Wie der SPIEGEL die 500-jährige Plünderung der Neuen Welt schamlos verharmlost
Donnerstag, 30. Juli 2009Jens Glüsing ist seit vielen Jahren Lateinamerika-Korrespondent des SPIEGEL. Leider lässt Glüsing die journalistische Sorgfalt aber immer wieder vermissen und geriert sich dabei als Desinformator, der Falschinformationen kolportiert, die Realität auf sträfliche Weise verharmlost und sich zum Sprachrohr der neoliberalen Machtcliquen macht (siehe SPIEGELblog-Artikel oder auch taz-Blog-Beitrag von Gerhard Dilger). Aktuelles Beispiel: Glüsings Beitrag „Die erste Globalisierung: Der Fluch des Silbers“ (siehe ersten Screenshot). Darin heißt es gleich im Vorspann: „Die Ausplünderung der Neuen Welt… hat das Schicksal Lateinamerikas.. nicht so ausschließlich geprägt, wie linke Kritiker behaupten.“
Lateinamerika-Korrespondent Glüsing blendet den wohl größten Genozid der Menschheitsgeschichte einfach aus
Ein solcher Satz ist eine Farce bzw. Geschichtsklitterung und ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die unter der 500-jährigen Tyrannei in Lateinamerika unendlich viel Leid erfahren haben.

„Die Insel Española (Anm.: heute Haiti und Dominikanische Republik) war.. die erste, auf der die Christen einfielen, und dort begannen sie mit dem großen Metzeln und Morden unter diesen Leuten, und so wurde sie von ihnen zuerst zerstört und entvölkert, und dort fingen die Christen damit an, den Indios ihre Frauen und Kinder zu entreißen, um sich ihrer zu bedienen und sie zu mißbrauchen“. (Las Casas, Werkauswahl Bd. 2, 70). „Sie bauten große Galgen, die so beschaffen waren, daß die Füße der Opfer beinahe den Boden berührten und man jeweils dreizehn von ihnen henken konnte, und zu Ehren und zur Anbetung unseres Heilands und der zwölf Apostel legten sie Holz darunter und zündeten es an, um sie bei lebendigem Leibe zu verbrennen.“ (Las Casas, Werkauswahl Bd. 2, 71). Q: www.uni-muenster.de
Denn die Plünderung Lateinamerikas hat vor allem auch dazu geführt, dass die Ureinwohner de facto ausgerottet wurden. „Allein in Mexiko muss die Conquista 19 Millionen Ureinwohnern das Leben gekostet haben“, wie etwa Hans Magnus Enzensberger im Nachwort zum Buch „Kurzgefasster Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder“ festhält. Dieser „kurzgefasste Bericht“ stammt von dem Pater Bartolomé de Las Casas, der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts den Völkermord – den Genozid – an Abermillionen Ureinwohnern Lateinamerikas vor allem durch die spanischen Eroberer (Conquistadoren) mit eigenen Augen miterlebt und sich letztlich vergeblich dagegen aufgelehnt hatte (siehe auch zweiten Screenshot).
Dieser Genozid, der in seiner unfassbaren Grausamkeit und in seinem gigantischen Ausmaß in der Geschichte seinesgleichen sucht, wird von Glüsing aber überhaupt nicht erwähnt. Glüsing spricht hingegen nur von „Ausplünderung“ und erwähnt auch einige Beispiele von großem Leid, das den Ureinwohnern – den „Indígenas“ – widerfahren ist – doch diese Ausplünderung hatte eben einen allumfassenden Genozid in zahlreichen Ländern zur Folge. Und wohl nichts könnte das Schicksal einer Region, in diesem Falle Lateinamerika, „ausschließlicher prägen“ (um mit Glüsings Worten zu sprechen) als ein Genozid! Dieser womöglich größte Genozid der Menschheitsgeschichte ist nicht annähernd wieder gut gemacht (soweit dies überhaupt möglich ist) – und auch heute noch fristen die verbliebenen Ureinwohner ein mehr als klägliches Dasein.
Glüsing verschweigt auch den verheerenden Einfluss des „Imperiums der Schande“
Und genau das ist es, worauf auch Enzensberger in seinem Nachwort eindringlich hinweist: Dass sich der Kampf, den Las Casas vor knapp 500 Jahren so vehement focht, auch in unserer Zeit noch abspielt. „Der Prozess, der mit der Conquista begann, ist nicht zu Ende. Er wird in Südamerika, in Afrika und Asien geführt… Die Schlagzeilen, die wir jeden Morgen im Briefkasten finden, beweisen, dass die Verwüstung der Indianischen Länder weitergeht“, so Enzensberger. „Der kurzgefasste Bericht von 1542 ist ein Rückblick in unsere eigene Zukunft.“
Und genau dies möchte Glüsing relativieren… (mehr …)