Mai-Demos: Krawallberichterstattung statt Ausgewogenheit und Sachlichkeit

  04. Mai 2009, von SPIEGELblog

(mit Dank an David C.)

Nicht nur bei der so genannten Schweine- oder Mexikogrippe geht es dem SPIEGEL vornehmlich um die Sensation anstatt um eine sachliche Analyse der Fakten. Auch bei der Berichterstattung über die Mai-Demonstrationen in Berlin zeichnet sich das Blatt durch eine Krawallberichterstattung aus, die Ausgewohgenheit, Sachlichkeit und wichtige Informationen vermissen lässt.

Dies zeigt sich nicht nur in dem Artikel „Mai-Randale in Berlin: Krawalle erschüttern Kreuzberg“ (siehe Screenshot). Wenn man zum Beispiel bei SPIEGEL Online in die Suchfunktion den Begriff „Mai-Demonstration“ eingibt, so erhält man sechs Artikeltreffer zum 1. Mai 2009, in deren Schlagzeilen allesamt die Randale Thema sind – während die friedlichen Proteste in keiner Headline zu finden sind. Dabei lag die Zahl der friedlichen Demonstranten um ein Zigfaches höher als die Zahl der tatsächlichen Randalierer.

Zugleich nennt SPIEGEL Online eine offenbar viel zu niedrige Zahl friedlicher Demonstranten. Beim Mayday-Straßenfest in Kreuzberg etwa spricht SPIEGEL Online von 30.000 Teilnehmern. Doch der Veranstaltungsort erstreckte sich vom U-Bahnhof Kottbusser Tor über Oranienstraße, Moritzplatz bis zum Görlitzer Bahnhof und einige Seitenstraßen wie die Naunystraße. Die Straßen und Plätze waren am Abend gut gefüllt, an einigen Stellen gab es so viel Gedränge, dass man kaum durchkam. Außerdem kamen mit der U-Bahn und zu Fuß immer mehr Leute dazu. Wer das Areal kennt, weiß, dass sich allein auf der Oranienstraße 30.000 bis 40.000 Menschen versammelt hatten.

Und obwohl sich auf dem „Mayday Festival“ stundenlang Zehntausende Menschen tummelten, waren weit und breit keine Reporter zu sehen. Später hingegen tollten sich Kameramänner mit der Polizei auf dem Platz vorm Görlitzer Bahnhof und hielten sofort drauf, wenn auch nur eine Flasche flog.

Und wo auf der SPIEGEL-Online-Seite finden sich Fotos von den friedlichen Protesten? Stolze 25 Fotos weist die Fotostrecke zum Artikel „Randale am 1. Mai. Polizisten und Autonome liefern sich Straßenschlacht in Kreuzberg“ auf. Doch 23 dieser 25 Fotos zeigen Krawalle, kämpfende Demonstranten und Polizisten sowie Innensenator Körting. Demgegenüber sind nur auf zwei dieser 25 Fotos (Foto 9 und 23) friedliche Szenen zu sehen. Bild 9 trägt die Bildunterschrift: „Fiedliches Fest: Es gab nicht nur Krawalle. Das Myfest wird seit einigen Jahren in Kreuzberg organisiert. Dieses Jahr spielten bei dem Straßenfest auf 19 Bühnen mehr als 600 Bands, DJs und andere Künstler.“ Doch wo macht sich das in der SPIEGEL-Online-Berichterstattung bemerkbar?

Zumal auch viele Teilnehmer berichten, dass die Randale, die an diesem 1. Mai stattfanden, nicht schlimmer waren als in den Jahren zuvor. Damit sollen die Krawalle nicht verharmlost werden. Doch wenn SPIEGEL Online schreibt, 2009 sei alles „schlimmer“, „gewalttätiger“ etc. gewesen als in den Jahren zuvor, dann ist dies offenbar falsch – macht sich aber natürlich besser, um die Aufmerksamkeit der Leser zu bekommen.

Unausgewogener und krawallbürstiger kann eine Berichterstattung kaum sein. Dies spiegelt sich auch in Beiträgen des Online-Forums wieder. Auch berichtet ein friedlicher Demonstrant: „Während sich die ‚Kindsköpfe‘ am Kottbusser Tor mit den Polizisten prügelten, ging – vom SPIEGEL unbemerkt – in der Oranienburger Straße und der Naunystraße die Party noch lange weiter.“

 

3 Kommentare zu “Mai-Demos: Krawallberichterstattung statt Ausgewogenheit und Sachlichkeit”

  1. dabeigewesen sagt:

    ich war bei den krawallen mittendrin dabei. und ich muss sagen, dass eines schon fast mehr genervt hat als bestimmte (sinnlose) steinwürfe. und zwar die ganzen reporter und fotographen. um einen werfer versammelten sich dann durchaus 4 kameras, die das ganze festhalten wollten. in strasburg beim nato-gipfel ist mir und meinen freunden ein spiegel-team schon fast „hinterher“ gelaufen. als ich einer brenzligen situation entfliehen wollte, indem ich über eine mauer springen wollte, standen mir 2 kameraleute im weg, die völlig unbeholfen diesen weg blockierten. man hatte völlig zu unrecht ein gummigeschoss auf mich gerichtet. ich wollte also über die besagte mauer springen, um nicht getroffen zu werden. doch nur ganz knapp wurde ich nicht erwischt, weil ich die reporter wegdrängte.

    doch wo bleiben die bilder und berichte von leuten mit platzwunden? die leute, die am ersten mai zur falschen zeit am falschen ort die falsche straße überquerten (von einem restaurant zum kiosk auf der anderen straßenseite) und von polizisten vorsätzlich, zielgenau umgerannt wurden und mit dem kopf auf dem boden aufschlugen? wo bleiben die bilder von den kindern, die mit ihren eltern dem platz entfliehen wollten, als die berliner polizei tränengas einsetzte? die friedlichen menschen mit schmerzverzerrten gesichter, hervorgerufen durch tränengas oder pfefferspray?

    oder auf dem schulstreik die reporter, die dann tatsächlich den leuten „befahlen“ „das schild bitte noch weiter nach rechts“ und „du dort aus dem bild“. was soll man davon halten?

    doch was verbleibt als eindruck über die medien (in deutschland)? 80% der demonstrationen, denen ich beiwohnte waren ohne bemerkenswerte ausschreitungen. entweder ist von friedlich demonstrationen so gut wie nichts zu lesen, oder 3 böller, 5 flaschen, 2 steine, 5 ingewahrsamnahmen werden dann zu krawallen hochstilisiert.

  2. Einer von vielen sagt:

    Guter und wichtiger Artikel. Viel zu viele Mitmenschen stehen den Medien und seinen Mitgliedern viel zu unkritisch gegenüber. Es herrscht häufig die Meinnung “ die Reporter sind welche von uns „.

    Nach meiner Wahrnehmung sind die meisten Medienleute aber – teils bewußt und teils auch sicher unbewußt – eher Sprachrohre und Meinungsmacher im Sinne der Eliten, die sich gut im System eingerichtet haben und das auch nicht aufgeben wollen.

  3. str1977 sagt:

    Einer von vielen,

    nein, die Medienleute sind nicht Sprachrohre irgendwelcher Eliten – sie sind die Eliten oder zumindest halten sie sich dafür.

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