Archiv für Juli 2011

Fälschungsvorwürfe gegen Doktorarbeit an der Charité: SPIEGEL redet vorschnell von „Fälschung“, schreibt die Unwahrheit – und beruft sich dabei erneut auf den industrienahen Forscher Alexander Lerchl

Mittwoch, 13. Juli 2011
SPIEGEL 28/2011, S. 119; Foto: Jean Bernard/Bildagentur-Online/Tips-Images
SPIEGEL 28/2011, S. 119; Foto: Jean Bernard/Bildagentur-Online/Tips-Images

Es ist schon bemerkenswert, wie unsauber der SPIEGEL immer wieder berichtet. Dies ist auch gut an dem kleinen Beitrag „Mobilfunk: Fälschung an der Charité“ zu erkennen, veröffentlicht in der aktuellen Print-Ausgabe auf S. 119 (siehe Screenshot). Thema: Eine Doktorarbeit an der Charité, die auf eine schädliche Wirkung von Handystrahlung hinweist, wurde möglicherweise manipuliert. Doch der Artikel hat zentrale Defizite:

Schon die Überschrift „Fälschung an der Charité“ faktisch nicht korrekt. Denn Beweise für eine Fälschung liegen ja noch gar nicht vor. Diese Überschrift ist umso prekärer, wenn man bedenkt, dass der SPIEGEL vor einiger Zeit schon einmal vorgeprescht ist und auf journalistisch unsaubere Weise Wiener Studien, die ebenfalls schädliche Wirkungen von Handystrahlen gefunden hatten, als gefälscht gebrandmarkt hat. Unsauber deswegen, weil auch in diesem Fall – entgegen den Behauptungen des SPIEGEL – keine Belege für eine Datenmanipulation vorlagen (SPIEGELblog berichtete).

Die Behauptung des SPIEGEL, die DNA-Brüche, die beim Reflex-Forschungsprojekt gefunden wurden, seien noch nie reproduziert worden, ist falsch
Diese Wiener Studien sind Teil des so genannten „Reflex-Projekts, das 2004 abgeschlossen wurde“, wie der SPIEGEL ausführt. Dabei hatten Labore mehrerer europäischer Universitäten, finanziert mit EU-Mitteln, die Wirkung von Funkwellen auf Zellpräparate untersucht. „Merkwürdig nur“, so der SPIEGEL weiter, „dass die dabei gefundenen bedenklichen Strangbrüche nie von anderen Forschern reproduziert werden konnten.“ Doch das ist falsch. Tatsächlich sind etwa 2009 und 2010 Arbeiten von einem italienischen Forscherteam und einer chinesischen Arbeitsgruppe erschienen, die ebenfalls ein erbgutschädigendes und damit kanzerogenes Potenzial von Mobilfunkstrahlen fanden. Damit weisen sie in dieselbe Richtung wie die attackierten Studien aus Wien.

Auch gibt es bereits entsprechende In-vivo-Befunde von Studien an Labortieren. Z.B. setzte 2010 ein Forscherteam aus Indien junge Ratten 35 Tage lang zwei Stunden am Tag Mobilfunkstrahlung aus. Danach war die Erbgut-Strangbruchrate in den Hirnzellen der Ratten im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant erhöht.

Selbst Medien wie die Süddeutsche berufen sich auf Falschaussage des SPIEGEL
Unglücklicherweise findet sich in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung – also eines anderen großen deutschen „Vorzeigemediums“ – dieselbe Falschbehauptung, die auch in dem SPIEGEL-Beitrag zu finden ist: dass die Ergebnisse des Reflex-Projektes – die DNA-Strangbrüche – noch nie hätten von anderen Labors reproduziert werden können. Diese Falschbehauptung könnte die SZ einfach kritiklos vom SPIEGEL übernommen haben, beruft sich die Münchener Zeitung doch auch an einer Stelle explizit auf den Beitrag des Hamburger Nachrichtenmagazins.

Erschwerend kommt beim SZ-Artikel hinzu, dass darin auch noch behauptet wird, die jetzt von Lerchl angegriffene Doktorarbeit sei Teil des Reflex-Projektes. Doch auch das ist falsch. Dies ist für jemanden, der sich mit der Materie auskennt, eigtl. auch leicht zu erkennen. Denn die Doktorarbeit hat eine Frequenz von 2.450 MHz untersucht, während das Reflex-Projekt andere Frequenzbereiche analysierte.

SPIEGEL-Kronzeuge Prof. Lerchl wurde kürzlich sogar von der WHO ob seiner Interessenkonflikte abgewiesen
Pikant ist zudem, dass dem SPIEGEL erneut der Biologieprofessor Alexander Lerchl als Kronzeuge dient. Pikant deshalb, weil Lerchl einschneidende Interessenvermengungen aufweist. So kooperiert der Mobilfunkkonzern Vodafone eng mit seinem Arbeitgeber, der Jacobs University in Bremen. Zudem war die Forschungsgemeinschaft Funk Finanzier seines Wirkens – eine Organisation, bei der fünf der acht Vorstände Vertreter der Mobilfunkriesen T-Mobile, Vodafone, E-plus, Ericsson und Huawei sind. Ob seiner Interessenverflechtungen wurde Lerchl kürzlich sogar von der WHO-Arbeitsgruppe IARC (International Association on Research of Cancer), die Handystrahlung gerade erst als „möglicherweise krebserregend“ eingestuft hat, abgewiesen. Moniert wurde etwa Lerchls intensive Tätigkeit für das Informationszentrum Mobilfunk (IZMF), eine Art Marketingzentrale der Mobilfunkbetreiber.

Erschwerend kommt hinzu, dass Lerchl selber mit dem Vorwurf konfrontiert wird, dass die Ergebnisse seiner eigenen Arbeiten im Rahmen des Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramms DMF „nachweislich auf Fehlern bei der Planung, Manipulation bei der Durchführung sowie Fehldeutung der Befunde beruhen“ (siehe das Magazin Kompakt, Ausgabe 07/08/2011, S. 10 der Organisation Diagnose-Funk).

Link zum Thema:

# Die Stellungnahme der Charité vom 11. Juli 2011

SPIEGEL-Titel „Die digitale Unterwelt“: statistische Verbiegungen und gewisse unfreiwillige Komik

Donnerstag, 07. Juli 2011
SPIEGEL-Titel 27/2011
SPIEGEL-Titel 27/2011

Die Seite Volkersworld: Gedanken Verruecktes oder beides hat einen interessanten Artikel zum aktuellen SPIEGEL-Titel „Die digitale Unterwelt“ (siehe Screenshot) gebracht. Headline des Volkersworld-Beitrags: „Wie man aus einer Mücke einen Elefanten macht“. Darin heißt es gleich zu Beginn:

„Preisfrage: Woran merkt man, dass eine Redaktion keine Idee für sinnvolle Themen hat? Antwort: Sie macht aus einer Mücke einen Elefanten.“

Begründet wird dies folgendermaßen:

„Im Heft war dabei eine toll aussehende Grafik, die anscheinend die Bedrohung durch das Internet zeigen sollte. Darin war zu lesen, dass ‚Cybercrime‘ von 2009 nach 2010 um sage und schreibe 19% zugenommen hat und mit der Tatwaffe Internet im Jahr 2010 knapp 247.000 Straftaten verübt worden seien…

Der Anstieg der Fälle von ‚Cybercrime’… von +19% betrifft in absoluten Zahlen eine Zunahme der Fälle von 50.254 in im Jahr 2009 auf 59.839 Fälle in im Jahr 2010. Das ist ein Plus von 9.585 oder, wie gesagt 19%. Wenn ich nun eine Grafik mit den prozentualen Veränderungen baue, sieht das natürlich verdammt dramatisch aus. Wenn ich mir aber die absoluten Zahlen anschaue, so steht diesen Fällen eine Gesamtzahl von 5,933 Mio. angezeigten Delikten in im Jahr 2010 gegenüber. Wir sprechen hier also von 1% aller Kriminalitätsfälle im Jahr 2010.

Als zweite Zahl im Artikel tauchen, wie oben geschrieben, ~247.000 Fälle auf, die mit dem ‚Tatmittel Internet‘ begangen worden sind. Diese sind in der gleichen Grafik so angeordnet, dass man meinen könnte, die 19% Zuwachs beziehen sich auf diese 247.000… [Tatsächlich jedoch] ist die Aussage der Statistik.., dass in den 15 Bundesländern, die in 2009 und 2010 berichtet haben, die Fälle von Straftaten mit dem ‚Tatmittel Internet‘ (tolle Wortwahl) um 8,1% zugenommen hat. Auf die Gesamtzahl der Fälle sind dies für 2010 also 4,2% aller Straftaten.

Neben diesen statistischen Verbiegungen, besitzt der Artikel inhaltlich eine gewisse unfreiwillige Komik. Da wird mal wieder lustig alles und jeder als Hacker bezeichnet, bloß weil er etwas Code zusammen klicken kann. Kein Wort wird darüber verloren, dass die geschilderten Fälle (Betrug, Geldwäsche, Bot-Netze), zu einem großen Teil der Fahrlässigkeit, Gier oder Unwissenheit (zu einem geringen Teil auch Dummheit) der Nutzer geschuldet sind…“

Lesen Sie hier den kompletten Beitrag auf Volkersworl.

Vergewaltigungsvorwürfe gegen Strauss-Kahn: Vorverurteilung des Ex-IWF-Chefs durch den SPIEGEL erweist sich als ungerechtfertigt; Spektakel- statt Faktenberichterstattung scheint die Devise

Freitag, 01. Juli 2011

„Die Kommentatoren.. sind sich einig, dass die Medien, aber auch die New Yorker Justiz die Unschuldsvermutung missachtet haben.“
„Merkwürdige Prangerpraxis“, ftd.de, 2. Juli 2011

„So führt der Weg unter den Vorzeichen vermeintlicher Aufklärung geradewegs zurück zu vormittelalterlichen Prangerstrafen. Vollzogen in weltweiter Sichtbarkeit. Der Schaden auch für Rechtsstaat und Gesellschaft ist immens.“
Kommentar zu DSK, Stuttgarter Nachrichten, 1. Juli 2011

SPIEGEL-Titel vom 23. Mai 2011

SPIEGEL-Titel vom 23. Mai 2011

Ob der ehemalige IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn (auch kurz „DSK“ genannt) in New York ein Zimmermädchen vergewaltigt hat oder nicht, lässt sich auch an dieser Stelle nicht abschließend sagen. Doch solange dies nicht endgültig geklärt ist, gilt immer noch die Regel in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten bzw. die Unschuldsvermutung. Für einen Journalismus, der seriös und faktenorientiert sein will, bedeutet dies, auch mit noch so heftigen im Raum stehenden Anschuldigungen gegen welche Person auch immer sensibel umzugehen – und somit die betreffende Person nicht vorschnell abzuurteilen.

Im Fall DSK hat der SPIEGEL diese eherne Regel auf beschämende Weise verletzt. So titelte das Nachrichtenmagazin am 23. Mai 2011: „Die Affäre Strauss-Kahn u.a.: Sex & Macht – Anatomie einer gefährlichen Beziehung“ (siehe Screenshot). Tenor der Story, wie er auf S. 7 im Inhaltverzeichnis unter der Headline „Hybris der Macht“ beschrieben wird: „Die Festnahme des IWF-Direktors Dominique Strauss-Kahn in New York steht beispielhaft für Entgleisungen in den Führungsetagen der Welt, für die Irrwege der Mächtigen. Eine Abhandlung über Allmachtsgefühle, Gewalt und Grenzüberschreitungen.“

New York Times: Anklage glaubt der Hauptzeugin nicht mehr
Zweifel, Strauss-Kahn könnte die Hotelangestellte möglicherweise doch nicht vergewaltigt haben, lassen sich aus diesen Zeilen nicht herauslesen. Im Gegenteil. Die Titelstory kommt einer Vorverurteilung gleich.

Doch genau die ist ungerechtfertigt, wie sich nun endgültig zeigt. So glaubt die Anklage ihrer Hauptzeugin nicht mehr, wie die New York Times aktuell berichtet. Danach soll das Zimmermädchen, das Strauss-Kahn des Vergewaltigungsversuchs bezichtigt hat, die Staatsanwaltschaft mehrfach belogen haben. Auch soll sie an dem Tag, an dem die Vergewaltigung stattgefunden haben soll, mit einem inhaftierten Mann über die Möglichkeit gesprochen haben, mit Vorwürfen gegen den Franzosen Geld zu machen. Der Mann sitze wegen Drogenschmuggels und habe immer mal wieder Geld, zusammen etwa 100.000 $, auf dem Konto der Frau geparkt.

TITANIC: Für SPIEGEL Online hat das Spektakel oberste Priorität
SPIEGEL Online verkauft die so genannte Wende in dem Fall heute als „Sensation“ – doch auch das ist deplatziert. Damit werden nur erneut die Emotionen geschürt. Denn dass sichnun herausstellt, die Hauptzeugin könnte eine üble Lügnerin sein, ist für den nüchternen Betrachter der Geschehnisse keinesfalls eine Sensation, sondern liegt einfach im Bereich des Möglichen. Begriffe wie „Sensation“ und „Wende“ kann im Zsh. mit DSK im Grunde nur derjenige in den Mund nehmen, der fest davon ausgegangen ist, dass die Hauptzeugin die Wahrheit gesagt hat mit ihrem Vergewaltigungsvorwurf. Doch davon konnte eben nicht ausgegangen werden, denn klare Beweise dafür, dass Strauss-Kahn vergewaltigt hat, lagen und liegen nach wie vor ja nicht vor.

Dazu passt, was Stefan Gärtner in der aktuellen Ausgabe der TITANIC in seinem Artikel „Leitwolf im Schafspelz: über das Spektakuläre an SPIEGEL Online“ schreibt: „… zum postmodernen Leitmedium gehört eben jene Bereitschaft zum Spektaktel, das Aufklärung ans tautologische, im engen Sinne bedeutungslose Gelärm verrät… und es unterliegt keinem Zweifel, daß kein Medium in Deutschland in diesem Sinne spektakulärer ist als SPIEGEL Online.“