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Vergewaltigungsvorwürfe gegen Strauss-Kahn: Vorverurteilung des Ex-IWF-Chefs durch den SPIEGEL erweist sich als ungerechtfertigt; Spektakel- statt Faktenberichterstattung scheint die Devise

„Die Kommentatoren.. sind sich einig, dass die Medien, aber auch die New Yorker Justiz die Unschuldsvermutung missachtet haben.“
„Merkwürdige Prangerpraxis“ [1], ftd.de, 2. Juli 2011

„So führt der Weg unter den Vorzeichen vermeintlicher Aufklärung geradewegs zurück zu vormittelalterlichen Prangerstrafen. Vollzogen in weltweiter Sichtbarkeit. Der Schaden auch für Rechtsstaat und Gesellschaft ist immens.“
Kommentar zu DSK [2], Stuttgarter Nachrichten, 1. Juli 2011

SPIEGEL-Titel vom 23. Mai 2011 [3]

SPIEGEL-Titel vom 23. Mai 2011

Ob der ehemalige IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn (auch kurz „DSK“ genannt) in New York ein Zimmermädchen vergewaltigt hat oder nicht, lässt sich auch an dieser Stelle nicht abschließend sagen. Doch solange dies nicht endgültig geklärt ist, gilt immer noch die Regel in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten bzw. die Unschuldsvermutung. Für einen Journalismus, der seriös und faktenorientiert sein will, bedeutet dies, auch mit noch so heftigen im Raum stehenden Anschuldigungen gegen welche Person auch immer sensibel umzugehen – und somit die betreffende Person nicht vorschnell abzuurteilen.

Im Fall DSK hat der SPIEGEL diese eherne Regel auf beschämende Weise verletzt. So titelte das Nachrichtenmagazin am 23. Mai 2011: „Die Affäre Strauss-Kahn u.a.: Sex & Macht – Anatomie einer gefährlichen Beziehung“ [3] (siehe Screenshot). Tenor der Story, wie er auf S. 7 im Inhaltverzeichnis unter der Headline „Hybris der Macht“ beschrieben wird: „Die Festnahme des IWF-Direktors Dominique Strauss-Kahn in New York steht beispielhaft für Entgleisungen in den Führungsetagen der Welt, für die Irrwege der Mächtigen. Eine Abhandlung über Allmachtsgefühle, Gewalt und Grenzüberschreitungen.“

New York Times: Anklage glaubt der Hauptzeugin nicht mehr
Zweifel, Strauss-Kahn könnte die Hotelangestellte möglicherweise doch nicht vergewaltigt haben, lassen sich aus diesen Zeilen nicht herauslesen. Im Gegenteil. Die Titelstory kommt einer Vorverurteilung gleich.

Doch genau die ist ungerechtfertigt, wie sich nun endgültig zeigt. So glaubt die Anklage ihrer Hauptzeugin nicht mehr, wie die New York Times aktuell berichtet [4]. Danach soll das Zimmermädchen, das Strauss-Kahn des Vergewaltigungsversuchs bezichtigt hat, die Staatsanwaltschaft mehrfach belogen haben. Auch soll sie an dem Tag, an dem die Vergewaltigung stattgefunden haben soll, mit einem inhaftierten Mann über die Möglichkeit gesprochen haben, mit Vorwürfen gegen den Franzosen Geld zu machen. Der Mann sitze wegen Drogenschmuggels und habe immer mal wieder Geld, zusammen etwa 100.000 $, auf dem Konto der Frau geparkt.

TITANIC: Für SPIEGEL Online hat das Spektakel oberste Priorität
SPIEGEL Online verkauft die so genannte Wende in dem Fall heute als „Sensation“ [5] – doch auch das ist deplatziert. Damit werden nur erneut die Emotionen geschürt. Denn dass sichnun herausstellt, die Hauptzeugin könnte eine üble Lügnerin sein, ist für den nüchternen Betrachter der Geschehnisse keinesfalls eine Sensation, sondern liegt einfach im Bereich des Möglichen. Begriffe wie „Sensation“ und „Wende“ kann im Zsh. mit DSK im Grunde nur derjenige in den Mund nehmen, der fest davon ausgegangen ist, dass die Hauptzeugin die Wahrheit gesagt hat mit ihrem Vergewaltigungsvorwurf. Doch davon konnte eben nicht ausgegangen werden, denn klare Beweise dafür, dass Strauss-Kahn vergewaltigt hat, lagen und liegen nach wie vor ja nicht vor.

Dazu passt, was Stefan Gärtner in der aktuellen Ausgabe der TITANIC in seinem Artikel „Leitwolf im Schafspelz: über das Spektakuläre an SPIEGEL Online“ schreibt: „… zum postmodernen Leitmedium gehört eben jene Bereitschaft zum Spektaktel, das Aufklärung ans tautologische, im engen Sinne bedeutungslose Gelärm verrät… und es unterliegt keinem Zweifel, daß kein Medium in Deutschland in diesem Sinne spektakulärer ist als SPIEGEL Online.“