Archiv für April 2009

Mythenbildung statt Aufklärung: Wie der SPIEGEL die G20-Einigung zu einem bedeutenden Schritt hin zur Lösung der Weltprobleme verklärt

Sonntag, 05. April 2009

„Through the prism of 9/11, one can see how the corporate mass media are in fact doing more mythmaking than news reporting.“
Prof. Mickey S. Huff, Prof. Paul W. Rea, Project Censored

Es ist diese kritiklose Weitergabe der Politiker-PR, die beim SPIEGEL immer wieder zu beobachten ist und die das Nachrichtenmagazin so unjournalistisch staatstragend machen. So auch geschehen in dem Artikel „Gipfelstürmer Obama packt Welprobleme an“, der gerade auf SPIEGEL Online den Aufmacher bildet (siehe Screenshot). Die Überschrift in Verbindung mit dem Foto, auf dem US-Präsident Obama mit geballter Faust Willensstärke signalisiert – besser hätte es die PR-Abteilung im Weißen Haus auch nicht machen können.

Obama&Co. werden die zentralen Weltprobleme leider wohl nicht lösen
Doch wenn man sich anschaut, was da auf dem Gipfel auch „dank“ Obama beschlossen wurde, dann darf daran gezweifelt werden, dass die Weltprobleme dadurch wirklich in absehbarer Zeit gelöst werden. Natürlich ist hier die Frage, was man unter „Weltproblemen“ versteht. Obama, Merkel&Co. meinen damit vor allem, die Großkonzerne und allen voran die Banken zu retten. Meint der SPIEGEL das auch? Nun, an den wirklich zentralen Problemen diese Erde geht ein solch einseitig ausgerichteter Rettungsplan jedenfalls vorbei. Nach Auffassung der SPIEGELblog-Redaktion sind die zentralen Probleme auf dieser Erde nämlich (1) der Hunger, an dessen folgen weltweit rund 30.000 Menschen pro Tag sterben sollen, (2) das unaufhaltsame Auseinanderdriften von Arm und Reich sowie (3) die fortschreitende Naturzerstörung bzw. -vergewaltigung (Abholzung der Regenwälder, Leerfischung der Meere, Massentierhaltung etc.).

Die Politiker haben die Megaprobleme jahrzehntelang nicht gelöst – warum also sollten wir so naiv sein zu glauben, dass sie es jetzt zu tun gedenken?
Diese Probleme sind wohlgemerkt seit Jahrzehnten ungelöst, obwohl die Völker dieser Erde ihren Regierungen über die Jahre AberBILLIONEN(!) an Steuergeldern überantwortet haben, damit sie uns gerechtere und friedliche Gesellschaften bauen. Doch Pustekuchen. Die einzigen, die profitiert haben, sind die Lenker der Großkonzerne, die reicher und mächtiger sind denn je. Wieso also sollte man annehmen, dass die auf dem G20-Gipfel anwesenden Politiker, die oft genug nicht mehr als die Hansel dieser Konzernstrategen sind, die wirklich großen Probleme jetzt „anpacken“ wollen? SPIEGEL Online jedenfalls erzählt es uns nicht. Sollen wir daraus schließen, dass das Nachrichtenmagazin genau wie Obama, Merkel&Co. vor allem an der Rettung der Großkonzerne gelegen ist?

Man könnte es meinen. Schauen wir also mal, wie SPIEGEL Online es begründet, dass „Gipfelstürmer Obama die Weltprobleme anpackt“. Als erstes heißt es im Artikel, Obama hätte den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan dazu gebracht, den designierten NATO-Generalsekretär Rasmussen doch noch zu akzeptieren. Aus Sicht der NATO ist dies sicher toll – und noch toller ist, dass SPIEGEL Online dieses Ereignis als erstes in seinem Artikel erwähnt, in dem es doch um die Lösung der Weltprobleme gehen soll… Versteht sich der SPIEGEL etwa als Fürsprecher der NATO? Auf jeden Fall darf bezweifelt werden, dass die Ernennung Rasmussens dazu beiträgt, dass kein Mensch mehr hungern muss, Arm und Reich wieder zusammengeführt werden oder zum Beispiel auch die Abholzung der Regenwälder alsbald ein Ende nimmt.

Dann, so lesen wir weiter auf SPIEGEL Online, stünde in der Abschlusserklärung, „die Ära des Bankgeheimnisses ist vorüber“. Klingt wirklich toll, doch Papier ist geduldig. Und selbst wenn das Bankgeheimnis weltweit vollends abgeschafft würde, so hieße dies weiß Gott noch lange nicht, dass dadurch am Ende wirklich etwas Zählbares für die Masse der Menschen (und deren Mitgeschöpfe) auf dieser Erde bei rumkommt. Zwar sollen gemäß der Abschlusserklärung auch die Finanzmärkte stärker überwacht werden, doch dass dadurch die oben genannten Probleme auch nur annähernd gelöst werden, darf ebenfalls bezweifelt werden – und SPIEGEL Online erzählt uns nichts darüber, was diese Zweifel zerstreuen könnte.

Afghanistan, Inc.: Contractors in Afghanistan are making big money for bad work
Anschließend lesen wir, dass „die neue Afghanistan-Strategie zu einem großen Teil das Verdienst Obamas ist. Der US-Präsident kündigte die Entsendung von 21.000 zusätzlichen Soldaten an den Hindukusch an. Zugleich will er den zivilen Wiederaufbau stärken und Nachbarstaaten wie Pakistan und den Iran in die Lösung des Konfliktes einbeziehen. Der Plan entspricht dem europäischen Konzept der vernetzten Sicherheit ‚zu hundert Prozent‘, wie Merkel sagte.“

Klingt auch alles super – aus Politikersicht jedenfalls. Und da haben wir sie wieder: die Weitergabe des politischen PR-Geredes. (mehr …)

Schnelligkeit statt Genauigkeit

Sonntag, 05. April 2009

Es ist sicherlich kein Weltuntergang, wenn SPIEGEL Online in der Headline des Artikels über das heutige Formel-1-Rennen ein Schreibfehler unterläuft, nobody is perfect (siehe Screenshot). Leider steht diese Meldung aber auch stellvertretend für das Problem der Onlinemedien: Schnelligkeit contra Genauigkeit. Spätestens wenn in einer Großstadt wieder einmal eine „Atombombe“ statt einer „Autobombe“ explodiert oder faktisch nicht haltbare Thesen von „Experten“ unkritisch an die Leserschaft weitergereicht werden, ist es vielleicht nicht mehr ganz so lustig.

Der SPIEGEL behauptet fälschlicherweise, dass der weltweite Kampf gegen Tuberkulose nur mit einem massiven Antibiotika-Einsatz zu führen sei

Donnerstag, 02. April 2009

„Die Zerstörung von Mikroben ist zweifelsohne nicht der einzige und nicht notwendigerweise der beste Weg, um Infektionskrankheiten zu begegnen.“
René Dubos (1901-1982), Pulitzer-Preisträger, Mikrobiologe und Pionier der Antibiotika-Forschung

Tbc-Todesfälle in Deutschland, 1750-1950

Wenn es um das Thema Mikroben geht, so könnte man nach wie vor meinen, in der SPIEGEL-Redaktion würden die Gesundheitsbehörden – vom RKI über die amerikanische CDC bis hin zur WHO – selber die Artikel basteln. Das Problem dabei: Das, was von denen kommt, ist oft mehr PR als solide Wissenschaft, wie auch das British Medical Journal schrieb.

So auch beim Thema Tuberkulose. Gestern etwa durften wir auf SPIEGEL Online die knackige Headline lesen: „Die WHO warnt vor Tuberkulose-Zeitbombe.“ Und auch wenn es die Situation nicht undramatisch ist, so ist es falsch, wenn die SPIEGEL-Online-Redaktion unter Berufung auf die WHO zu schreibt, dass der Kampf gegen die Tuberkulose und die zunehmend resistenten Bakterienstämme nur mit einem immer massiveren Antibiotika-Einsatz zu führen sei.

Bei der Tuberkulose ist der Zustand des Immunsystems sehr entscheidend – was SPIEGEL Online aber gar nicht thematisiert
In Wahrheit nämlich ist das Immunsystem des Einzelnen (also seine körperliche und seelische Verfassung) entscheidend, ob er oder sie mit den Bakterien, die hier am Werk sind, fertig wird. Sicher können Antibiotika im Zusammenhang mit der Tuberkulose ihre Dienste leisten. Doch das ALLEINIGE Mittel, um der Krankheit zu begegnen, sind sie sicher nicht. Zumal Antibiotika das Immunsystem nicht aufbauen, sondern immunsuppressiv wirken und gerade auch bei geschwächten Menschen entsprechende Nebenwirkungen (z.B. Nieren- und Leberschäden, Beeinträchtigung der Darmflora) entfalten können.

Schaut man sich zum Beispiel die Entwicklung der Tuberkulose-Todesfälle  in Deutschland an (siehe Abbildung), so zeigt sich, dass im Jahr 1750 etwas mehr als 70 Menschen pro 10.000 Einwohner an Tbc starben. Diese Zahl ging dann über die Jahrzehnte kontinuierlich zurück (wobei Antibiotika hierfür nicht verantwortlich gewesen sein können, da erst 1942 der erste Patient überhaupt mit Penicillin behandelt werden konnte). 1955 starben dann nur noch fünf von 10.000 Deutschen an Tuberkulose.

Die Grafik stammt von einem gewissen Prof. Weise vom Bundesgesundheitsamt in Berlin. Dieser vermerkt, dass die Entdeckung des Tuberkulose-Bakteriums im Jahr 1875, die Einrichtung und die Durchsetzung der Heilstättenbehandlung, die Einführung der BCG-Impfung und die breite Anwendung der heute üblichen medikamentösen Behandlung auf das Seuchengeschehen bei der Tuberkulose ohne jeden Einfluss geblieben sind. Kurzum: Es waren die sich verbessernden Lebensumstände (u.a. mit einer besseren Ernährung), die die Tuberkulose sukzessive zurückgedrängt haben.

SPIEGEL Online vergisst zu erwähnen, dass arme Menschen vor allem auch gute Ernährung und soziale Sicherheit brauchen
Wie SPIEGEL Online selber schreibt, sind heuzutage „vor allem Menschen in armen Ländern“ von der Tuberkulose betroffen. Worum es – neben dem gezielten Antibiotika-Einsatz – also gehen muss, ist, das Immunsystem der dort lebenden Menschen in einen guten Zustand zu versetzen, (mehr …)

ZEIT MAGAZIN: Luxusuhren seitenlang anpreisen und gleichzeitig für sie werben

Mittwoch, 01. April 2009

Breitling-Anzeige auf der Rückseite vom ZEIT MAGAZIN 14/09...

Zum 1. April gönnen wir uns einen kleinen Ausflug zur Wochenzeitung DIE ZEIT. Immerhin ist sie genau wie der SPIEGEL unsterblich in Helmut Schmidt verliebt, in Hamburg ansässig, ein selbsternannter Garant für Qualitätsjournalismus – und für den vom SPIEGEL gesponserten Lead Award 2009 vorgeschlagen worden, der heute vergeben wird und unter dem Motto „Konzentration auf das Wesentliche“ steht.

Und so haben wir uns allen Ernstes (jenseits aller Aprilscherze) gefragt, was man davon halten soll, wenn DIE ZEIT in der aktuellen Ausgabe ihrer Hochglanzbroschüre ZEIT MAGAZIN erst im redaktionellen Teil Luxusuhren über achteinhalb Seiten werbewirksam präsentiert – und dann auf der Rückseite ihres Magazins eine ganzseitige Anzeige der Luxusuhrenmarke Breitling abdruckt (siehe Bild oben)? Zumal im redaktionellen Teil die Marke Breitling auch noch mal extra thematisiert wird, und zwar in dem Artikel „Taucheruhren: Stil“ (siehe Ausriss).

... und Lob für die Breitling-Uhr im Artikel auf Seite 36 des ZEIT MAGAZIN 14/09

Darin darf ZEIT-MAGAZIN-Redakteur Tillmann Prüfer – der im Übrigen auch für das Novo-Magazin schreibt, bei dessen Lektüre man sich schnell in die Zeit der totalen Fortschrittsgläubigkeit und Atomkrafteuphorie der 50er Jahre zurückversetzt fühlt – die Breitling-Uhr mit männlichen Gedankenspielen hochjubeln:

„… Der Charme der Taucheruhr liegt ohnehin nicht in der Zierde, sondern im Material. Ein Modell wie die Breitling Avenger Seawolf zum Beispiel hält sogar dem Wasserdruck in 1000 Meter Tiefe stand. In dieser Tiefe wäre jeder Mensch vermutlich längst zu Püree gepresst… Wer eine Taucheruhr trägt, fühlt sich stark und unzerstörbar – da muss man eigentlich gar nicht mehr ins Wasser gehen.“

Gleich rechts neben diesem Artikel präsentiert das ZEIT MAGAZIN ein ganzseitiges Foto mit der Breitling-Uhr, die die werbende Überschrift trägt: „Nicht nur für den Tiefseetaucher, sondern auch für den Landgang. Taucheruhr ‚Avenger Seawolf Chrono‘ von Breitling, 3310 Euro.“

Und wer jetzt noch immer daran zweifelt, dass eine solche Luxusuhr – gemäß dem Lead-Award-Motto – zum „Wesentlichen“ im Leben eines echten Mannes zählt, den überzeugt sicher die siebenseitige redaktionelle Bild-Text-Strecke in derselben Ausgabe des ZEIT MAGAZIN „Wer hat an der Uhr gedreht“. Darin darf ein schnuckeliges Kleinkind testen, ob Luxusuhren aus „Titan, Kevlar, Keramik und Wolframkarbid“ wirklich nicht kaputt zu kriegen sind. So unwiderstehlich süß kann Werbung, ähh Journalismus für Luxusgüter sein…