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SPIEGEL Online zieht haltlos über den Wunsch Chinas nach Rückgabe von Beutekunst her – und biegt an der Geschichte herum

Samstag, 28. Februar 2009

Auf SPIEGEL Online erschien gestern der Artikel „Pekings Propagandisten rechnen mit Frankreich ab“. Darin geht es um die Wut von Chinesen darüber, dass bei der Auktion bei Christie’s für die Kunstsammlung des Modeschöpfers Yves Saint Laurent zwei Figuren aus Bronze – ein Hase und eine Ratte – versteigert wurden (siehe Screenshot). Nach Auffassung Chinas handelt es sich dabei um Raubgut bzw. Beutekunst. So seien die Figuren 1860 im Zuge eines Sturmlaufs französischer und britischer Truppen aus dem Palast des Kaisers Xianfeng gestohlen worden.

Kritikwürdig an dem SPIEGEL-Online-Artikel ist – neben dem sehr herablassenden Stil des gesamten Textes – insbesondere folgende Passage:

„Woran die chinesischen Medien sich derzeit allerdings nicht erinnern wollen: Es waren nicht nur die Alliierten Truppen, die den Sommerpalast ausraubten, nachdem sie die Anlage aus Rache für die Ermordung ihrer Unterhändler gebrandschatzt hatten. Als die Flammen verloschen waren, holten sich bald die Bauern aus den umliegenden Dörfern alles, was nicht niet- und nagelfest war.“

SPIEGEL Online verklärt den Angriffskrieg der Allierten zu einem Rachefeldzug
Bedenklich ist diese Passage deshalb, weil sie die begangenen Verbrechen (Angriff, Mord und Plünderung) der „Alliierten“ (Invasoren) aus Frankreich und Großbritannnien – begangen innerhalb eines langandauernden Angriffskrieges (2. Opiumkrieg, 1856-1860) – als „Rache“ darstellt und dadurch relativiert bzw. verharmlost. Es wird also beim Leser der falsche Eindruck erweckt, als sei der Krieg (wegen der angeblichen Ermordung des Unterhändlers der Allierten durch Chinesen) mehr oder weniger gerechtfertigt gewesen – und daher der Raub von Kulturgut also wohl nicht so schlimm. Und vor allem auch wird mit der Vermutung gespielt, vielleicht hätten die chinesischen Bauern ja selber die Bronzestatuen geraubt und dann nach Frankreich verkauft.

Dabei versucht China ja mindestens seit dem Jahr 2000, die Statuen zurückzubekommen. Dies wird im Artikel auch erwähnt – und nicht zuletzt deshalb wirkt es ziemlich konstruiert, wenn SPIEGEL Online versucht zu suggerieren, die Aufregung der Chinesen sei letztlich nur vordergründig und diene eigentlich dazu, den politischen Frust über Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy loszuwerden, weil dieser sich mit dem Dalai Lama getroffen hätte.

Woher Yves Saint Laurent die chinesischen Bronzefiguren hat, versucht SPIEGEL Online gar nicht erst in Erfahrung zu bringen
Dabei schreckt SPIEGEL Online auch nicht davor zurück, die Forderung Chinas nach Herausgabe der Statuen ins Lächerliche zu ziehen. (mehr …)