Journalisten auf der Anklagebank – und der SPIEGEL berichtet nicht…

  04. März 2009, von T. Engelbrecht

(Mit Dank an Jan Schmidt für den Hinweis)

Wissen SPIEGEL-Leser wirklich mehr? Wenn es um peinliche Details aus der Journalistenzunft geht, offenbar nicht.

So hat ein aktueller Untersuchungsausschuss des Bundestages Erstaunliches zutage gefördert, nämlich dass es, wie etwa die Redaktion des Medienmagazins Zapp vor kurzem in einem Fernsehbeitrag berichtete (siehe Screenshot), „offensichtlich einige in unseren Reihen gibt, die sich nicht nur für die Medien, sondern auch für den Geheimdienst engagieren. Quasi nebenbei – und auch mal für Geld. Ganz neu ist uns diese Information nicht, aber zum ersten Mal kommt sie von [Volker Foertsch], einem ehemaligen Abteilungsleiter des Bundesnachrichtendienstes BND. Berichtet wurde darüber allerdings kaum.“ Komisch, wo selbst Hans-Christian Ströbele, der für die Grünen im BND-Ausschuss sitzt und in Geheimdienstangelegenheiten sicher zu einem der kundigsten Politiker zählt, meint, ihm seien hier „die Augen aufgegangen“.

Neben Zapp haben jedoch nur ganz wenige Medien die aktuellen Untersuchungen des BND-Ausschusses thematisiert, darunter die FAZ, die Süddeutsche Zeitung, die junge Welt und die Fuldaer Zeitung. Der SPIEGEL gehört nicht dazu.

Diskrepanz zwischen dem starken Interesse 2005/2006 und dem absoluten Desinteresse 2009 ist auch beim SPIEGEL frappierend
Fragt sich, warum. Als 2005 durchsickerte, dass der BND Journalisten systematisch bespitzelte, um undichte Stellen – also Personen, die Geheiminformationen an Journalisten weitergeben – in den eigenen Reihen zu finden, war die Aufregung in der Medienlandschaft noch groß. Auch der SPIEGEL berichtete damals, zuletzt 2006. Und jetzt? Hat der SPIEGEL etwa einfach keine Lust auf das Thema? Wenn ja, wieso war er dann 2005 und 2006 noch so heiß darauf, etwa über den lange Zeit geheim gehaltenen Bericht über die Bespitzelung und den Einsatz von Journalisten durch den BND – den so genannten Schäfer-Report – zu berichten? Oder meint man jetzt, das Thema sei mit Artikeln wie „Trübe Suppe – Wie der BND die Überwachung der Presse organisierte und Journalisten zu Denunzianten wurden“ vom 22. Mai 2006 ein für allemal „gegessen“?

Sitzung des Untersuchungsausschusses bietet äußerst pikante Details
Wenn ja, so wäre dies unverständlich, denn immerhin ging es in der Sitzung des Untersuchungsausschusses am 12. Februar um die Vertiefung äußerst pikanter Aspekte, die sicher nicht nur Hans-Christian Ströbele „die Augen öffnen“ würden. So geht aus der Aussage des früheren BND-Präsidenten Konrad Porzner hervor, dass Bundeskanzleramt bereits 1993 über Observierungen von Journalisten durch den BND informiert war – und nicht, wie die Regierung bislang behauptet, erst im November 2005 davon erfuhr. Auch musste neben dem Präsidenten des BND, Ernst Uhrlau, der ehemalige BND-Direktor Volker Foertsch, der die Bespitzelung organisiert hatte, den Parlamentariern dazu Rede und Antwort stehen, in welcher Weise Journalisten von ihm als Informanten angeworben wurden und welche Informationen sie lieferten.

Zudem hatte Focus-Redakteur Josef Hufelschulte, der in einem Beitrag auf SPIEGEL Online am 17. Mai 2006 noch als „Bespitzelungsopfer“ bezeichnet wurde, offenbar keine Hemmungen gehabt, seine Kollegen zu verraten und auch Informationen des SPIEGEL an BND-Mann Foertsch weiterzugeben. So hatte Hufelschulte mit Foertsch 58 Kontakte – größtenteils persönlicher Art –, die so ergiebig waren, dass Foertsch stolze 219 Seiten handschriftliche Notizen über seinem Kontaktmann „Jerez“ erstellte. Das heißt, es gäbe einiges zu erklären beim Focus, nicht zuletzt, warum Hufelschulte immer noch Redakteur „für besondere Aufgaben“ im Deutschland-Ressort des Münchener Magazins ist. Genügend Stoff also für den SPIEGEL.

Hans-Christian Ströbele: „Vertrauen in die Integrität der Medien wurde beschädigt“
Erwähnenswert ist unterdessen, dass 11 Seiten des Schäfer-Reports aus dem Jahre 2006 nicht für die Öffentlichkeit frei gegeben wurden. Allerdings sind diese 11 Seiten auf Wikileaks – einem Projekt, das sich zur Aufgabe gemacht hat, Informationen und Dokumente der Welt zugänglich zu machen, die Institutionen oder Regierungen verbergen – einsehbar. Darin wird BND-Direktor Foertsch mit den Worten zitiert, er „habe sowohl zu Hufeschulte vom Focus als auch zu Mascolo vom SPIEGEL Kontakt gehalten, um die Chance zu haben, dem Bundesnachrichtendienst schädliche Veröffentlichungen verhindern zu können. Teilweise sei ihm das auch gelungen…“ Vorausgesetzt diese über Wikileaks veröffentlichten 11 Seiten sind echt, was soll uns dieser Satz über Georg Mascolo, der mittlerweile SPIEGEL-Chefredakteur ist, sagen?

Auf jeden Fall ist das ganze Thema für die Öffentlichkeit von enormer Wichtigkeit. Geht es doch nicht weniger als darum, dass, wie Hans-Christian Ströbele es formuliert, „großer Schaden angerichtet wurde. Und der zentrale Aspekt des Skandals ist, dass das Vertrauen in die Integrität, in die Unabhängigkeit der Medien beschädigt worden ist.“ Um so verwunderlicher, dass der SPIEGEL schweigt.

 

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