Erst wird NYT-Kolumnist Friedman als „apokalyptischer Harlekin“ abqualifiziert – und dann als kompetenter Gesprächspartner hofiert

  26. Januar 2009, von T. Engelbrecht

Wer vergangene Woche den SPIEGEL aufgeschlagen hat, findet dort das dreiseitige Interview „Zeit für Radikalität“ mit dem New-York-Times-Kolumnisten Thomas Friedman. Friedman wird darin nicht nur als dreifacher Pulitzer-Preis-Träger, sondern auch – man höre und staune – als Experte für Nahost-, Energie- und Außenpolitik präsentiert. Als kompetenter kann man einen Gesprächspartner kaum herausstellen (siehe Screenshot). So weit so gut.

Doch wer kein Kurzzeitgedächtnis hat, reibt sich die Augen. Hatte doch die TV-Moderatorin Thea Dorn erst am 5. Januar im SPIEGEL selbigen Thomas Friedman in völlig überzogener Manier als „atemberaubend unverantwortlichen Wirtschaftsfeuilletonisten“, der den „apokalyptischen Harlekin gibt“, abqualifiziert (SPIEGELblog berichtete).

Kein Ausweis für Qualitätsjournalismus
Diese Diskrepanz ist wahrlich kein Ausweis für Qualitätsjournalismus, liegt sie doch jenseits der tolerierbaren Meinungsvielfalt innerhalb eines Mediums. Zumal Friedman in dem Interview sinngemäß seine Besorgnis über mögliche Folgen der Finanzkrise wiederholen darf – eine Besorgnis, die Dorn dazu verleitete, ihn in ihrer Riege der „Apokalyptiker“, die offenbar vom „Freudschen Todestrieb“ geleitet seien, an erste Stelle zu stellen. Friedman im Interview: „Noch so eine Dekade – und wir [= die USA] sind Dritte Welt“, woraufhin sich die Interviewer des SPIEGEL sogar mit Friedman gemein machen und sagen: „Die Wirtschaftskrise trifft Amerika und den Rest der Welt hart.“

Essay von Dorn wird durch Friedman-Inteview in seiner Glaubwürdigkeit erschüttert
Was also sollen wir daraus schließen? Etwa, dass wir Thea Dorn folgen und auch die Interviewer – die SPIEGEL-Redakteure Gabor Steingart und Klaus Brinkbäumer – als „atemberaubend unverantwortliche“, ja „apokalyptische Harlekins“ bezeichnen sollen? Oder dass der SPIEGEL mit dem Interview wieder etwas gerade rücken wollte? Oder finden wir hier das, was Hans Magnus Enzensberger bereits 1957 am SPIEGEL kritisierte: „Wer dem Blatt…  eine Basis von Überzeugungen zubilligen möchte, sieht sich fortwährend düpiert“ (Quelle: Oliver Gehrs, „Der SPIEGEL-Komplex“, S. 11)?

Nun, fest steht, dass der Essay von Thea Dorn durch das Interview in seiner Glaubwürdigkeit erschüttert wird, denn in dem Interview kommt alles andere als zum Ausdruck, dass Friedman ein „apokalyptischer Harlekin“ ist.

Berechtigte Zweifel an wirksamer Qualitätskontrolle durch NYT, SPIEGEL & Co
Dieser Umstand lässt wiederum an den Worten Friedmans zweifeln, der im Interview – natürlich ohne Widerspruch des SPIEGEL – zur Selbstbeweihräucherung anhebt: „… erst, wenn du [als Journalist] durch den Rahmen der [New York] Times oder des SPIEGEL deine Glaubwürdigkeit erhältst, gilt es etwas. Dieser Rahmen ist die Qualitätskontrolle.“

Doch diese Qualitätskontrolle funktioniert ja offenbar nicht wirksam. So scheint Friedman schon verdrängt zu haben, dass sich die New York Times, um nur ein besonders gravierendes Beispiel zu nennen, für ihre unkritische und einseitige Berichterstattung im Vorfeld des Irak-Kriegs sogar in einem „öffentlichen Kniefall“ entschuldigte.

Zu einem solchen öffentlichen Kniefall ließ sich der SPIEGEL zwar noch nicht hinreißen, doch dass auch bei dem deutschen Nachrichtenmagazin die Qualitätskontrolle oft genug nicht funktioniert, zeigen schon die wenigen Analysen auf SPIEGELblog, die freilich nur einen Ausschnitt der Kritik darstellen. Denken wir dabei nicht nur an den Essay von Thea Dorn, sondern etwa auch an den Artikel über Wiener Mobilfunkforscher, in denen sich der SPIEGEL den unbewiesenen Auffassungen von Experten, die der Mobilfunkindustrie nahe stehen, einfach anschloss und im Zuge dessen mobilfunkkritische Forscher haltlos vorverurteilte (manche sprechen hier gar von Rufmord). Oder nehmen wir den allerersten Blog-Beitrag, der offenbarte, dass SPIEGEL ONLINE den HPV-Impfstoff fälschlicherweise als “hochwirksam” bezeichnete.

 

2 Kommentare zu “Erst wird NYT-Kolumnist Friedman als „apokalyptischer Harlekin“ abqualifiziert – und dann als kompetenter Gesprächspartner hofiert”

  1. michaelthurm sagt:

    Was ist daran auszusetzen, dass der Spiegel verschiedene Positionen darstellt, sich widerspricht. Schwierig wird es, weil solche „Argumentationsserien“ (Ok, ein Euphemismus) nicht kenntlich gemacht werden. Gerade wenn es um Argumentation und Standpunkte geht, wäre es doch vermessen, wenn sich der Spiegel selbst Deutunghoheit heraus nehmen würde. das macht er oft genug.

    Zu den Zweifeln an der Qualitätskontrolle: d’accord.

  2. SPIEGELblog sagt:

    Hallo Herr Thurm,

    danke für Ihren Kommentar.

    Ein zentrales Problem sehen wir darin, dass Thea Dorn in Ihrem Essay keine Argumentation geliefert hat, sondern eine Abqualifizierung.

    So ist nicht nur zu erkennen, warum die Sätze, die Dorn von Friedman zitiert, „atemberaubend unverantwortlich“ sein sollen; auch begründet sie ihren Anwurf überhaupt nicht. Zudem ist die Art, wie sie Friedman angeht, unverhältnismäßig deftig („apokalypitscher Harlekin“), wobei sie in ihrer Diffamierung noch einen draufsetzt, indem sie Friedman auf eine Stufe stellt mit den Menschen aus der Bibel und dem Mittelalter, die in ihrer abergäubischen Art immer wieder das „Hohelied vom baldigen Ende der Menschheit“ angestimmt haben.

    Was man, wie wir meinen, von einem Medium wie dem SPIEGEL, der in so großem Maße Einfluss hat auf die öffentliche Meinung, durchaus erwarten kann, ist ein zumindest grobes Koordinatensystem, nach dem die Dinge beurteilt werden, das grundsätzlich auf Argumentationen und Fakten abhebt und das v.a. auch seine gesellschaftliche Verpflichtung und redaktionelle Unabhängigkeit verdeutlicht.

    Dies insbesondere auch dann, wenn es um die Sachtehmen wie die Folgen der Finanzkrise geht, worauf die in Dorns Essay zitierten Sätze von Friedman ja abheben.

    Ein solches Koordinatensystem ist aber nach unserer Analyse bei dem Schwenk von Thea Dorns Diffamierung hin zu einem Interview, bei dem man Friedman geradezu auf dem Schild trägt, nicht zu erkennen.

    SPIEGELblog-Team

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