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Hanebüchener Vergleich: SPIEGEL Online setzt Guantánamo mit Alcatraz gleich – und offenbart damit erneut ein Rechts(un)verständnis, das an das der Bush-Regierung erinnert

(Mit Dank an Arnim R.)

Wenn es um die Suche nach der Sensation geht, scheint sich der SPIEGEL für nichts zu schade. Das Drama daran: [1]Die Fakten bleiben dabei immer wieder auf der Strecke. Selbst vor einer Gleichsetzung des Gefangenenlagers in der Guantánamo-Bucht am Südende Kubas mit dem ehemaligen US-Hochsicherheitstrakt auf der Insel Alcatraz vor San Francisco schreckt man nicht zurück (siehe SPIEGEL-Online-Dossier „Alcatraz der Moderne“ [1] und auch Screenshot). Damit offenbart SPIEGEL Online in Sachen Guantánamo erneut ein Rechtsverständnis bzw. RechtsUNverständnis, das an das der Bush-Regierung erinnert (SPIEGELblog berichtete [2]).

Guantánamo-Häftlinge können nicht einmal als Verdächtige angesehen werden – Alcatraz hingegen beherbergte reihenweise rechtskräftig verurteilte Schwerstverbrecher
Das Abstruse und Fahrlässige an der Gleichsetzung von Guantánamo mit Alcatraz ist, dass SPIEGEL Online dadurch suggeriert, auch im Guantánamo-Gefängnis säßen rechtskräftig verurteilte Schwerstkriminelle ein. Doch das ist absoluter Blödsinn.

Tatsächlich können die Menschen, die in Guantánamo einsitzen, nicht einmal guten Gewissens als Verdächtige bezeichnet werden, da sie ja allesamt nicht dort gelandet sind, nachdem ihnen ein ordentlicher bzw. rechtsstaatlicher Prozess gemacht worden war. Gravierender noch: Die meisten sind dorthin verschleppt worden, nachdem sie denunziert wurden, wie es in Europa zu den ekelhaftesten Zeiten der Hexenverfolgung gang und gäbe war. Und so hat auch eine an der Rechtsfakultät der Seton Hall University erarbeitete Studie [3] ermittelt, dass die meisten Häftlinge in Guantánamo schlicht unschuldig sind – wie etwa auch die ehemalige Bill-Clinton-Beraterin Naomi Wolf in ihrem Buch “Wie zerstört man eine Demokratie” [4] schreibt.

Ganz anders in Alcatraz, das am 1. Januar 1934 von einem militärischen Fort zu einem Bundesgefängnis umfunktioniert worden war. Die ersten Gefangenen, 53 Häftlinge aus dem Staatsgefängnis in Atlanta, trafen 1934 ein. Alcatraz fungierte bis 1963 als Hochsicherheitsgefängnis, in dem durch ordentliche Gerichtsverfahren(!) verurteilte Gefangene untergebracht wurden, die in anderen Gefängnissen als unverbesserlich und schwierig eingestuft wurden. Unter ihnen befanden sich so bekannte Gangster wie Al Capone (1934–1939), Robert Franklin Stroud (1942–1959), Machine Gun Kelly (1934–1951) und Alvin „Creepy“ Karpis (1936–1962) [5].

Vergleich von Guantánamo mit Stalins Gulag oder dem „Luziferturm“ wäre passend gewesen
Naomi Wolf zieht in ihrem Buch „Wie zerstört man eine Demokratie“, was die Behandlung der Gefangnen angeht, eine Parallele zu den Gefangenen in Stalins Gulags. Auch werden, wie gesagt, bei den solchen Zuständen Erinnerungen wach an Zeiten in Europa, in denen Menschen durch willkürliche Denunziationen zu Hexen abgestempelt wurden. Damals diente etwa der „Luziferturm“ in Horb als Gefängnis und Folterstätte für die armen denunzierten Frauen [6].

Der US-Schriftsteller Arthur Miller in einem Begleitwort zu seinem Werk „Hexenjagd“ [7]: “Die Hexenverfolgung war eine perverse Manifestation der Angst, die sich aller Klassen bemächtigte, als sich die Waage nach der Seite größerer individueller Freiheit zu senken begann. Sieht man über die offenbare Schändlichkeit des Einzelnen hinaus, so kann man sie alle nur bedauern, so wie man uns eines Tages bedauern wird.”