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Mythenbildung statt Aufklärung: Wie der SPIEGEL die G20-Einigung zu einem bedeutenden Schritt hin zur Lösung der Weltprobleme verklärt

„Through the prism of 9/11, one can see how the corporate mass media are in fact doing more mythmaking than news reporting.“
Prof. Mickey S. Huff, Prof. Paul W. Rea, Project Censored [1]

Es ist diese kritiklose Weitergabe der Politiker-PR, die beim SPIEGEL immer wieder zu beobachten ist und die das Nachrichtenmagazin so unjournalistisch staatstragend machen. So auch geschehen in dem Artikel „Gipfelstürmer Obama packt Welprobleme an“ [2], [2]der gerade auf SPIEGEL Online den Aufmacher bildet (siehe Screenshot). Die Überschrift in Verbindung mit dem Foto, auf dem US-Präsident Obama mit geballter Faust Willensstärke signalisiert – besser hätte es die PR-Abteilung im Weißen Haus auch nicht machen können.

Obama&Co. werden die zentralen Weltprobleme leider wohl nicht lösen
Doch wenn man sich anschaut, was da auf dem Gipfel auch „dank“ Obama beschlossen wurde, dann darf daran gezweifelt werden, dass die Weltprobleme dadurch wirklich in absehbarer Zeit gelöst werden. Natürlich ist hier die Frage, was man unter „Weltproblemen“ versteht. Obama, Merkel&Co. meinen damit vor allem, die Großkonzerne und allen voran die Banken zu retten. Meint der SPIEGEL das auch? Nun, an den wirklich zentralen Problemen diese Erde geht ein solch einseitig ausgerichteter Rettungsplan jedenfalls vorbei. Nach Auffassung der SPIEGELblog-Redaktion sind die zentralen Probleme auf dieser Erde nämlich (1) der Hunger, an dessen folgen weltweit rund 30.000 Menschen pro Tag sterben sollen, (2) das unaufhaltsame Auseinanderdriften von Arm und Reich sowie (3) die fortschreitende Naturzerstörung bzw. -vergewaltigung (Abholzung der Regenwälder, Leerfischung der Meere, Massentierhaltung etc.).

Die Politiker haben die Megaprobleme jahrzehntelang nicht gelöst – warum also sollten wir so naiv sein zu glauben, dass sie es jetzt zu tun gedenken?
Diese Probleme sind wohlgemerkt seit Jahrzehnten ungelöst, obwohl die Völker dieser Erde ihren Regierungen über die Jahre AberBILLIONEN(!) an Steuergeldern überantwortet haben, damit sie uns gerechtere und friedliche Gesellschaften bauen. Doch Pustekuchen. Die einzigen, die profitiert haben, sind die Lenker der Großkonzerne, die reicher und mächtiger sind denn je. Wieso also sollte man annehmen, dass die auf dem G20-Gipfel anwesenden Politiker, die oft genug nicht mehr als die Hansel dieser Konzernstrategen sind, die wirklich großen Probleme jetzt „anpacken“ wollen? SPIEGEL Online jedenfalls erzählt es uns nicht. Sollen wir daraus schließen, dass das Nachrichtenmagazin genau wie Obama, Merkel&Co. vor allem an der Rettung der Großkonzerne gelegen ist?

Man könnte es meinen. Schauen wir also mal, wie SPIEGEL Online es begründet, dass „Gipfelstürmer Obama die Weltprobleme anpackt“. Als erstes heißt es im Artikel, Obama hätte den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan dazu gebracht, den designierten NATO-Generalsekretär Rasmussen doch noch zu akzeptieren. Aus Sicht der NATO ist dies sicher toll – und noch toller ist, dass SPIEGEL Online dieses Ereignis als erstes in seinem Artikel erwähnt, in dem es doch um die Lösung der Weltprobleme gehen soll… Versteht sich der SPIEGEL etwa als Fürsprecher der NATO? Auf jeden Fall darf bezweifelt werden, dass die Ernennung Rasmussens dazu beiträgt, dass kein Mensch mehr hungern muss, Arm und Reich wieder zusammengeführt werden oder zum Beispiel auch die Abholzung der Regenwälder alsbald ein Ende nimmt.

Dann, so lesen wir weiter auf SPIEGEL Online, stünde in der Abschlusserklärung, „die Ära des Bankgeheimnisses ist vorüber“. Klingt wirklich toll, doch Papier ist geduldig. Und selbst wenn das Bankgeheimnis weltweit vollends abgeschafft würde, so hieße dies weiß Gott noch lange nicht, dass dadurch am Ende wirklich etwas Zählbares für die Masse der Menschen (und deren Mitgeschöpfe) auf dieser Erde bei rumkommt. Zwar sollen gemäß der Abschlusserklärung auch die Finanzmärkte stärker überwacht werden, doch dass dadurch die oben genannten Probleme auch nur annähernd gelöst werden, darf ebenfalls bezweifelt werden – und SPIEGEL Online erzählt uns nichts darüber, was diese Zweifel zerstreuen könnte.

Afghanistan, Inc.: Contractors in Afghanistan are making big money for bad work
Anschließend lesen wir, dass „die neue Afghanistan-Strategie zu einem großen Teil das Verdienst Obamas ist. Der US-Präsident kündigte die Entsendung von 21.000 zusätzlichen Soldaten an den Hindukusch an. Zugleich will er den zivilen Wiederaufbau stärken und Nachbarstaaten wie Pakistan und den Iran in die Lösung des Konfliktes einbeziehen. Der Plan entspricht dem europäischen Konzept der vernetzten Sicherheit ‚zu hundert Prozent‘, wie Merkel sagte.“

Klingt auch alles super – aus Politikersicht jedenfalls. Und da haben wir sie wieder: die Weitergabe des politischen PR-Geredes. 21.000 Soldaten mehr heißt ja erst einmal noch mehr Militarisierung. Und auch das von SPIEGEL Online so gelobte „europäische Konzept der vernetzten Sicherheit“ hat sich zuletzt nicht gerade durch eine Enmilitarisierung ausgezeichnet (z.B. vor Somalias Küste). Die Politiker versäumen es also sträflich, sich konsequent mit den wirtschaftlichen und politischen Ursachen der Probleme (auf der ganzen Welt und nicht nur in Afghanistan) zu befassen. Hintergrund: Letztlich geht es um die militärische Absicherung mächtiger Wirtschaftsinteressen. Wer also nicht nur Politiker-Geblabbel auf SPIEGEL Online wiedergekaut lesen möchte, dem sei zum Beispiel das Stück „Afghanistan, Inc.: Contractors in Afghanistan are making big money for bad work“ [3] von CorpWatch empfohlen.

Und dann heißt es noch in dem Artikel, Obama hätte den Anfang vom Ende der nuklearen Bewaffnung ausgerufen. Das klingt sogar toller als toll. Obamas erklärtes Ziel sei eine „atomwaffenfreie Welt“. Doch wie am Ende des SPIEGEL-Online-Beitrags zu lesen ist, glaubt der 47-jährige Obama selber nicht daran, dass dieses Ziel einer atomwaffenfreien Welt „schnell erreicht werden“ könne, vielleicht nicht einmal zu seinen Lebzeiten – also in den nächsten 30 bis 40 Jahren nicht.

Und wenn so bedeutende Medien wie der SPIEGEL weiterhin so unkritisch die Hoffnungsblasen der Politiker, hinter denen letztlich immer nur eine knallharte Politik pro Großkonzerne steht, in ihre Artikel heben, so werden die eingangs erwähnten zentralen Weltprobleme (Hunger, Arm/Reich-Verhältnis, Naturzerstörung) in 30 bis 40 Jahren immer noch ungelöst sein. Nur die Regenwaldabholzung könnte bis dahin ein Ende gefunden haben – schlicht, weil es dann keine Regenwälder mehr gibt…