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SPIEGEL-Beitrag „Freispruch für Gen-Baumwolle“ liest sich wie eine Pressemitteilung von Monsanto

In seiner Ausgabe 47/2008 erteilt der [1]SPIEGEL [1] im Kanon mit anderen Medien wie The Guardian [2] oder New Scientist [3] der Gen-Baumwolle einen „Freispruch“ (siehe Abbildung). Doch der Beitrag ist so undifferenziert und einseitig, dass es sich gut und gerne um eine Pressemitteilung des Gentech-Konzerns Monsanto hätte handeln können. Damit hat es der SPIEGEL versäumt, seiner Funktion als journalistisches Medium gerecht zu werden, nämlich die Aussagen auf Fakten zu prüfen und diese kritisch einzusortieren. Was hier besonders prekär ist, weil die Thesen des Artikels faktisch nicht haltbar sind.

Der SPIEGEL vom 17.11.08, S. 156 [4]
Der SPIEGEL vom 17.11.08, S. 156

So wird in dem Beitrag ausschließlich unter Berufung auf die Studie „Bt Cotton and Farmer Suicides: Reviewing the Evidence“ [5] [6]des Inernational Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington, das der Weltbank unterstellt ist und im Text als „unabhängig“ bezeichnet wird, als Fakt hingestellt, dass der Anbau genmanipulierten Baumwollsaatguts – entgegen Behauptungen von Gentech-Gegnern – indische Bauern nicht vermehrt in den Selbstmord getrieben hätte. Zudem heißt es in dem Artikel, dass die IFPRI-Studie zeigen würde, „die Genbaumwolle sei für Indien und seine Bauern sogar ein Erfolg“, weshalb „Indiens Finanzminister jetzt verlangt, auch Reis, Weizen und Ölsaaten unter Einsatz von Biotechnologie aufzurüsten.“

Doch die Thesen verfangen nicht, und zwar gleich aus mehreren Gründen:

– Das IFPRI kann in Sachen gentechnischmanipulierte Pflanzen nicht als unabhängig bezeichnet werden
– Den Kritikern der Gen-Pflanzen wird eine simplifizierte bzw. monokausale Argumentation in den Mund gelegt – nämlich dass ausschließlich der Anbau von Gen-Baumwolle indische Bauern vermehrt in den Suizid getrieben hätte; doch die Argumentation von bedeutenden Organisationen wie Greenpeace oder auch GM Watch ist viel differenzierter bzw. umfassender
– Es kommt in dem SPIEGEL-Beitrag keine kritische Stimme zu Wort
– Statt dessen werden nur einzelne Punkte aus der IFPRI-Studie im SPIEGEL widergegeben; doch diese halten einer Überprüfung der Fakten nicht stand – nicht einmal, wenn man nur die mehr als 50 Seiten umfassende IFPRI-Studie genauer studiert…

So ist zu der vom SPIEGEL behaupteten „Unabhängigkeit“ des IFPRI zu sagen: Allein der Umstand, dass das IFPRI, wie erwähnt, letztlich der Weltbank unterstellt ist, zeigt, dass das IFPRI keine unabhängige Position bekleidet. Denn die Weltbank hat sich genau wie die Regierungen, die ihre Politik bestimmen, stets in erster Linie für die Interessen der Agrokonzerne und damit auch für die Belange der Gentech-Riesen wie Monsanto stark gemacht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass traditionell die USA als größter Anteilseigner des Instituts den Präsidenten der Weltbank stellt – und die USA sind das Heimatland von Monsanto.

Entsprechend heißt es auch auf der IFPRI-Website [7]: „Some [genetically modified crops] do have great potential to alleviate hunger and malnutrition and benefit poor populations in developing countries… In collaboration with Oxfam-America, national partners, and an advisory committee representing a range of stakeholders, IFPRI is also working to develop a set of ‚best practices‘ for assessing the social and economic impact of genetically engineered crops.“

Das IFPRI war letztlich schon immer pro gentechnisch veränderte Pflanzen. Dies heißt zwar noch nicht zwangsläufig, dass die auch im SPIEGEL zitierten Aussagen aus der IFPRI-Studie ‚Bt Cotton and Farmer Suicides: Reviewing the Evidence‘ hinfällig sind. „Doch wenn man die Studie genau anschaut“, so GM Wacht, deren Experten die Studie analysiert und kommentiert [8] haben, „so zeigt sich, dass sie nicht dafür taugt, der Gen-Baumwolle ‚einen Freispruch‘ zu erteilen“ – so wie es der SPIEGEL und andere Medien getan haben.

Auf welch wackeligen Beinen schon die IFPRI-Studie steht, konzedieren die Autoren selber auf Seite 26, wo es heißt, dass nicht einmal „Zahlen darüber vorliegen würden, wieviele von den indischen Farmern, die Selbstmord begingen, Baumwolle geschweige denn Gentech-Baumwolle angepflanzt hatten“. Auch gäbe es keine Daten darüber, wieviele Bauern in Indien Selbstmord begingen, nachdem sie eine Missernte eingefahren hatten.

Davon abgesehen konstatieren die Verfasser der Studie etwa auf Seite 29: „Wir können nicht ausschließen, dass der Anbau bestimmter Sorten gentechnisch veränderter Baumwolle eine potenzielle Rolle gespielt hat beim leichten Anstieg von Selbstmorden unter Farmen in bestimmen Regionen und Jahren.“

Von Bedeutung in diesem Zusammenhang ist auch der Satz auf Seite 42, wo es heißt: „Der Kontext, in dem Gentech-Baumwolle in Indien eingeführt wurde, hat in speziellen Landstrichen und zu bestimmten Jahreszeiten enttäuschende Ernteergebnisse gebracht.“ Von Bedeutung deshalb, weil es sich bei diesen „speziellen Landstrichen“, wo die „enttäuschenden Baumwollernten“ eingefahren wurden, um den Warrangal-Distrikt im Bundesstaat Andhra Pradesh und die Region Vidarbha im Bundesstaat Maharashtra handelt. Diese Gegenden bilden nicht nur die Haupt-Baumwollgürtel in ihren Bundesstaaten, auch sind sie die bedeutendsten Bauwollanbaugebiete ganz Indiens. Und auch haben die Bundesstaaten Andhra Pradesh und Maharashtra Gentech-Baumwolle am stärksten übernommen, wie die Autoren der IFPRI-Studie auf Seite 28 indirekt einräumen.

„All dies ist absolut konform mit der Kritik, die wir und andere in detaillierter Form an der Gentech-Baumwolle und deren Einfluss auf die Selbstmordrate von Bauern in Indien üben“, so GM Watch. „Dabei haben detaillierte Untersuchungen fast ausnahmslos das Hauptaugenmerk eben auf die Bundesstaaten Andhra Pradesh und Maharashtra gelegt.“ Und so kommen die Autoren der IFPRI-Studie auf Seite 28 ihrer Studie auch zu dem Schluss, dass in Andhra Pradesh „die Selbstmordrate im Zuge der Einführung von Gentech-Baumwolle gestiegen sein könnte.“

Die Kritik an der Gentech-Baumwolle bzw. die Ursache der Selbstmorde indischer Landwirte ist unterdessen komplexer, als es die Verfasser der Studie und auch Medien wie der SPIEGEL uns glauben machen wollen. Die Argumentation von Greenpeace oder GM Watch lässt sich in folgenden Punkten zusammenfassen:

1. Die Agrokonzerne und allen voran Monsanto haben mit massiven Werbekampagnen alles daran gesetzt, gentechnisch veränderte Baumwolle armen indischen Farmern anzudienen. In Maharashtra zum Beispiel hat Monsanto dafür sogar einen Bollywood-Star mobilisiert (obgleich sich dieser später zurückgezogen haben soll, nachdem er von den Auswirkungen der Gentech-Baumwolle erfahren hatte).
2. Gentech-Baumwolle wurde auch stark durch die Regierung in Maharasthra promoted.
3. Schulden sind ein sehr großes Problem für die arme Landwirte und ein wesentlicher Treiber der Selbstmorde.
4. „Die Schulden resultieren nicht nur aus der Gen-Baumwolle“, wie Jan van Aken von Greenpeace betont, „sondern aus dem gesamten System, das vor allem denjenigen, die auf Chemie-Landwirtschaft setzen, hohe Inputpreise für Saatgut, Dünger, Pestizide und Herbizide auferlegt – bei gleichzeitg fallenden Outputpreisen; der Preis für ein US-Pfund Rohbaumwolle lag zum Beispiel 1994 noch bei 92 US-Cent, 2004 dann nur noch bei 54 US-Cent.“
5. Ohne Gentech-Baumwolle würden die Bauern also auch nicht viel besser dastehen als sie es derzeit tun, wie van Aken ergänzt; doch die Gentech-Baumwolle ist eben die deutlich teurere Saatgut-Option – und viele Bauern entscheiden sich für sie, weil ihnen durch die Werbung Glauben gemacht wird, sie sei letztlich zu ihrem Vorteil; auf Seite 25 des IFPRI-Reports heißt es entspechend: „Schuldenlasten bei der ländlichen Bevölkerung in Indien sind kein neues Phänomen. Was neu ist, ist die Natur und das Muster der Schulden – gekennzeichnet dadurch, dass sich die Bauern in einer hochpreisigen Landwirtschaft engagieren [und sich dafür hoch verschulden] in der Hoffnung, schuldenfrei zu werden.“
6. Doch wenn etwas mit der Gentech-Baumwollernte schief geht, stehen die Farmer noch schlechter und höher verschuldet da als zuvor.
7. Und es gab schon reichlich Probleme mit Gentech-Baumwolle in Indien (dies ein Grund, warum argumentiert wird: Solange nicht endgültig geklärt ist, dass Gentech-Baumwolle bzw. -Pflanzen keine Gefahr für die menschliche Gesundheit und überhaupt für eine intakte Natur darstellen, dürfen diese Organismen nicht ausgepflanz werden).

So heißt es auch in dem IFPRI-Report aus S. 23: „Das Problem, dass die [Gentech-Baumwoll-]Pflanzen welk wurden, beobachtete man in vielen Staaten [wie Andhra Pradesh und Maharasthra]… Und in beiden Bundesstaaten entwickelte sich die Gentech-Baumwolle im Vergleich zur nicht-gentechnisch-veränderten Sorten schlecht bzw. besonders schlecht .

Die Argumentation der IFPRI-Studie und auch des SPIEGEL-Artikels lautet nichtsdestotrotz, dass nicht die Gentech-Baumwolle zu belangen sei, wenn die Ernten eingehen und sich die Situation der Farmer verschlechtert, sondern die Begleitumstände wie unzureichende Kreditmöglichkeiten, schlechte Wetterbedingungen, miserable Bewässerungsanlagen, fehlender Zugang zu Informationen oder mangelnde Kontrollen. Dabei vergessen die IFPRI-Autoren genau die SPIEGEL-Redaktion jedoch, dass es exakt diese Bedingungen sind, die Konzerne wie Monsanto ausgenutzt haben und ausnutzen, um Gentech-Baumwolle armen Farmern anzudienen als eine Art Wundermittel zur Lösung ihrer Probleme – mit der Folge, dass die Bauern allzu oft alles auf eine Karte setzen.

Dabai übersehen die Verfasser der IFPRI-Studie und auch die SPIEGEL-Redakteure auch, dass eben diese Gentech-Konzerne nur einen oder allenfalls wenige der vielen Faktoren wie Dürre, Überflutungen, Insektenbefall oder Geldknappheit, die aus Ernten Missernten werden lassen können, addressieren. „Gentech-Baumwolle zum Beispiel soll allein gegen die Baumwollkapselraupe schützen – und natürlich auch nur so lange, wie die Raupen keine Resistenzen ausbilden“, so GM Watch. Auch deswegen ist es nicht nachvollziehbar, wenn es heißt, Gentech-Baumwolle, die im Stile von Monsanto in den Markt gedrückt wird, solle die Lösung des Gesamtproblems sein.

Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch, dass es in reichen Ländern wie den USA oder Deutschland reichlich Sicherheitsnetze (wie üppige staatliche Subventionen, Ernteversicherungen) gibt für die Landwirte, denen Missernten drohen oder solche eingefahren haben. Indische Bauern, denen oft genug die unnachgiebigen Kredithaie auf der Matte oder sogar schon auf den Füßen stehen,  können von solchen Sicherheitsnetzen allenfalls träumen. Und auch deshalb ist es so bedenklich, wenn man in einem System wie dem indischen die hochpreisigen Gentech-Saaten kritiklos hochjubelt.