außenpolittischer Sprecher) an den israelischen Botschafter geschrieben hatten, heißt es, Fraktionschef Gregor Gysi habe dem Diplomaten „sein Bedauern über das Schreiben“ geäußert, „auch im Namen der Autoren“. Beide bestätigten jedoch gegenüber der jungen Welt, daß sie inhaltlich überhaupt nichts bedauern. Sie hätten lediglich eingeräumt, daß das Schreiben zuvor der Fraktionsspitze vorgelegt hätte werden sollen. Genau das hatte Gysi am Dienstag vergangener Woche in einer Fraktionssitzung auch kritisiert – inhaltlich hatte er gegen das Schreiben ausdrücklich nichts einzuwenden.

Fakten scheinen wohl nicht Deggerichs Ding zu sein. Ein ganzseitiger Artikel, den er im Juli über Jelpke schrieb, wimmelt von Fehlern, die die junge Welt keinem Praktikanten durchgehen ließe. Gysi wird da als Zitat in den Mund gelegt, Jelpke sei ein „Heimkind“ – der Fraktionschef dementierte später, jemals dieses Wort gebraucht zu haben. Jelpke wird auch vorgeworfen, „Parteitage der DKP“ besucht zu haben – was sie auch nach Auskunft von DKP-Mitgliedern nicht ein einiges Mal getan hat. Und dass sie im Juli zu politischen Gesprächen in die Türkei reiste, kommentierte ­Deggerich als „erneutes Jelpke-Solo“, über das sich ihre Genossen „ensetzt die Haare raufen“, „ihre Alleingänge belasten die Partei“. Die Reise war jedoch mit der Fraktionsspitze abgesprochen – ein Anruf hätte genügt, um das zu erfahren. Nicht nur mit der Recherche scheint Deggerich Probleme zu haben, sondern auch mit der Sehkraft. Den „strammen Zopf“, den er Jelpke andichtet, hat er bislang als einziger entdeckt.

(aus: junge Welt, 28. Januar 2009, S. 4 [4])