- SPIEGELblog - http://www.spiegelblog.net -

SPIEGEL misst mit zweierlei Maß: Wortbrecher Schröder hui – Wortbrecherin Ypsilanti pfui; oder: wie Schröder beim SPIEGEL die Realität verklären darf

[1]

Der SPIEGEL vom 20.12.08, S. 27

Was für ein „beherztes“ Vorweihnachtsgeschenk, das der SPIEGEL in seiner Ausgabe vom 20. Dezember und SPIEGEL Online kurz darauf offerieren: Ein Geburtstagsgruß von Kanzler a. D. an Kanzler a. D., von Gerhard Schröder an Helmut Schmidt. „Beherzt und mitfühlend“ [2] heißt die Headline des rührseligen Stücks, das einer Lobeshymne gleichkommt (siehe Abbildung). Von Schmidts „argumentativer, rhetorischer Kraft“, der Schröder sich „nie entziehen konnte“ ist da die Rede genau wie von Schmidts „Geradlinigkeit“ und „seinem rationalen, unverstellten Blick auf die internationale Lage“, die „immer wieder“ bestechen würden.

Aus Schröders Sicht mag ein solcher Geburtstagsgruß durchaus verständlich sein, und an ihm wäre auch gar nichts auszusetzen, wenn er privat erfolgt wäre oder man ihn in der SPD-Zeitung Vorwärts vorgefunden hätte. Doch in einem Nachrichtenmagazin, das sich nach eigener Aussage dem kritischen Journalismus und damit der Kontrolle der Mächtigen verschrieben hat, wirkt ein solcher Geburtstagsgruß deplatziert. Nicht nur, weil Schröder in seiner Lobesarie zum Teil auch die Realität verklärt, sondern auch, weil der SPIEGEL mit zweierlei Maß misst.

So genießt etwa die hessische SPD-Politikerin Andrea Ypsilanti beim SPIEGEL alles andere als ein gutes Ansehen. Durch die Beiträge schimmert eine Antipathie gegen Ypsilanti hindurch. Und so ist es nur konsequent, wenn SPIEGEL Online am 1. Dezember [3] einen Beitrag mit den Worten des Darmstädter Oberbürgermeisters Walter Hoffmann schließt, der da fordert, Ypsilanti müsse freiwillig gehen – am besten noch vor Weihnachten. Grund: Sie habe ihr Wahlversprechen „Nie mit der Linkspartei“ gebrochen und sei dadurch, so SPIEGEL Online, in einen „Sumpf aus Halbwahrheiten abgeglitten“. Gerhard Schröder hingegen hat zwar gleich eine ganze Reihe zentraler Wahlversprechen gebrochen – was den SPIEGEL aber nicht daran hindert, dem Ex-Kanzler sogar eine eigene Plattform im Redaktionsteil darzubieten…

Dass Ypsilanti für ihren Wortbruch scharf kritisiert wird, ist ohne Frage berechtigt. Doch es ist schon erstaunlich, wie Andrea Ypsilanti als eine Art Erfinderin des gebrochenen Versprechens, des Wählerbetrugs, der politischen Unanständigkeit gescholten wird. „Schon vergessen, was Franz Müntefering und Gerhard Schröder vor der vergangenen Bundestagswahl und sogar noch in den Stunden danach gesagt, ja versprochen haben? Mit Merkel – niemals! Und, um etwas kleiner zu werden: Wie sie Wähler mit dem Schwur geködert haben, mit ihnen gebe es keine Mehrwertsteuererhöhung? Kaum war das eine Versprechen gebrochen, also die Große Koalition beschlossen, folgte das nächste.“ Dies schreibt zum Beispiel der Tagesspiegel in dem Kommentar „Es gilt das gerbrochene Wort“ [4] völlig zu Recht.

Auch ist unter der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder von 1998 bis 2005 die Kluft zwischen Arm und Reich weiter gewachsen – entgegen allen Wahlversprechen fand also eine massive Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben statt.

Erschwerend kommt, wie eingangs erwähnt, bei Gerhard Schröders Geburtstagsgruß auf SPIEGEL Online hinzu, dass Passagen des Textes einer Verklärung der Wirklichkeit gleichkommen, die keinen Platz haben dürfte in den redaktionellen Seiten des Nachrichtenmagazins. So schreibt Gerhard Schröder:

„Sucht man nach einem Begriff für das Besondere, das Einzigartige der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt, dann ist es ‚Führung‘. Wie nur wenige in der deutschen Nachkriegsgeschichte hat er es verstanden, durch beherztes staatliches Handeln Krisen zu bewältigen und zugleich den Menschen Orientierung in Zeiten der Unsicherheit zu geben. Demokratische Institutionen beziehen ihre Legitimation und Glaubwürdigkeit auch aus der Entschlossenheit, mit der Politiker agieren. Fehlt es daran, besteht gerade in Krisenzeiten die Gefahr, dass die Bürger sich von der Demokratie abwenden. Dies ist auch eine Lehre aus unserer Geschichte.“

In Wirklichkeit beziehen demokratische Institutionen ihre Legitimation und Glaubwürdigkeit aber nicht aus der Entschlossenheit, mit der Politiker agieren. Politiker können zum Beispiel auch entschlossen Steuergelder für Projekte ausgeben, die für die Allgemeinheit de facto ohne Nutzen sind. Und so erhalten demokratische Institutionen ihre Legitimation und Glaubwürdigkeit vielmehr zuallererst dadurch, dass in ihnen wirkliche Transparenz herrscht und sie fähig sind, Machtmissbrauch und Geldverschwendung (vor allem auch durch entschlossene Politiker) effizient zu verhindern, um so unter anderem dem Auseinanderdriften von Arm und Reich mindestens Einhalt zu gebieten. Genau daran, an Transparenz und Kontrolle der Mächtigen und Korruptionsverhinderung, mangelt es – und primär deshalb verlieren immer mehr Menschen in einer Art Ohnmachtsgefühl das Vertrauen in die Demokratie.

DIe Anti-Korruptionsorganisation Transparency International: „Die demokratische Staatsform wird nur als eine nicht-korrupte Demokratie überleben.“ [5]

Darüber hinaus erwähnt Schröder, dass er „später als Bundeskanzler [Schmidts] Rat geschätzt“ habe, „auch in den Monaten, als Deutschland sich dem Krieg im Irak verweigerte.“ Schröder erwähnt zwar nicht, was „Schmidts ‚Schnauze'“ ihm hier geflüstert hat, aber fest steht, dass immer mehr bezweifelt werden darf, dass sich Deutschland unter der Regierung Schröder tatsächlich dem Irak-Krieg verweigert hat.

Erinnern wir uns: Es werde „keine direkte oder indirekte Beteiligung an einem Krieg geben“, versprach Gerhard Schröder als Kanzler im Februar 2003. Und wie der SPIEGEL selber schreibt [6]: „Sein Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier hatte zu diesem Zeitpunkt bereits den Einsatz von zwei BND-Agenten in Bagdad genehmigt. Berichte der Agenten wurden über Pullach an die Amerikaner weitergeleitet… Indizien legten laut SPIEGEL schon 2006 nahe: Der Einsatz der Agenten ‚war mehr als jene humanitäre Mission, die Steinmeier stets pries‘.“ Kurzum: Auch hier hat Schröder offenbar ein zentrales Versprechen gebrochen…