(Mit Dank an Brigitta)
Man
dachte, Thilo Sarrazins Äußerungen über Migranten in Deutschland wären an Dreistigkeit und völkischem Chauvinismus nicht zu überbieten (von echten Nazis einmal abgesehen). Der frühere Berliner SPD-Finanzsenator hatte in einem Interview mit der Zeitschrift Lettre International Türken und Araber kritisiert und unter anderem erklärt: „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.“ Die Lösung des Problems könne nur heißen: kein Zuzug.
Der SPIEGEL blendet mal wieder Systemkritik aus – und bedient stattdessen auf billige Weise Vorurteile
Doch dann kam SPIEGEL TV mit einem langen Bericht (siehe Screenshots) und sprang damit dem Hobby-Rassisten Sarrazin letztlich beiseite. Dem geneigten RTL-Publikum wurde ein Beitrag gezeigt, der kein Vorurteil über Ausländer unbeachtet ließ.
Sicher, Integration kann letztlich nur funktionieren, wenn sich beide Seite bewegen: Der Staat, indem er die Rahmenbedingungen schafft, und die Migranten, indem sie sich zumindest bis zu einem gewissen Grad auf die Kultur des betreffenden Landes einlassen wollen. Versäumnisse liegen auf BEIDEN Seiten vor, ohne Frage. Das Problem des SPIEGEL-TV-Beitrags liegt nun darin, dass er die krassen Versäumnisse der Integrationspolitik in Deutschland während der vergangenen 50 Jahre komplett ausblendet; statt dessen fokussiert man sich ausschließlich auf die Menschen mit einem türkischen bzw. arabischen Hintergrund – und das auf eine Weise, bei der jedes noch so billige Vorurteil bedient wird.
Hier zeigt sich wieder einmal, dass es den SPIEGEL-Redakteuren nicht um sachliche journalistische Aufklärung geht, sondern darum, in BILD-Manier Krawall zu schlagen und damit Einschaltquote (oder Auflage) zu machen. Dabei wird wie so oft auch hier tunlichst vermieden, Kritik am System zu üben. Der SPIEGEL kommt also mal wieder staatstragend daher. Staatstragender Journalismus ist aber kein Journalismus, sondern PR im Sinne der Regierenden.
Der Blog bleib-passiv.de hat zu dem SPIEGEL-TV-Beitrag ein gepfeffertes und damit sehr lesenswertes Stück verfasst:
Berlins ehemaliger Finanzsenator (SPD) und jetziges Bundesbank-Vorstandsmitglied, Thilo Sarrazin, hat schon häufiger mit kruden Aussagen für Aufregung gesorgt. Doch diesmal brach ein völkischer Zorn aus ihm heraus, der eher den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt, als dass er zur Volksbelustigung zu gebrauchen wäre. In einem Gespräch mit der Zeitschrift Lettre International„gab er u.a folgendes zum Besten: „Jeder, der bei uns etwas kann und anstrebt, ist willkommen; der Rest soll woanders hingehen.“ Für ihn sind vor allem große Teile der arabischen und türkischen Einwanderer weder „integrationswillig“ noch „integrationsfähig“. „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.“ All das mündete in seiner Forderung, die die NPD kaum besser formulieren könnte: „Generell kein Zuzug mehr außer für Hochqualifizierte und perspektivisch keine Transferleistungen für Einwanderer.“
Spiegel TV oder besser: Junge Freiheit TV
Der Beitrag, der sich offiziell mit der Frage beschäftigte, ob Sarrazins Aussagen eine „unschöne Wahrheit oder unerträglicher Rassismus“ seien, wird schon voller Hohn eingeleitet: „Die Liste seiner Vorwürfe war politisch dermaßen unkorrekt, dass es den Gutmenschen in unserem Land ganz schlecht wurde!“ Schon mit dieser Aussage positioniert sich Spiegel TV eindeutig, denn der Begriff „Gutmenschen“ wird überwiegend im extrem rechten Lager benutzt und vor allem dann, wenn es darum geht, Menschen mit Courage, die sich gegen Rassismus engagieren, zu diskreditieren. Sucht man in einer populären Suchmaschine nach eben jenem Begriff, erscheint nicht zufällig als erster Fund (nach Wikipedia) die Plattform „Politically Incorrect“ der Neuen Rechten. Mit „Deutschlandpolitik“ und „Geisteswelt“ befinden sich noch 2 weitere Seiten unter den ersten 10 Suchergebnissen, die getrost in die Ecke zwischen Konservativen und Neonazis eingeordnet werden können.
In dieser Form eingeleitet wundert es nicht, dass der Beitrag systematisch alle Klischees abarbeitet, die über Migranten, türkischer oder arabischer Herkunft, im Umlauf sind.
1. Fundamentalistische Muslime tragen Kopftücher
Gezeigt wird eine Hochzeit, bei der die Frau verhüllt ist. Für Spiegel TV steht sie „ganz in der Tradition fundamentalistischer Muslime“. Dass tatsächlich nur die Tradition ein Beweggrund sein könnte, ohne dass eine Nähe zu muslimischen Fundamentalisten konstruiert werden muss, die allgemein mit Attentätern assoziiert werden, scheint außerhalb der Vorstellungskraft der Beitragsautoren zu liegen.
2. Bei Muslimen gibt es keine Gleichberechtigung
Zitat Spiegel TV: „Beim Thema Gleichberechtigung ist der Ehemann Lichtjahre von der deutschen Kultur entfernt.“ Darauf das Zitat des Mannes: „Sie darf ihren Senf dazu abgeben und ich auch.“ Soweit scheint er aber einer Gesellschaft, die sowohl Ehegattensplitting als auch Eva Hermann hervorgebracht hat, noch voraus zu sein. (mehr …)