Schonraum: Historischer Skandal in der Gesundheitsbranche ist dem SPIEGEL erneut keine Meldung wert

  17. März 2009, von T. Engelbrecht

(Mit Dank an Georg v. Wintzingerode für den Hinweis)

Studien, die Dr. Reuben wohl gefaked hat; Q: anesthesiologynews.com

Wissen SPIEGEL-Leser mehr? Wenn es um Skandalverhalten, Rekordstrafen und Raffgier der Pharmabranche geht, sicher nicht – das muss man immer wieder feststellen.

Nicht nur beim Amoklauf des 17-jährigen Tim K. scheut der SPIEGEL, der naheliegenden Frage nachzugehen, ob Antidepressiva den 17-jährigen Schüler haben Amok laufen lassen (siehe SPIEGELblog-Bericht). Auch am 17. Februar berichtete SPIEGELblog, dass der SPIEGEL Erfolgsmeldungen von Pharmakonzernen wie Eli Lilly an seine Leser gerne weitergibt, jedoch etwa die historische Rekordstrafe für Eli Lilly von satten 1,4 Mrd. $ für illegale Marketingaktivitäten unter den Tisch fallen lässt – Marketingaktivitäten, die wohlgemerkt auch für deutsche Patienten in der Konsequenz lebensgefährlich sein können. Dabei war die Meldung so heiß, dass die New York Times daraus sogar eine exklusive Meldung – einen Scoop – machte.

Der SPIEGEL liest sich wie ein „Was ist was?“-Buch für große Kinder
Auch jetzt berichtet die New York Times über einen erneuen Skandal von wahrscheinlich historischer Dimension aus der Medizinbranche – und wieder interessiert es den SPIEGEL nicht. In dem Artikel mit der Überschrift „Doctor Admits Pain Studies Were Frauds, Hospital Says“ geht es um „den womöglich am längsten währenden und weitreichendsten Fall wissenschaftlichen Betrugs“. Im Zentrum des Betrugs steht ein gewisser Dr. Scott S. Reuben, der als „einer der erfolgreichsten Forscher auf dem Gebiet der Anästhesiologie [= Narkose- und Intensivmedizin] gestand, ein Großteil der Daten, auf die er seine Studien aufgebaut hatte, erfunden zu haben“ (siehe Screenshot).

Dass der SPIEGEL hier wegschaut, ist besonders tragisch. Denn wenn wir schon von den gesetzgebenden Politikern, die eng mit der Pharmabranche verbandelt sind, nicht mehr erwarten können, dass sie dem eklatanten Fehlverhalten der Konzerne und Top-Wissenschaftler einen Riegel vorschieben – und nun auch Medien wie dem SPIEGEL nicht mehr als Wachhung agieren, wer soll die Gesellschaft dann noch schützen? Interessant sind für den SPIEGEL vor allem nette Geschichtchen zum Beispiel darüber, dass die Gehirne von Gitarrenspielern synchron schwingen, wenn beide die gleiche Melodie spielen. Mit anderen Worten: Die Wissenschaftsrubrik des SPIEGEL liest sich wie ein „Was ist was?“-Buch für große Kinder – doch das, was die Machtmissbraucher in der Gesundheitsbranche das Fürchten lehren könnte, erfährt man leider nicht, nämlich: Wer macht was, sprich wer in der Gesundheitsbranche verzapft was an Betrügereien und Tricksereien?

 

3 Kommentare zu “Schonraum: Historischer Skandal in der Gesundheitsbranche ist dem SPIEGEL erneut keine Meldung wert”

  1. nautiker sagt:

    ja, der bericht über die gleichschwingenden gehirne bei musikern die die gleiche melodie spielen war wirklich erheiternd.
    wie sonst sollten musiker gemeinsam ein stück spielen können wenn es nicht so wäre?

  2. egalo sagt:

    immerhin kam später ein interview zum thema:

    http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/80/90/dokument.html?id=64760908

  3. SPIEGELblog sagt:

    … vielleicht habe wir ja doch eine kleine Wirkung 😉

    SPIEGELblog-Team

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