Medienforscher Bolz in der BILD: Der SPIEGEL ist „eine Art Boulevard für Intellektuelle, also Klatsch und Tratsch höherer Ordnung“

  14. Mai 2011, von T. Engelbrecht

(Mit Dank an Helge)

„Wenn es den SPIEGEL nicht mehr gäbe, würde der deutschen Öffentlichkeit nichts fehlen“, schreibt der Philosoph und Medienwissenschaftler Prof. Norbert Bolz heute in der BILD auf Seite 2 (siehe auch Screenshot). Der Text ist zwar von der BILD, doch im großen und ganzen ist er eine gute Analyse, auch wenn es zum Beispiel chauvinistisch anmutet, wenn Bolz meint, „heute dominiert [beim SPIEGEL] der Ton frustrierter, alleinerziehender Mütter und apokalyptischer Ökopaxe“.

Auch ist es nicht korrekt, wenn Bolz sagt, „heute bestätigt der SPIEGEL nur noch das rot-grüne Weltbild“, denn – um nur ein Beispiel zu nennen – mit seiner unkritischen Haltung der Agro-Gentechnik gegenüber ist der SPIEGEL deutlich in CDU/FDP-Terrain vorgedrungen (SPIEGELblog berichtete mehrfach, u.a. hier).

Aber nun, wenn Bolz meint, dass früher der Öffentlichkeit etwas gefehlt hätte, wenn es das Magazin nicht gegeben hätte, so ist da sicher etwas dran. „Zu Augsteins Zeiten hat der SPIEGEL den geistig-politischen Ton in diesem Lande angegeben“, so Bolz, „und man musste dazu Stellung nehmen – pro oder contra. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Strauß hat unter dem SPIEGEL noch gelitten, Kohl hat ihn hartnäckig ignoriert. Aber Schröder wusste schon gar nicht mehr, dass es ihn gibt.

Wie konnte es zu diesem Absturz in die Bedeutungslosigkeit kommen?
Seit ich lesen kann, lese ich den SPIEGEL. Er gehörte zur geistigen Diät meines Vaters, und noch heute habe ich ihn abonniert. Deshalb traue ich mir ein Urteil als Leser zu.

Der alte SPIEGEL hat mich durch seinen Einheitssound fasziniert. Die Texte kamen wie aus einem Synthesizer. Das deutsche Nachrichten-Magazin war für mich eine große Maschine der Aufklärung. Es gab keine namentlich genannten Autoren, dafür aber Überraschungen und Enthüllungen.

Heute steht unter jedem Artikel der Name des Autors, aber man weiß vorher schon, wie die Botschaft lauten wird. Früher hat der SPIEGEL irritiert und provoziert. Heute bestätigt er nur noch das rot-grüne Weltbild…

Heute dominiert der Ton frustrierter, alleinerziehender Mütter und apokalyptischer Ökopaxe. So ist aus dem Sturmgeschütz der Demokratie das Zentralorgan der politischen Korrektheit geworden. Mit einem Wort: Der Spiegel ist kastriert…

Berichterstattung über Kate und William ist heuchlerisch
Im Grunde handelt es sich hier um eine Art Boulevard für Intellektuelle, also um Klatsch und Tratsch höherer Ordnung. Doch wie verträgt sich das mit dem Anspruch, das deutsche Nachrichten-Magazin zu sein?

Neulich konnte man darin die Frage lesen: ‚Können Kate und William ihre Flitterwochen ungestört von der britischen Boulevardpresse verleben?‘ So etwas nennt man Heuchelei: Boulevard in Form einer Kritik des Boulevards.

Bei der Sarrazin-Berichterstattung hat sich Augstein im Grab herumgedreht
Eine wahre Orgie der Heuchelei hatte der SPIEGEL ja im Fall Sarrazin gefeiert. Erst kam der große Vorabdruck aus Sarrazins Buch und eine Woche später folgte der große Verriss nach dem Motto: So etwas wollen wir nie wieder lesen! Augstein hat sich im Grab herumgedreht.“

Lesen Sie hier den kompletten Text auf BILD.de.

 

6 Kommentare zu “Medienforscher Bolz in der BILD: Der SPIEGEL ist „eine Art Boulevard für Intellektuelle, also Klatsch und Tratsch höherer Ordnung“”

  1. Gregor sagt:

    An der Analyse von Norbert Bolz ist was dran. Aber nicht nur der Spiegel hat sich seit den 60-ern und 70-ern gedreht. Von kritischen Gedanken hin zu Mainstream-Gutmenschelei. Das muss man leider „neidlos“ anerkennen. Der Spiegel ist letztendlich ja auch nur auf Verkaufszahlen aus. Und deshalb haut er in die gleiche Kerbe und schürt die derzeitigen Strömungen. Das gesellschaftliche Klima wird seit Jahren stark z.B. von einer sozialpädagogische orientierten Mittleidsindustrie, engagierten Müttern (die ihre Kinder natürlich am liebsten auf´s Gymnasium schicken wollen) usw. geprägt. Heuchelei, Alarmismus und Panikmache spielen dabei eine grosse Rolle. Der grosse Erfolg der (mittlerweile oliv ;-)-Grünen ist ja auch ein Anzeichen dafür. Links und Rechts verschwimmen oder verschwinden und die „Mitte“ wird von Armen und Benachteiligten-„Verstehern“ dominiert, denen an der Veränderung solcher Verhältnis nur wenig liegt. Ob wir das wollen oder nicht. So ist es. Leider.

  2. Robert sagt:

    Ein sehr durchsichtiges Manöver der BLÖD: Nachdem der „Spiegel“ die „Bild“-Zeitung als Surrogat für eine rechtspopulistische Partei in Deutschland geoutet hat, schlägt Springers Kampfblatt nun zurück – nachdem ein Spiegel-Reporter den Henri-Nannen-Preis zurückgeben musste, weil er nicht sauber recherchiert hatte. Ein willkommener Anlass.
    Und Prof. Bolz ist für BILD ein idealer Finger am Abzug der Verbalkanonanade zwischen den beiden Medien: Gegegnüber den Lesern lässt er sich als ehrbarer, angesehener Wissenschaftler präsentieren; ideologisch ist er bestens einsetzbar, weil mit seinen Cultural-Studies-Theorien, mit denen er schon die Blödheiten des Privatfernsehens schöngeredet hat, weniger als Medienkritiker als vielmehr als deren Apologet fungiert.
    Nun gut, er ist klug genug, um einige zutreffende Kritikpunkte herauszugreifen (siehe Kommentar von Gregor), doch schnell verstrickt er sich in Widersprüche: Erst erinnert er an den guten, alten Augstein-Spiegel mit seiner eindeutig linken Positionierung, dann lobt er den „Modernisierungskrus“ unter Aust, als der Spiegel zur ideologiefreien Hochglanz-Konkurrenz des „Focus“ degenerierte. Also, was denn nun?
    Das „Hamburger Nachrichtenmagazin“ hat sich heute irgendwo dazwischen positioniert: Einerseits versucht es, Markt- und Auflagenanforderungen à la Aust gerecht zu werden; andererseits bezieht es wieder klarer politisch Position. Wo ist das Problem? Offenbar dass es wieder stärker gegen die BILD-Zeitung Stellung bezieht.
    Das eigentliche Problem besteht darin, dass offenbar auch Spiegel-Redakteure in den heutigen Zeiten nicht immer ganz sauber recherchieren. Aber da wäre es besser, wenn gerade die BILD etwas mehr Zurückhaltung an den Tag legen würde.

  3. Jörg sagt:

    Herr Bolz macht sich mit seiner Analyse zum Büttel der „Bild“. Der vermeintlich „kastrierte Spiegel“ ist in Wirklichkeit die Springer-Retourkutsche für den Brandstifter-Bild-Titel von vor einigen Wochen. Dass der Spiegel das rot-grüne Weltbild bedient, ist sowieso schlichtweg Quatsch. Die Wirtschaftsredaktion strotzt nur so vor Neokonservativismus: Pro-Privatisierung, Pro-China, Pro-Steuersenkung, Pro-Automobilwirtschaft etc. Eindeutig Contra gibt der Spiegel bei Wind- und Solarenergie, Finanztransaktionssteuer oder Klimaschutzdebatten. Sein stärkstes Stänkermittel ist jedoch das Lächerlichmachen von den sogenannten Gutmenschen (übrigens Nazi-Jargon), Öko-Paxen und Wut-Bürgern (dieses Wort des Jahres stammt direkt aus einem Spiegel-Artikel).
    Die Armen und Benachteiligten zu verstehen und ihnen bei der Beschreibung von Missständen eine Stimme zu geben, ist übrigens kein Zeichen vom „Verschwinden in der Mitte“ sondern von Fairness und Journalistenhandwerk.

  4. Liam sagt:

    Das unter jedem Artikel der Name des Verfassers steht, finde ich persoenlich aber sehr gut. Ich moechte nach Moeglichkeit wissen, wer das, was ich da lese, geschrieben hat.

  5. Martin sagt:

    Generell würde ich Jörg zustimmen. Der Spiegel propagiert seit Jahren (eigentlich seit Aust) Privatisierung, Atomenergie und konservativ-neoliberales Gedankengut. Zur Erinnerung: Der Spiegel bediente die Hetze gegen die Sozialsysteme vorzüglich („Wie die Alten die Jungen ausplündern“ war, glaube ich, einer der Titel). Er machte sich zum Befürworter der Deregulierung der Wirtschaft, stellte umfassende Privatisierungen als den einzigen Weg der Reform dar und berichtete mehrheitlich positiv über Merkel. Das Ganze ist eigentlich wenig verwunderlich, bedenkt man, dass Bertelsmann eine Sperrminorität am Spiegel besitzt. Von linkem „Gutmenschentum“ kann ich im Spiegel wenig erkennen, ich beobachte vielmehr stetig nachlassende Analysetiefe und eine zynisch-arrogante Schreibweise, die ich einstmals eher im Focus verortet hätte. Der Spiegel ist zu einem neoliberal-konservativen Organ geworden – allerdings, und da gebe ich Bolz absolut recht – zu einem ohne jeden Biss, auf das Deutschland gut und gerne verzichten könnte. Dennoch hat Gregors Kommentar am Schluss einiges für sich, auch wenn ich seine eigentliche Prämisse nicht teile: Während rechts und vornehmlich links immer mehr verschwimmen, gerieren sich angebliche Armenversteher, denen wahrlich nichts an der Veränderung der Verhältnisse liegt. Man bedenke nur die „Linkswende“ von Union und FDP, deren Hofberichterstatter auch der Spiegel ist.

  6. USA! USA! « Erfurter Domspitzen sagt:

    […] einen sehen ihn zunehmend ins Boulevardeske abrutschen – andere kritisieren mangelnden, kritischen Abstand hinsichtlich bestimmter Themenkomplexe: […]

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