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Tragödie von Winnenden: Der SPIEGEL gibt sich diese Woche als „Revolverblatt“ – an schonungsloser Aufklärung aber uninteressiert

Das als Amoklauf bezeichnete Massaker von Winnenden steckt vielen in den Knochen, allen voran natürlich den Angehörigen der Opfer. Völlig zu Recht fordern sie daher in einem offenen Brief in ihrer lokalen Winnender Zeitung [1], „dass sich etwas ändert in dieser Gesellschaft… [2]wir wollen mithelfen, damit es kein zweites Winnenden mehr geben kann… Wir wollen, dass die Tat aufgeklärt und aufgearbeitet wird… Wir wollen wissen, an welchen Stellen unsere ethisch-moralischen und gesetzlichen Sicherungen versagt haben.“

US-Datenbank: Bei 49(!) Amokläufen waren Prozac und andere Antidepressiva im Spiel
Doch können Medien wie der SPIEGEL zur schonungslosen Aufklärung beitragen, ohne in alle möglichen Richtungen zu schauen? Wohl kaum. So widmet sich das Nachrichtenmagazin seiner aktuellen Print-Ausgabe noch mal ausführliche der Tragödie und fokussiert sich dabei auf das Thema Schusswaffen. Das dramatisch anmutende Titelbild zeigt eine Pistole, die in eine Deutschlandfahne gehüllt ist (siehe Screenshot). Doch nicht nur Waffen bringen Menschen um, auch Medikamente könnene nachweislich Menschen töten und auch zu Gewalttaten bis hin zu Amokläufen veranlassen. Unverständlicherweise will der SPIEGEL – genau wie das Gros der Medien – diese aber partout nicht diskutieren.

Dabei geht zum Beispiel aus einer US-Datenbank [3], die auch in einem New-York-Times-Artikel [4] über einen möglichen Zusammenhang von Antidepressiva wie Prozac und Gewalttaten bis hin zu Amokläufen erwähnt ist, hervor, dass bei 49(!) solcher Amokläufe Prozac und andere Antidepressiva (so genannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, kurz SSRI) im Spiel waren. Die Seite listet zudem mehr als 2900 News-Artikel auf, in denen SSRI’s mit Gewalt in Verbindung gebracht werden.

Selbst wenn Tim K. nicht „auf Medikamentendroge“ war – der nächste Täter kann es sein…
Und auch bei Tim K. steht ja offenbar fest, dass er in psychotherapeutischer Behandlung war. Was also hat er an Antidepressiva oder anderen Medikamenten bekommen? Und wenn er welche bekommen und genommen hat, wie mögen sie ihn bei seinem Amoklauf beeinflusst haben?

Die Fragen sind absolut berechtigt. Denn die Nebenwirkungen dieser Antidepressiva [5] sind sehr gut dokumentiert, darunter Zentralnervöse Beschwerden wie Angstgefühle, Zittern, Benommenheit, Schwindelgefühl, Parästhesien, Alpträume, Denkstörung, Verwirrtheit, Unruhe, Beeinträchtigung Konzentration, Miktionsstörungen Hypomanie, Manie, Suizidgedanken, aggressive Verhaltensweisen (Entzugserscheinungen könne wohlgemerkt auch diese Wirkungen haben). Wobei die Dunkelziffer extrem hoch ist, sprich das wahre Ausmaß kennen wir gar nicht, wie auch der Guardian 2008 schreibt [6]: „In the heyday of antidepressant PR, only about 10% of results about how the drugs affected quality of life were published. More than two-thirds of studies today are industry funded, and such research is four times as likely to find in favour of the drugs than independent inquiry.“

Und auch Tim zeigte Zeugenberichten zofolge zuletzt ein äußerst merkwürdiges Verhalten. Für seinen Freund Michael „wurde Tim in letzter Zeit immer eigenartiger… Tim veränderte sich, die Freunde, die er hatte, zogen sich immer mehr zurück“, schreibt etwa die Hamburger Morgenpost.

Sicher, viele Menschen nehmen solche Mittel und nicht alle von ihnen laufen Amok. Doch auch viele Menschen haben Schusswaffen, spielen martialische Video-Spiele oder saufen Unmengen an Alkohol, ohne dass sie herumlaufen und willenlos Menschen umlegen. Es bleibt also völlig unverständlich, warum Antidepressiva im Zusammenhang mit der Tragödie in Winnenden von den Mainstrammedien wie dem SPIEGEL als mögliche (Mit)Ursache totgeschwiegen werden. Denn selbst wenn Tim K. nicht „auf Medikamentendroge“ war, so kann es der nächste Täter allemal sein…

Zumal es etwa in den USA zwischen 1999 und 2004 eine alarmierende Steigerung der Suizidzahlen bei den 45- bis 54-jährigen um fast 20 Prozent gab – und in derselben Periode nahm die Einnahme von Antidepressiva ebenfalls deutlich zu, wie die New Yorker Patientenschutzorganisation Alliance for Human Research Protection in ihrer Meldung „20 things you need to know about Prozac“ [7] ausführt.

Auch ein Artikel in der Time mit dem Titel „America’s Medicated Army“ [8]. Dazu schreibt die AHRP [9]: „The Pentagon does not keep statistics about the use of prescribed mind-altering drugs. But it is estimated that 20,000 troops in Afghanistan and Iraq were taking SSRI antidepressants -such as Prozac, Paxil and Zoloft -and / or sleeping pills such as Ambien. The latest Army report reveals that in one month, January, 2009, the number of suicides by deployed soldiers was 24-six times as many as killed themselves in January 2008.“

Auch offenbart ein alarmierender Report des „Sweden’s National Board of Health and Welfare [10] that 80% of all adult suicides reported in 2006 to the National Board of Health and Welfare, were committed by persons ‚treated‘ with psychiatric drugs: 50% of those who committed suicide were on an SSRI, 60% had been on an antipsychotic“.

Unterdessen scheint es eine Reihe von Ungereimtheiten im Zusammenhang mit der Tragödie von Winnenden zu geben. Auf Radio Utopia jedenfalls findet sich der Bericht „Fotos und Widersprüche legen anderen Tathergang und massive Vertuschung nahe“ [11]. Von Ungereimtheiten berichtet auch ein Artikel in der Stuttgarter Zeitung [12]. Doch wo sind die großen investigativen Aufklärungsberichte im SPIEGEL oder auf SPIEGEL Online?

Der pointierte Kommentar des Journalisten Gerhard Wisnewski [13]: „Den Regierenden geht die Düse: In Frankreich demonstrieren drei Millionen  Menschen [14]; in Griechenland ist ebenfalls der Teufel los, seit ein Jugendlicher durch eine Polizeikugel starb [15]. Die Zeit drängt; der Amoklauf von Winnenden kam da gerade recht: ‚Waffen weg oder wir schießen‘, heíßt da die Devise. Bevor der deutsche Michel auch noch merkt, was gespielt wird, muss man ihm schon mal die ‚Knarren‘ abnehmen.“