Archiv für April 2010

SPIEGEL warnt: Rentengarantie hat „großes Schadenspotential“ – mutiert damit aber nur erneut zur Kampagnenmaschine der Industrie

Samstag, 10. April 2010

Am 1. April bringt SPIEGEL Online den Artikel „Prognose bis 2015: Rentengarantie kostet Deutsche viele Milliarden“ (siehe auch Screenshot). Der Beitrag ist freilich nicht als Aprilscherz gedacht. Im Gegenteil, SPON stößt allen Ernstes die Warnung heraus, diese Rentengarantie hätte „großes Schadenspotential“ und beruft sich dabei auf eine Studie des Mannheimer Forschungsinstituts Ökonomie und Demografischer Wandel (MEA). Doch damit macht sich das Nachrichtenportal nur erneut zum Sprachrohr der Industrie (siehe letzten SPIEGELblog-Beitrag zum Thema). Und das Einzige, was wirklich Schadenspotential hat, ist der Artikel von SPON selber. Warum, skizziert der Blog duckhome.de:

SPIEGEL Online veschweigt die industrielastigen Hintergründe des Instituts, auf dessen Studie man sich beruft
„Der SPIEGEL ist eine derart ekelige Kampagnenmaschine, dass einem das Anklicken zum Bulimiker werden lässt. Denn die hier zitierte ‚Studie‘ des Mannheimer Institutes MEA darf getrost als Auftragsarbeit betrachtet werden. Das MEA wurde nämlich u.a. vom Verband der Versicherungsindustrie gegründet und lässt solch honorige Herren wie Bert Rürup und Axel Börsch-Supan deutschlandweit in alle TV-Talkshows einmarschieren, obwohl das natürlich alles anderer als neutrale Typen sind, sondern reine Lobbyvertreter der Versicherungsindustrie.

Natürlich lesen wir über diese Hintergründe im SPIEGEL nichts. Warum auch? Gutbezahlte PR-Berichte lassen sich schließlich am besten verbreiten, wenn man die Interessenrichtung verschweigt und es als angeblich neutrale journalistische Arbeit abdruckt.

Rentengarantie kostet in Wahrheit nur ein paar läppische Euro pro Rentner…
Zudem wollen wir doch mal festhalten: Wenn diese Propagandamaschine tönt, dass es bis 2015 bis zu (!) 10 Milliarden Euro allein wegen der Rentengarantie kostet, dann setzen wir dem doch realistischerweise mal 5 Milliarden als wirkliche ‚Kosten‘ zugrunde. Also eine Milliarde pro Jahr, bzw. 83 Mio Euro pro Monat für die rund 20 Mio Rentner in Deutschland. Also etwas mehr als 4 Euro monatlich pro Renter. Und deswegen macht diese Propagandaabteilung der Hochfinanz solch ein Geschrei? Und die erbärmliche Kampagnenmaschine vom SPIEGEL verbreitet auch noch willig solch einen Unfug??

Außerdem wollen wir auch noch festhalten: Vergangenes Jahr ist das Bargeldvermögen der Deutschen um 190 Milliarden Euro gestiegen. Die Rentner, also rund 25 Prozent in Deutschland, nur mit lumpigen 1 bis 2 Milliarden davon abspeisen zu wollen, ist doch wohl der wahre Skandal!

Wahrlich kein schöner Anblick, die SPIEGEL-Journalisten (mal wieder) ganz unten am Laternenpfahl herumlecken zu sehen. Aber wenn es wieder darum geht, dass das Internet mit seiner ‚Gratiskultur‘ ja angeblich das Geschäftsmodell des angeblichen Qualitätsjournalismus kaputt macht, schreit dieselbe gekaufte Journaille, die sämtliche Hintergrundrecherche böswillig verschweigt, am lautesten auf. Und deklariert auch mal eben das Wikileaks-Video zum SPIEGEL-Video um! Es ist nur noch ekelerregend.“

Klima und IPCC: Der SPIEGEL nimmt es bei seiner Kritik an den etablierten Klimaforschern mit den Fakten offenbar nicht so genau

Freitag, 02. April 2010

Ohne Frage: Das Klima ist ein äußerst komplexes Phänomen – und genau so verhält es sich bei der Klimaforschung. Vorhersagen in Bezug auf das Klima sind daher sicher nur schwer zu treffen. Fest steht auch, dass beim Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC; Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderung – im Deutschen oft als Weltklimarat  bezeichnet) einiges im Argen liegt. Und nicht zuletzt ist es bedenklich, dass die Umweltschutzdebatte von der Klimathematik dominiert wird, sodass andere zentral wichtige Themen wie die Zerstörung der Regenwälder oder die Ausbreitung der Gentechnik in der Landwirtschaft viel zu sehr in den Hintergrund rücken (zumal das Klima nicht isoliert zu betrachten ist von der Abholzung der Regenwälder etc.).

Eine Kritik an der etablierten Klimaforschung ist also angebracht, nur sollte diese penibel bei den Fakten bleiben – nicht zuletzt, weil die Kritik an der Klimaforschung auch von mächtigen Interessengruppen bzw. Konzerne wie ExxonMobil manipuliert wird, wie etwa die Süddeutsche kürzlich noch mal aufzeigte. Doch mit den Fakten hat es der SPIEGEL in seinem Beitrag „Die Wolkenschieber“, der in der aktuellen Printausgabe auf S. 140 beginnt und gerade auch online als Aufmacherbeitrag erschienen ist (siehe auch Screenshot), offenbar nicht so genau genommen.

SPIEGEL blendet z.B. Lobbyverquickungen aus
So hat z.B. der Klimaforscher Stefan Rahmstorf auf WISSENSlogs eine detaillierte Kritik zu dem SPIEGEL-Beitrag verfasst: „Klimaforscher-Bashing beim SPIEGEL. SPIEGELblog hat daraufhin die Autoren des SPIEGEL-Artikels angeschrieben und um eine Stellungnahme zu Rahmstorfs Kommentar gebeten. Leider kam bis dato keine Antwort vom Nachrichtenmagazin.

Die wichtigsten Kritikpunkte von Rahmstorf sind:

# Dem bekannten US-Forscher Michael Mann macht der SPIEGEL den rufschädigenden Vorwurf, er habe bei einer Fachpublikation 1999 „gemogelt“. Das ist ein Vorwurf seitens eines der Ressourcenindustrie nahestehenden Klimaskeptikers, Steve McIntyre, dessen Lobby-Verquickungen z.B. auf deepclimate.org dargestellt sind. Dieser Vorwurf wurde etwa 2006 von der National Academy untersucht und für falsch und unbegründet befunden. Der SPIEGEL präsentiert McIntyre als Lichtgestalt.

# Der SPIEGEL behauptet, im Mittelalter sei es doch wärmer gewesen als jetzt – ohne jedoch konkrete Gründe zu nennen. „Viel spricht dafür“, schreibt der SPIEGEL – aber was tatsächlich dafür spricht, wird nicht ausgeführt. Auch widerspricht diese Behauptung sämtlichen wissenschaftlichen Studien.

# Zum IPCC-Bericht wird vom Nachrichtenmagazin behauptet, dieser habe eine Zunahme der Zahl der Tropenstürme vorhergesagt, was sich nun als falsch erweise. Tatsächlich hat der IPCC-Bericht eine Abnahme der Anzahl von Tropenstürmen vorhergesagt, was sich jetzt weiter erhärtet hat (ebenso wie die vorhergesagte Zunahme in der Sturmstärke).

# Außerdem werden eine Reihe weiterer angeblicher Ungereimtheiten beim IPCC genannt, an denen nichts dran ist. Zum Beispiel sei die „angebliche Zunahme von Naturkatastrophen“ schlecht belegt, was aber gar nicht stimmt, denn bei dieser Diskussion geht es um eine völlig andere Frage: Kann man in den Statistiken über finanzielle Schäden durch Naturkatastrophen einen statistisch signifikanten Beitrag des Klimawandels nachweisen? Das ist deswegen schwer, weil erstens Naturkatastrophen selten sind und zum statistischen Nachweis von Änderungen eine große Zahl benötigt wird, und zweitens andere Faktoren (Wertezuwachs in gefährdeten Regionen) zu dem beobachteten starken Anstieg der Schadenszahlen dominant beitragen.

# Und nicht zuletzt macht der SPIEGEL dem britischen Klimaforscher Phil Jones Unterstellungen, die durchaus als polemisch zu bezeichnen sind. Bemerkenswert in diesem Zsh. ist auch, dass Jones gerade durch das britische Unterhaus von allen Vorwürfen seitens der „Klimaskeptiker“ freigesprochen wurde.

Vielleicht finden die Autoren des SPIEGEL-Beitrags ja noch die Muße, um auf Rahmstorfs Kritik einzugehen.

Der SPIEGEL geriert sich beim Thema Arbeitskosten als Sprachrohr der Arbeitgeber – und verklärt in einer Schmonzette die Kohl-Ära zur Zeit der „Sicherheit und Behaglichkeit“

Donnerstag, 01. April 2010

(Mit Dank an Andreas R.)

Es ist schon bemerkenswert, mit welch verzerrtem bzw. arbeitgeberfreundlichem Blick so mancher SPIEGEL-Journalist auf die Realität schaut. Da darf Markus Feldenkirchen aktuell in seinem SPIEGEL-Online-Aufmacher „Wir Kohl-Kinder“ (siehe auch Screenshot) den sechsten Bundeskanzler der Deutschen als „Glücksgriff“ bezeichnen und dessen Ära von 1982 bis 1998 zur Zeit der „Sicherheit und Behaglichkeit“ verklären. Mit Verlaub, Herr Feldenkirchen. Sie müssen kein linker Birne-Hasser sein, um ein realitätsnahes Bild von Kohl zeichen zu können, doch Ihre Lobeshymne auf den Altkanzler ist schlicht realitätsfern.

Kohl trieb Arm und Reich auseinander – und so eine Politik soll „Sicherheit und Behaglichkeit“ geboten haben, wie SPON meint?
So wurde Kohl ja gerade abgewählt, weil seine Politik, um nur ein wichtiges Beispiel zu nennen, Arm und Reich immer weiter auseinandergetrieben hat und sie damit den Menschen eben immer weniger „Sicherheit und Behaglichkeit“ bieten konnte. Auch Kohls Politik war nunmal auf die Vermehrung des Reichtums der herrschenden Schichten ausgerichtet (womit er sich von seinen Nachfolgern im Übrigen nicht unterscheidet). Und genau dies scheinen Sie, Herr Feldenkirchen, als „Glücksgriff“ zu empfinden. Na dann Prosit!

Am besten, man verleiht Helmut Kohl gleich den Nobelpreis, wie es die Titanic vorschlägt!

Der SPIEGEL übersieht: Im Wettbewerb entscheiden die Lohnstückkosten – und die waren bis 2007 sehr niedrig
Zu Feldenkirchens Kohl-Schmonzette passt auch der kürzlich auf SPIEGEL Online erschienene Beitrag „EU-Vergleich: Arbeitskosten in Deutschland steigen massiv“. Darin erfahren wir, dass die Arbeitskosten hierzulande um vier Prozent steigen – und dass dies für die Unternehmen „drastische“ Auswirkungen hat. Die Frage ist jedoch, ob dies wirklich „massiv“ ist – zumal inflationsbereinigt ein Rückgang des Reallohnes um 0,4 Prozent dabei herauskommt.

Damit die vier Prozent überhaupt „errechnet“ werden können, werden nämlich auch fröhlich die abgefeierten Überstunden des Vorjahres dazugerechnet, die man krisenbedingt natürlich nicht ausgezahlt bekommt, sondern abzufeiern hat. Und wenn man zuhause bleibt statt zu arbeiten und dafür dann trotzdem weiter seinen Monatslohn (oder auch Kurzarbeitergeld) bekommt, ist das statistisch natürlich mehr Geld bei weniger Arbeit. So werden hierzulande also Statistiken krummgebogen und Überschriften gebastelt.

Und wo der SPIEGEL die ganzen lohnkostensenkenden Ein-Euro-Jobber, Tagelöhner, Leih- und Zeitarbeitsleute und die Tarifflucht der Arbeitgeber versteckt hat, wird wohl sein Geheimnis bleiben.

Der allergrößte Lacher ist aber ohnehin, dass die Arbeitskosten letztlich überhaupt nicht interessieren, sondern nur die Lohnstückkosten. Auch wenn jemand 100 € als Stundenlohn bekommen würde, dafür aber im Gegenzug das 20-fache an Fertigteilen eines 10-€-Stundenlöhners produzieren kann, ist derjenige mit 100-€-Stundenlohn der billigere Mitarbeiter. Toll, oder?

Dabei lohnt der Blick darauf, wie sich in Deutschland die Lohnstückkosten seit dem Jahr 2000 verändert haben. Hier hatte Deutschland in den sieben Jahren bis 2007, also vor Ausbruch der Krise, die bei weitem geringste Entwicklung. Leider bringt das Statistische Bundesamt, auf das sich der SPON-Artikel beruft, diese viel wichtigere Übersicht nicht (siehe dazu www.jjahnke.net).

SPON-Bericht als Steilvorlage, um noch mehr deutsche Lohndisziplin einzufordern
Aber selbstverständlich werden die Papageien der Arbeitgeberlobby wieder in alle TV-Talkshows einfliegen und „engere Gürtel“ sowie eine Senkung der Lohnnebenkosten fordern. (mehr …)