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SPIEGEL Online hetzt Otto Normalverbraucher auf unseriöse Weise gegen das Energiesparen auf

In seinem Artikel „Energierevolution: Wie Deutschland zur 2000-Watt-Republik wird“ [1] für SPIEGEL Online vom 23. September (siehe auch Screenshot) stellt Holger Dambeck dar, [2]dass „nach Meinung von Experten“ der durchschnittliche Energieverbrauch pro Kopf weltweit auf 2000 Watt, also 48KWh pro Tag, reduziert werden muss. Für Deutschland bedeutet das eine Senkung des Energieverbrauches auf ein Drittel.

Als Wege zur Umsetzung sieht Herr Dambeck vor allem Konsumverzicht. Er nennt Verzicht auf’s Eigenheim, Umzug in die Nähe der Arbeit in den Städten, Radfahren, Verzicht auf Flugreisen, den Kauf nur langlebiger Konsumgüter und Einschränkung des Fleischkonsums.

Dambeck konstatiert, dass das vielen Menschen schwerfallen wird und als „Ökodiktatur“ empfunden werden wird.

SPON-Autor Dambeck übersieht wichtige Fakten
Der Autor übersieht (angesichts der kritischen Haltung des SPIEGEL gegenüber regenerativen Energien wohl absichtlich), dass es nicht zuletzt politisch kontrollierte Strukturen sind, die den Energieverbrauch künstlich hoch halten. Einige Beispiele:

1. Wärmedämmung wird zu wenig gefördert
Dieses Thema ist Bestandteil der aktuellen Energiedebatte und fehlt im Artikel völlig. Das ist nicht akzeptabel, vor allem vor dem Hintergrund, dass mangelnde Wärmedämmung in unseren Breiten der größte Energiefresser überhaupt ist.

Stattdessen wird suggeriert, dass Menschen auf ihr Eigenheim verzichten müssen. Stimmt nicht: Auf ein Eigenheimdach passt eine viel größere Solaranlage …

2. Die höchst zentralistische Stromversorgung
Dezentrale Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung, etwa Gasmotoren zur gleichzeitigen Wärme- und Stromerzeugung in Mehrfamilienhäusern, sind viel effizienter und aufgrund der höheren Redundanz sogar ausfallsicherer als wenige riesige Kraftwerksblöcke, die weit weg von den Verbrauchern stehen (Energietransport frisst ca. 7% des Stroms pro 100km auf).

Der Ausbau erneuerbarer Energien wird zudem von den vier Großen Energiekonzernen mit allen Mitteln verzögert. Man denke an die Atomdebatte.

Im Artikel dazu: Kein Wort!

3. Kilometerpauschale
Diese in Fachkreisen auch „Zersiedelungsprämie“ genannte Subvention bedeutet, dass man beim Pendeln fast noch Geld verdient. Es freut sich die Automobilindustrie, während die Bahnindustrie stagniert. Man könnte die Steuermilliarden auch dazu einsetzen, Arbeitswege zu minimieren.

Die im Stau stehenden Pendler leiden auch noch unter den Folgen der früheren Eigenheimzulage!

4. Mangelnde Transparenz beim Konsumgüterkauf
Es gibt keine ernstzunehmende Möglichkeit, bei Konsumgütern ihren ökologischen Fingerabdruck zu ermitteln. Bisher gibt es nur punktuelle Untersuchungen dazu. Selbst wer hier einen Beitrag leisten will, wird durch die verstreuten Informationen nur verwirrt.

Auch dazu findet sich kein Wort im Artikel.

5. Entwicklungsländer MÜSSEN sich entwickeln
Nur Entwicklung drosselt die Bevölkerungsexplosion. Entwicklung kostet HEUTE Energie. Bevölkerungsexplosion würde MORGEN Energie kosten – und zwar viel mehr als Entwicklung heute kostet, weil es noch mehr Menschen betreffen würde.

Stattdessen wird unterschwellig suggeriert, dass der Ugander (für den Herr Dambeck einen Energieverbrauch von 40 Watt nennt) uns unseren Anteil am Weltenergiekuchen wegnehmen will.

Das nur als Beispiele.

Wer einen Artikel zu so einem wichtigen Thema schreibt, wichtige Dinge weglässt und dem Leser noch das Wort „Ökodiktatur“ unterschiebt, provoziert, wie man im Forum lesen muss, entsprechende Kommentare. Das ist unseriös. Das ist Stimmungsmache pur.

Dass Herr Dambeck Schwierigkeiten mit physikalischen Messgrößen hat (was ist mit „2000 Watt pro Tag“ gemeint?), sei nur am Rande erwähnt.

Viel wichtiger ist, dass Energieeffizienz eine ganzheitliche Sichtweise erfordert. Denn es liegt nicht primär am Einzelnen, die Energie selbst einzusparen. Die Rahmenbedingungen müssen sich verbessern, dann sinken die Anforderungen an den Einzelnen gewaltig.

Nur ein Beispiel für einen gelungenen politischen Eingriff: Rot/Grün mit dem EEG ein vorbildliches Instrument geschaffen, die Energieerzeugung zu modernisieren. Es geht also, wenn man will.

Noch ein Paar Worte zur der in Rede stehenden Größenordnung an Energieeinsparungen seien erlaubt:

48KWh Tagesverbrauch sind anstatt der aktuellen 150 KWh wirklich kein Hexenwerk. Einige Beispiele:

Mein KfW40-Haus mit 200qm Wohlfläche verbraucht 4000 KWh Wärmepumpenstrom im Jahr. Geteilt durch 5 Personen macht das etwas mehr als 2KWh pro Tag – und das bei Mehrkosten von etwa 5 Prozent.

Unsere Familienkutsche fährt keine 10000km im Jahr. Hier zu Hause fahren wir meistens ÖPNV und/oder Fahrrad. Fernreisen machen wir nicht. In Europa ist es auch sehr schön.

Lebensmittel werden uns ohne Aufpreis nach Hause geliefert.

Interessant ist, dass wir nicht nur Energie, sondern auch Zeit sparen. So kann man z.B. beim Bahnfahren Zeitung lesen oder am Laptop leichtere Arbeiten erledigen.

Was finden wir im Artikel dazu? Es fällt wie immer, wenn man einseitig Stimmung machen will, das Wort „Konsumverzicht“.

Schließlich ein letzter Punkt, der im Artikel fehlt: Die Ökodiktatur wird kommen
Nicht aus der Politik, sondern vom Markt, denn fossile Energie wird knapp. Die Energieexpertin Claudia Kemfert rechnet mit einer Rationierung von Ölprodukten ab dem Jahr 2030.