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Die Lust am diffamieren – wie Thea Dorn im SPIEGEL zu Unrecht besorgte Menschen pauschal zu Weltuntergangspropheten abstempelt

Theodor W. Adorno schrieb einst: „Solange es Zug um Zug weitergeht, ist die Katastrophe perpetuiert.“ Dieser kritische Geist war es, der viele dazu veranlasste, sich in den Sechsziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts kritisch zum Gesellschaftssystem in Westdeutschland und im Westen überhaupt sowie zu dessen Auswirkungen auf die ganze Welt zu äußern. Doch von bestimmter Seite schallte es ihnen nur pauschal entgegen: „Dann geh doch einfach nach drüben“, sprich in die DDR; und oft kam auch noch ein die Schicksalhaftigkeit des Daseins bemühendes „der Mensch ist ohnehin nicht zu ändern“ hinterher. Natürlich fühlte man sich ungerecht behandelt, und zu Recht. [1]Denn man wurde einfach weggebürstet von Leuten, die man in seiner Verdutztheit „Spießer“ schimpfte und die sich dadurch auszeichneten, dass sie nicht in der Lage waren, differenziert zu denken bzw. genau hinzuschauen und auch nur die leiseste Kritik an den westlichen und damit ihren Lebensstil heran zu lassen.

Thea Dorn lästert an den Fakten vorbei
Ein deja-vu-Erlebnis dieser Art hat man, wenn man sich Anfang 2009 den SPIEGEL-Essay „Lust an der Apokalypse – was hinter der Katastrophenrhetorik steckt“ [2] antut, der an den Fakten vorbeilästert und sich dabei auch in Widersprüche verstrickt (siehe Ausriss). So werden darin diejenigen, die sich um die Folgen der aktuellen weltweiten Finanzkrise oder um das Klima oder auch wegen des weltweiten Bevölkerungswachstums große Sorgen machen, in der Geh-doch-nach-drüben-Manier pauschal als „Apokalyptiker, die alle fünf Minuten den nächsten Weltuntergang herbeiphantasieren“, abqualifiziert. Doch die Attacke der Autorin Thea Dorn reitet argumentativ ins Leere, denn bei weitem nicht alle angesprochenen Mahner sind automatisch Weltuntergangspropheten.

Darüber hinaus sucht Dorn die Sorgen, die Menschen in der heutigen Zeit umtreibt und die sich auf wissenschaftliche Daten stützen, ins Lächerliche zu ziehen – und zwar dadurch, dass sie die Sorgen einfach auf eine Stufe stellt mit solchen aus abergläubischer Vorzeit, etwa mit der in der Bibel erwähnten Furcht vor einem Weltenbrand oder der im Mittelalter vorherrschenden Angst, „von einem Kometen ausgelöscht zu werden. Doch dieser Vergleich wirkt schlicht feindselig und hinkt, weil nicht zu erkennen ist, dass sich die Autorin wirklich mit den Argumenten derjenigen, die sich um die Folgen der Finanzkrise, das Klima etc. Sorgen machen, wissenschaftlich-argumentativ auseinandergesetzt hat. Daher drängt sich der Eindruck auf, dass Dorns Essay „Die Lust an der Apokalypse“ aus einer Lust an der Diffamierung erwachsen ist.

Zumal es am Ende des Essays zu allem Überfluss auch noch heißt: „Der Mensch ist aus krummem Holz gemacht. Jeder Versuch, aus ihm etwas gänzlich Gerades zu zimmern, hat bislang nur einen Ort erschaffen: die Hölle auf Erden.“ Ein Satz, der an dieses „der Mensch ist ja doch nicht zu ändern“ erinnert und der nicht nur deshalb aufstößt, weil er sich so anhört, als stamme er aus abergläubischer Vorzeit. Auch geht es den Mahnern, die mit dem Essay adressiert werden sollen, nicht primär darum, den Mensch auf Mikrokosmosebene „gerade zu machen“, sondern vielmehr darum, Kräfte zu mobilisieren, um die Gesellschaftssysteme so zu gestalten, dass es den einzelnen Mensch möglich wird, in den Gesellschaften „gänzlich gerade“ zu gehen, sprich friedvoll und ohne Hunger und Zukunftsangst miteinander zu leben.

Auch NYT-Kolumnist Thomas Friedman, den Dorn zuerst herunterputzt, ist kein „Weltuntergangsherbeiphantasierer“
Auch Thomas Friedman, Wirtschaftsfeuilletonist der New York Times, dessen Zeitungskommentar zur Finanzkrise den Aufhänger für den SPIEGEL-Essay bildet, ist keiner von denen, die „alle fünf Minuten den nächsten Weltuntergang herbeiphantasieren“, wie Dorn bissig behauptet…. Denn Friedman hat in seinem Kommentar lediglich beschrieben, wie er zuletzt in Restaurants gegangen sei und dabei das Bedürfnis gehabt hätte, den vielen jungen Leuten dort folgendes mitzuteilen: „Sie kennen mich nicht, aber ich muss ihnen sagen, Sie sollten hier nicht sein. Sie sollten ihr Geld sparen. Sie sollten ihren Thunfisch zu Hause essen. Diese Finanzkrise ist noch nicht vorbei.“

Man muss hier mit Friedman nicht in Gänze mitgehen, aber dass er damit in „atemberaubend unverantwortlicher“ Weise den „apokalyptischen Harlekin“ geben soll, wie die gut situierte Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin Dorn tönt, ist beim besten Willen nicht zu erkennen. Nicht zuletzt, wenn man sich vor Augen führt, dass zum Beispiel das Haushaltsdefizit in den USA 2009 voraussichtlich bei knapp 1,2 Billionen US-$ [3] liegen wird – und damit doppelt so hoch wie 2008.

Wo war der SPIEGEL als rechtzeitiger Warner vor dem Finanzcrash?
Anstatt also berechtigte Zukunftsängste von Menschen zur „aggressive Prophetitis“ zu verklären, hätte Dorn vielleicht besser einen Essay darüber verfasst, warum der SPIEGEL nicht in in angemessener Weise als Mahner und Warner aufgetreten ist, lange bevor die Welt in die Finanzkrise gestürzt ist. Das hätte man durchaus von einem Medium wie dem SPIEGEL erwarten können. Zumal die Informationen dafür leicht zugänglich waren, etwa in Form des Buches „Der Crash kommt“ von dem Wirtschaftsprofessor Max Otte [4], das 2006 erschien und bereits damals dem SPIEGEL vorgelegen haben soll (siehe auch Titelgeschichte der Medienfachzeitschrift message „Das böse Erwachen – warum die Medien die Wirtschaftkrise verschliefen“ [5]).

Man muss differnzieren und genau schauen, welche Mächte die Angstmacherei betreiben
Sicher, nicht alles, was in der neueren Menschheitsgeschichte begründet als Gefahr heraufbeschworen wurde, trat später auch ein. Ein Beispiel hierfür ist die Vogelgrippe, bei der ja die Gefahr einer weltumspannenden Pandemie besungen wurde. Dorn erwähnt die Vogelgrippe auch in ihrem Essay als Beispiel für übertriebene Angstmacherei. Das Problem ist nur, dass der SPIEGEL selber kräftig im Vogelgrippe-Panik-Chor mitgesungen hat – wo aber war 2005/2006 Thea Dorns kritischer SPIEGEL-Essay dazu – zumal es ja auch hier kritische Stimmen zur Panikmache [6] gab?

Darüber hinaus muss man differenzieren und genau schauen, welche Mächte hinter der Angstmacherei am Werk sind. So ist das Phänomen, dass die Vogelgrippe von der Pharmaindustrie im Verbund der Politik und den Medien zur drohenden Pandemie aufgebauscht wurde, sicher anders einzuschätzen ist als etwa der Einsatz von Menschen für eine Erde ohne Hunger. Auch nennt Dorn das Beispiel von der Angst nach dem zweiten Weltkrieg vor einem weltumspannenden Nuklearkrieg. Doch es ist absurd, wie es die SPIEGEL-Essayistin mit Wucht tut, den Warnern vor einem solchen Nuklearkrieg „aggressive Prophetitis“ und pure „Lust an der Apokalypse“ vorzuwerfen, nur weil wir einen solchen apoaklyptischen Nuklearkrieg noch nicht erlebt haben – nicht zuletzt, weil es ja gerade auch die Warner waren, die maßgeblich dazu beitrugen, dass es zum Glück eben noch nicht zu einem solchen Nuklearkrieg gekommen ist.

Das Geschäft mit der Beschwichtigung und seine Folgen
Darüber hinaus gibt es ja neben Professor Max Otte zahlreiche weitere Beispiele aus der Geschichte der Menschheit, in denen die warnenden Stimmen völlig zu Unrecht einfach weggebürstet und dabei auch lächerlich gemacht wurden. Genannt sei hier etwa Kurt Tucholsky, der die drohende Gefahr des Faschismus frühzeitig kommen gesehen und vor dem Marsch ins Dritte Reich gewarnt hatte. Doch seine Mementos trafen tragischerweise weithin auf stumme Ohren. Oder denken wir daran, wie die Warnungen vor den Gefahren des Rauchens oder dem Schwermetall Blei jahrzehntelang heruntergespielt wurden.

Dorn schreibt, dass „das Geschäft mit der Angst das in Wahrheit älteste Gewerbe der Welt sein dürfte“ – doch in ihrer Einäugigkeit – die sie übrigens den angeblichen Weltuntergansphantasierern vorhält – übersieht sie, dass das Geschäft mit der Beschwichtigung und Verharmlosung mindestens genau so alt sein dürfte (und dass es verheerende Konsequenzen haben kann)…

Thea Dorn verwendet den Begriff „Apokalypse“ in zweischneidiger Form
Man könnte zwar meinen, dass die genannten Vergleiche hinkt, wo etwa Tucholsky ja nicht im strengen Wortsinne vor einem Weltuntergang gewarnt hat. Doch ein solcher Einwand würde nicht ziehen, nicht zuletzt weil Dorn zwar mit dem Titel ihres Essays „Lust an der Apokalypse“ eigentlich die Lust an der Prophezeiung des Weltuntergangs meint, den Begriff „Apokalypse“ im Text aber nicht kosequent im Sinne von „Weltuntergang“ verwendet. So benutzt sie ihn auch in ganz allgemeiner Form, nämlich um all diejenigen, die das heutige Wirtschaftssystem ob seiner „billigen Plastikkultur“ und seines „Konsumismus“ kritisch gegenüberstehen, abzukanzeln.

Doch bei weitem nicht alle „guten Menschen“, wie Dorn die Kritiker ironisch-abfällig nennt, schreien den Weltuntergang herbei – und auch wollen sie nicht alle, wie Dorn unterstellt, „unserer Gesellschaft die totale Revision verordnen“. So geht es den Live-8-Aktivisten, die die Autorin in ihrem Essay als Beispiel für solche „guten Menschen“ erwähnt, vor allem um die Abschaffung des Hungers auf der Welt. Doch weder stilisieren die Live-8-Aktivisten den Hunger zu einem Weltuntergang, noch fordern sie zur Bekämpfung des Hungers eine gesellschaftliche Totalrevision [7].

Viele Apokalypsen sind längst da
Ohne Frage, die Apokalypse ist nicht erst da, wenn jemand per Knopfdruck die Erde in die Luft gesprengt hat – so wie Charlton Heston am Ende des zweiten Teils des Films „Planet der Affen“. Ein beredtes Zeugnis dafür ist der Film mit dem sinnigen Titel „Apokalypse now“, der von den Wirren des Vietman-Kriegs handelt und auf beeindruckende Weise zeigt, dass sich Apokalypsen in der heutigen Zeit zuhauf gerade auch auf individueller Ebene abspielen – ob nun als Soldat in Vietnam- oder sonst einem Krieg, ob als einer der 35.000 Menschen, die täglich an den Folgen von Hunger sterben sollen, ob als eine der unzähligen Kinderprostituierten auf dieser Erde oder als Orang-Utan, dem auf Borneo im wahrsten Sinne des Wortes der Lebensraum unter den Füßen weggesägt wird. All dies sind auch Folgen der Kultur, so wie wir sie uns eingerichtet haben.

Daher wirkt es deplaziert, wenn Dorn diejenigen, die ihr Herz und ihre Lebensenergie dafür einsetzen, dass sich an diesen gesellschaftlichen Zuständen etwas bessert, als „unbarmherzige Levitenleser“ heruntermacht – und dann auch noch die nicht weniger diffamierenden Äußerungen hinterher schiebt, sie würden alle mit „Ekel“ auf die Gesellschaft blicken und wohl von einem „Freudschen Todestrieb“ geleitet.

Wennn die Opposition gegen den Status Quo nicht mehr Wurzeln schlagen kann
Thea Dorn hätte wohl auch den eingangs erwähnten Theodor W. Adorno, wenn er denn noch leben würde, als „atemberaubend unverantwortlichen“ Weltuntergangspropheten heruntergebürstet. Nun, vielleicht hat Dorn einfach den „totalen Frieden“ mit der hoch industrialisierten Zivilisation gemacht und sieht von diesem Blickwinkel aus in jedem besorgten Kritiker einen Weltuntergangspropheten, der die „totale Revision“ der Gesellschaft wolle. Ursache hierfür könnte sein, dass, um mit Herbert Marcuse zu reden, die „innere Dimension“ ihres „Geistes bereits derart beschnitten wurde, dass dort eine Opposition gegen den Status quo nicht mehr Wurzeln schlagen kann“.