- SPIEGELblog - http://www.spiegelblog.net -

Nina Fedoroff, Clinton-Beraterin mit Nähe zur Gentech-Industrie, kann im SPIEGEL-Online-Interview problemlos ihre Botschaften loswerden

„Nichts ist schwieriger zu überwinden als die Probleme, von denen wir dachten, wir hätten sie bereits überwunden.“
Alexis de Tocqueville

Zu diesen Problemen gehört die blinde Technik- und Fortschrittsgläubigkeit [1], die vor allem in den 50-er Jahren des 20. Jahrhunderts in den Köpfen der Menschen herumspukte und sich damals unter anderem in einer totalen Atomenergie-Euphorie, die die Risiken ausblendete, manifestierte. [2]Auch bescherte sie der Welt die so genannte „grüne Revolution“ [3], die sich durch eine intensive und auf Monokulturen ausgerichtete Landwirtschaft, durch modernste Agrartechnik und einen massiven Einsatz von Pestiziden und synthetischen Düngemitteln auszeichnete – und das große Versprechen, mit all der Technik und den Giften dem Hunger den Garaus zu machen. Doch auch wenn sie kurzfristige Erfolge und Ertragssteigerungen brachte, so waren diese nicht nur mit einem gigantischen Rohstoffeinsatz erkauft, auch wurden Böden langfristig vernutzt, vergiftet, ausgelaugt und neue Wüsten sowie soziale Ungleichheit geschaffen.

Technikeuphorie des SPIEGEL frappierend
Vor allem aber wurde das große Versprechen nicht gehalten, nämlich den Hunger auszumerzen; denn dieser ist auf der Welt immer noch tragische Realität. Doch der Technikgläubigkeit der Agro-Konzerne tut dies keinen Abbruch, behaupten sie nun mit Nachdruck, gentechnisch veränderte Lebensmittel seien die Lösung für das Hunger- und auch Klimaproblem. Dass die Agro-Konzerne dies so fortschrittsgläubig vortragen, verwundert unterdessen nicht wirklich. Dass aber Medien wie der SPIEGEL, die sich nach eigenem Bekunden dem investigativen Journalismus verschrieben haben, ebenfalls in diese Gentechnikeuphorie verfallen, verwundert in Anbetracht der Erfahrungen aus der Vergangenheit und der Faktenlage doch sehr.

Fedoroffs Nähe zur Gentech-Industrie ist für den SPIEGEL kein Thema
Dass diese „Designerpflanzen“ aus dem Genlabor die Lösung für die Nahrungsmittelkrise seien, diese Botschaft transportiert SPIEGEL Online auch mit seinem Interview mit Dr. Nina Fedoroff [4], das heute online gestellt wurde (siehe Screenshot). Fedoroff wird nicht nur Obamas Außenministerin, Hillary Clinton, in Wissenschaftsfragen beraten. Auch ist sie ein Überbleibsel aus der Bush-Regierung, die wohlgemerkt engste Verbindungen zu Monsanto [5], dem mächtigsten Gentech-Konzern der Welt, gepflegt hat. Von Fedoroff etwas anderes als Werbebotschaften für die Gentech-Industrie zu erwarten, wäre also ziemlich naiv. Zumal Fedoroff bei Political Friendster explizit als Pflanzenbiologin für genetisch veränderte Organismen bezeichnet wird [6] und sie auch seit Jahren zur Forschung in diesem Bereich beiträgt. Zudem war sie bis 2007 als Beraterin der Biotech-Firma Evogene [7] tätig – wobei Evogene auch eng mit Monsanto zusammenarbeitet [8].

Umso kritischer hätte SPIEGEL Online Fedoroff begegnen müssen. Doch weder wird in dem Interview auf mögliche Interessenkonflikte bei Fedoroff aufmerksam gemacht, noch werden mögliche Gefahren von Gentech-Pflanzen oder Alternativen zur Lösung von Hunger und sozialer Ungerechtigkeit wie die diversifizierte Ökolandwirtschaft [9] angesprochen. Auch wird nicht zum Thema gemacht, dass es die Strukturen wie ungerechte Handelsabkommen und Agrarexportsubventionen [10] sind, die maßgeblich für die zunehmende Armut und den Hunger sowie für die Zerstörung der Märkte der Entwicklungsländer verantwortlich sind – und dass die Politik der Gentech-Konzerne gerade diese Strukturen begünstigt.

Fedoroff nimmt die Steilvorlagen des SPIEGEL dankend an
Statt dessen reitet SPIEGEL Online schon mit der Headline „Gentechnikgegner richten großen Schaden an“ eine Attacke im Namen der Gentech-Konzerne. Und auch die erste Frage von SPIEGEL Online zur Bedeutung von Gentechpflanzen kommt einer Steilvorlage gleich, lautet sie doch: „Und Sie werden der neuen Regierung raten, zur Vorbereitung auf den Klimawandel auf genveränderte Pflanzen zu setzen?“ – woraufhin Fedoroff ein „Ja , natürlich“ zum Besten geben und den Lesern anschließend auch noch erklären kann, dass „die Pflanzensorten, die nötig sind, um neun Milliarden Menschen inmitten erheblicher Klimaveränderungen zu ernähren, nicht allein mit klassischen Züchtungsmethoden entstehen werden“.

Wer jetzt vom SPIEGEL eine kritische Frage erwartet hat, der hat sich geschnitten. Es kommt lediglich eine kurzes „warum?“ – was Fedoroff wieder eine Steilvorlage bietet, um eine weitere zentrale Botschaft der Gentech-Industrie loszuwerden, nämlich dass „es mehr einer gentechnikfreundlichen Politik bedarf, damit alle Menschen ausreichend Nahrung haben.“

Auch im Anschluss daran nimmt das Interview keine kritische Wendung. Zwar fragt SPIEGEL Online: „Umweltschützer warnen, dass der Kurs, den Sie für die Gentechniknutzung vorschlagen, die Welternährung in die Kontrolle weniger Großkonzerne bringt.“ Doch Fedoroff kontert sogleich mit „aber das passiert doch gerade jetzt – wegen der Gentechnikfeindlichkeit“ – woraufhin vom SPIEGEL lediglich ein „wie bitte?“ kommt. Woraufhin Fedoroff erneut die Möglichkeit gegeben wird auszuführen, es sei so fatal, dass „die agrarische Gentechnik an den staatlichen Universitäten [Europas] kaum gefördert“ würde, weshalb „die hellsten Köpfe in der Pflanzenbiotechnologie in die großen Unternehmen abwandern“.

Wo ist beim SPIEGEL der kritische Skeptizismus im Sinne Chargaffs geblieben?
Aus Sicht der Gentechnik-Konzerne mag dies bedauerlich sein – aus Sicht der Gesellschaft aber keineswegs. Stellt sich doch vor allem auch die Frage, ob wir derlei Forschung überhaupt benötigen – ein Gedanke, den SPIEGEL Online aber nicht aufgreift. Dabei sind es ja die Strukturen, die Probleme wie den Hunger verursachen, und nicht das Fehlen einer neuen Technologie.

Zudem sind die Risiken der Gentechnik nicht abschätzbar. Einfach deshalb, weil man die Verbreitung gentechnisch veränderter Organismen, sobald diese ausgepflanzt werden, nicht verhindern kann – und man dabei nicht weiß, ob eine solche Verbreitung unbedenklich ist. So wird es unweigerlich zu Krezugungen mit anderen Pflanzen kommen – doch wer kann von sich behaupten, mit Sicherheit sagen zu können, dass diese Pflanzen für die Lebwesen auf dieser Erde auch bekömmlich sind, wo es ja viele Studien gibt, die zeigen, wie gefährlich sie sind [11]? Niemand – außer die (Gen)Technologiegläubigen natürlich.

Das Interview mit Fedoroff ist im Übrigen bezeichnend für die unkritische Berichterstattung des SPIEGEL. So behauptete das Nachrichtenmagazin bereits vor einigen Wochen, dass wir angeblich nur die Wahl hätten zwischen Gentech- und Pestizidäpfeln, wenn es um die Zukunft des Apfels geht – Öko-Äfpel wurden dabei einfach ausgeblendet. Beweise für diese These konnte der SPIEGEL merkwürdigerweise aber nicht vorlegen (SPIEGELblog berichtete [12]). Kurz davor sprach der SPIEGEL Gen-Baumwolle einen „Freispruch“ aus (SPIEGELblog berichete [13]). Und am 21. April 2008 pries der SPIEGEL in seinem Beitrag „Super-Hirse für die Armen“ [14] Gengewächse als die Lösung für die Nahrungskrise an. Der einzige Grund, so der SPIEGEL, dass den Hungernden bisher noch nicht geholfen wurde, sei, dass „die Agro-Konzerne die falschen Sorten entwickeln“.

In Anbetracht von soviel Fortschrittseuphorie möchte man dem SPIEGEL die Worte des 2002 verstorbenen Erwin Chargaff, der einer der ganz großen der Naturwissenschaften war und als einer der Väter der Gentechnologie später zu einem der größten Kritiker seiner Forscherzunft wurde, zurufen:

„Selbst als ich jung war, gingen alle meine Neigungen in die Richtung eines kritischen Skeptizismus: Ich konnte nur glauben, was mir nicht gepredigt wurde. Aber sogar ich war nicht vorbereitet auf jene Orgie der Übertreibungen und leeren Versprechungen, welche die biologischen Wissenschaften überschwemmt.“