- SPIEGELblog - http://www.spiegelblog.net -

SPIEGEL-Titel „Netz ohne Gesetz“: auf den Pfaden von Familienministerin von der Leyen

Die aktuelle SPIEGEL-Titelstory „Netz ohne Gesetz: Warum das Internet neue Regeln braucht“ (siehe Screenshot) ist mal wieder ein Ausweis dafür, [1]wie staatstragend das Magazin immer wieder daherkommt. Sicher, auch das Internet könnte an der einen oder anderen Stelle neue Regeln benötigen. Doch es ist die mit Verbalinjurien unterlegte globle Attacke auf die Freiheit des Internet, die die SPIEGEL-Story so entgleisen lässt in Richtung Familienministerin von der Leyen.

Schwarzweißmalerei und Verbalinjurien
Schon im Vorspann wird klar gestellt: Da ist auf der einen Seite der Gute – der Rechtsstaat – und auf der anderen Seite das böse Internet, das als „Refugium der Diebe, Rufmörder, Kinderschänder“ gebrandmarkt wird. Sätze, die arg an Überwachungsminister Schäuble erinnern.

Davon abgesehen fragt man sich: Wo sind Titelgeschichten wie „Merkel, Schäuble & Co.: Warum Überwachungsfanatiker neue Regeln brauchen“ oder „Korrumpiertes Gesundheitssystem: Warum die alles beherrschende Pharmabranche neue Regeln braucht“?

MMnews.de des Fernsehjournalisten Michael Mross hat zum aktuellen SPIEGEL-Titel einen knackigen Kommentar [2] verfasst, der selber verbal zum Teil ins Eingemachte geht, im Ganzen aber mit seiner Kritik ins Schwarze trifftt:

„Der SPIEGEL titelt seine neuen Ausgabe leyenhaft: ‚Warum das Internet neue Regeln braucht‘. Braucht das Netz neue Gesetze? Oder soll mit neuen Gesetzen nicht nur das Netz kontrolliert werden?

Hinter der SPIEGEL-Story steckt nicht der Kampf gegen das Chaos, sondern gegen das Web
Was ist das Internet? Der SPIEGEL stellt gleich zu Beginn seiner Titelstory erst mal in Fettdruck klar: ‚Ein Refugium der Diebe, Rufmörder, Kinderschänder – welche sich weitgehend der Kontrolle des Rechtsstaates enziehen‘.

Es folgt auf 13 Seiten eine globale Attacke auf die Freiheit des Internet. Stil und Beschreibung erinnern an Göbbels. Das Internet ist laut SPIEGEL ‚ein digitales Reich, an dessen Oberfläche bunte Blumen blühen – im Wurzelwerk darunter wuchert ein Pilzgeflecht aus Intrigen, Täuschung und Terror‘. Weiter heißt es: ‚Die Grauzonen werden vom organisierten Verbrechen genutzt‘, in der selbst der Kannibale von Rotenburg [3] sein Opfer fand.

Im Prinzip leistet das Wochenzirkular damit dem Vorschub, was auch Familienministerin von der Leyen schon andeutete: Zu viel Freiheit ist auch nicht gut. Wo kämen wir da hin? Das Internet darf kein ‚rechtsfreier‘ Raum sein. Denn dann, so von der Leyen, könnte ja jeder Kinderpornograph puplizieren. ‚Sonst droht das großartige Internet ein rechtsfreier Chaosraum zu werden, in dem man hemmungslos mobben, beleidigen und betrügen kann‘, warnte von der Leyen.

Das Internet ist bei weitem kein rechtsfreier Raum, wie die SPIEGEL-Story suggeriert
Das Internet als Chaos und rechtsfreier Raum, das ist auch die Botschaft des SPIEGEL. Doch dahinter steckt nicht der Kampf gegen das Chaos, sondern der Kampf gegen das Internet. Und dahinter steckt die Tatsache, dass das Internet  die größte Bedrohung der Printmedien ist. Da kommt von der Leyen gerade recht. Motto: Internet dicht machen, dann kaufen die Leute mehr Mainstream.

Dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist, und auch im Internet die jeweiligen nationalen Gesetze gelten, wird in der SPIEGEL-Story nur am Rande gestreift. Mit keinem Wort erwähnt wird die Tatsache, dass User zuweilen durch ihre IP-Adresse schon jetzt transparenter sind, als sich das Orwell je erträumt hätte. Doch das reicht angeblich nicht.

So ist der Grundtenor jener, dass die neue Freiheit des Internets irgendwie begrenzt bzw. noch mehr kontrolliert werden müsse. Zuviel Wildwuchs sei im Netz zu beklagen. Hauptangriffspunkt: User können anonym sehr viel Unsinn anstellen. Wer etwas zu sagen hat, soll dies bitte offen tun, seine Identität preisgeben.

Der SPIEGEL transportiert letztlich die Forderung: mehr Orwell bitte!
So beklagt das Blatt, dass zunehmend mehr Menschen im weltweiten Internet sagen können, was sie wollen – leider anonym. Dazu zählen natürlich auch radikale Gruppen und sogar Terroristen: Ein Zustand, der so nicht einfach hingenommen werden könne. Folge: Mehr Kontrolle, mehr Orwell ist nötig – am besten gleich global.

Auch im SPIEGEL-Forum wird der User entsprechend eingenordet. Zitat: ‚Mehr User, mehr Daten, mehr Kapazität: Eine Flut von Möglichkeiten und Innovationen bietet das sich stetig wandelnde Internet. Wie weit geht die Freiheit? Braucht das wachsende Netz neue Regeln?“

Das hätten die Regierenden wohl gern. Neue Regeln und gleich eine Überwachungskamera dazu. Denn wer hat denn etwa was zu verbergen?

Vorschlag: Jeder, der den neuen SPIEGEL kauft, sollte am Kiosk erstmal seine Fingerabdrücke abliefern. Denn es ist ja schon oft vorgekommen, dass auch Kriminelle  Zeitgenossen Zeitungen kaufen – manchmal sogar Terroristen.

Fingerabdrücke am Kiosk? Warum nicht? Wer hat denn schon was zu verbergen? Wo kämen wir denn hin, wenn jeder am Zeitungsstand anonym die BILD kauft?“

Weitere Links zum Thema:

# Kommentar zum SPIEGEL-Titel auf netzpolitik.org [4]

# SPIEGEL-Titel: Original & Fälschung auf flickr.com [5]

# Kommentar auf wirres.net [6]

# Kommentar auf Burks‘ Blog [7]