Archiv für September 2013

Generalbundesanwalt bestätigt: Adam Lanza, der Ende 2012 Amok lief, hat genau wie Aaron Alexis, der Mitte September 2013 Amok lief, Antidepressiva genommen – doch der SPIEGEL blendet immer noch aus, dass die Psychopharmaka sehr wohl für die Amokläufe verantwortlich zeichnen können

Montag, 30. September 2013

„Once again, antidepressants have been linked to an episode of horrific violence. The New York Times reports [on September 18, 2013, on page A1] that Aaron Alexis, who allegedly shot 12 people to death at a Navy facility in Washington, DC, on September 16, 2013, received a prescription for the antidepressant trazodone in August.“
John Horgan, „Did Antidepressant Play a Role in Navy Yard Massacre?“, Scientific American, 20. Sept. 2013

„Bereits die ersten Studien und weitere klinischen Arbeiten zum SSRI-Antidepressivum Prozac zeigten in der Tat, dass diese Präparate gewalttätig machen können. Auch gibt es eine große Zahl von Fallberichten über die Nebenwirkungen gibt, die in der MedWatch-Datenbank der US-Medikamentenzulassungsbehörde FDA aufgelistet sind. Ein Team um den Harvard-Psychiater Dr. Joseph Glenmullen wertete in einer Studie diese MedWatch-Datenbank aus: Er erstellte eine Liste von 31 Medikamenten, in deren Zusammenhang bereits über Fälle von Gewalt gegen andere Personen berichtet wurde, darunter auch viele Tötungsdelikte. 25 der 31 Medikamente waren Psychopharmaka, wiederum elf davon Antidepressiva. Das Erstaunliche ist, dass von den 31 Präparaten die SSRI-Antidepressiva Prozac und Paxil am zweit- und dritthäufigsten mit derlei Gewaltakten in Verbindung gebracht werden konnten.“
Robert Whitaker, US-Bestsellerautor und Kritiker der heutigen auf Medikamente fixierten Psychiatrie, in einem Interview mit mir (Torsten Engelbrecht), Natur & Heilen, 09/2013

Erinnern Sie sich noch an den Amoklauf an der Sandy Hook Elementary School (US-Bundesstaat Connecticut in der Kleinstadt Newtown, rund 100 Kilometer nordöstlich von New York City) am Vormittag des 14. Dezember 2012? Bei dem Amoklauf kamen insgesamt 28 Menschen ums Leben, darunter 20 Kinder, sechs Angestellte einer Grundschule sowie die Mutter des Täters. Der Täter, der 20-jährige Adam Lanza aus Newtown, tötete sich anschließend selbst.

Gemessen an der Anzahl der Todesopfer handelt es sich bei der Wahnsinnstat um den drittschwersten Amoklauf an einer Schule in der Geschichte der Vereinigten Staaten, so ist bei Wikipedia zu lesen.

Entsprechend umfassend berichtete auch der SPIEGEL – und das Magazin versprach natürlich schonungslose Aufklärung. Doch Pustekuchen. Denn auch der SPIEGEL schaute, als es um die Identifizierung möglicher Ursachen bzw. um Erklärmuster für das Geschehene ging, gerne auf die Waffenlobby oder auch auf Videospiele – Medikamente und insbesondere Antidepressiva, kurz SSRIs, hingegen wurden konsequent ausgeblendet. Dies ist ein eklatantes Versäumnis, da es fundierte Daten gibt, die unmissverständlich anzeigen, dass SSRIs und andere Psychopharmaka brutal aggressiv machen können.

Über dieses eklatante Versäumnis des SPIEGEL haben wir auch berichetet (siehe unseren Beitrag vom 17. Dezember 2012 „Amoklauf in Newtown: Der SPIEGEL blendet das Thema Medikamente als mögliche (Mit)Ursache erneut fahrlässig aus“). Und dieses Versäumnis wiegt nun um so schwerer, wenn man bedenkt, dass nun der stellvertretende Generalbundesanwalt des US-Bundesstaates Connecticut de facto bestätigt hat, dass der Amokläufer Adam Lanz Antidepressiva genommen hatte.

„It is known that Lanza suffered from Asperger syndrome, which is commonly treated with SSRIs [= Antidepressiva] that have been linked with violent outbursts“
So berichetet infowars.com am 24. September in dem Artikel „State of Connecticut Refuses to Release Adam Lanza’s Medical Records“: „The State of Connecticut is refusing to release Sandy Hook gunman Adam Lanza’s medical records over fears that divulging the identity of the antidepressants he was taking would, ‚cause a lot of people to stop taking their medications,‘ according to Assistant Attorney General Patrick B. Kwanashie.“

Die Begründung ist natürlich haarsträubend, denn gerade bei einer solchen Wahnsinnstat, bei der 28 Menschen, darunter 20 Kinder, ums Leben kamen, kann es doch nur um vorbehaltlose Aufklärung gehen. Und dazu gehört eben auch abzuklären, welche Medikamente Adam Lanza geschluckt hat. Und wenn diese Medikamente tatsächlich Adam Lanza zu seinem Amoklauf getrieben haben, so wäre es sehr wohl angebracht für Patienten, die dieselben oder vergleichbare Medikamente einnehmen, „to stop taking their medications“. Zumal es ohnehin keine soliden Langzeitstudien gibt, die die Wirksamkeit socher Psychopharmaka belegen.

Im Übrigen heißt es in dem infowars.com-Beitrag weiter:

„Despite the fact that the search warrant pertaining to Lanza’s residence made reference to ‚prescriptions,‘ no information has been released on the identity of the medication Lanza was taking. It is known that Lanza suffered from Asperger syndrome, which is commonly treated with Selective serotonin reuptake inhibitors (SSRIs), psychotropic drugs that have been linked with violent outbursts. Louise Tambascio, a family friend of the shooter and his mother, also told 60 Minutes, ‚I know he was on medication and everything… I knew he was on medication, but that’s all I know.'“

Die weite Verbreitung von Schusswaffen, wie sie in den USA zu beobachten ist, kann nachweislich nicht der Hauptfaktor für die Amokläufe sein – doch der SPIEGEL will das einfach nicht erkennen
Dieselben Versäumnisse sind beim SPIEGEL auch beim Amoklauf des US-Navy-Reservisten Aaron Alexis zu beobachten. Am 16. September dieses Jahres erschoss der 34-jährige Alexis auf auf einem Marinestützpunkt in Washington 12 Menschen (gemäß dem englischsprachigem Wikipedia handelt es sich dabei immerhin um den„second-deadliest mass murder on a U.S. military base after the Fort Hood shooting in November 2009“). Kurz darauf wurde er selbst von der Polizei getötet. Und obwohl sich herausstellte, dass Alexis das Antidepressivum Trazodone (auf Deutsch: Trazodon) genommen hatte, ist das für den SPIEGEL nicht erwähnenswert – was um so bemerkenswerte ist, wenn man bedenkt, dass SPIEGEL Online in einem völlig anderen Zusammenhang am 3. März dieses Jahres schreibt, dass Trazodone einem „echt die Lichter ausknipst“.

Zwar berichtet etwa SPIEGEL Online, dass Alexis unter psychischen Problemen litt (wobei es wohlgemerkt in einer Überschrift gerade einmal vage heißt, Alexis hätte „offenbar unter psychischen Problemen“ gelitten). Doch dass er ein Antidepressivum einnahm (geschweige denn, dass dieses ursächlich für den Amoklauf verantwortlich gemacht werden könnte), erfährt man von dem Nachrichtenportal nicht. Stattdessen sieht der SPIEGEL wieder einmal nur den „Waffenwahn“ in den USA als Problem.

Doch der Waffenwan alleine kann die Amokläufe nachweislich eben nicht erklären bzw. stellt nicht die primäre Ursache dar. Denn bereits in den 1970er Jahren und davor war es so, dass es in den USA viel mehr Waffengewalt und Tötungsdelikte gab als in Kanada, Europa und Asien. Und auch in den USA selber sah es diesbezüglich vor 40 oder 50 Jahren vergleichsweise schlimmer aus als heutzutage. Und in dieser Zeit waren „school shootings“ oder Massentötungen im Stile des Navy-Reservisten Aaron Alexis auch in den Vereinigten Staaten praktisch noch ein unbekanntes Phänomen.

Erst ab Anfang der 1980-er Jahre – praktisch parallel zum Aufkommen der modernen Antidepressiva wie Prozac – und dann verstärkt in den 1990-er Jahren trat das Phänomen dieser Massentötungen (Amokläufe/“school shootings“) auf (siehe dazu etwa die „Timeline of 62 mass shootings in the United States, from 1982 through 2012“ vom Mother Jones Magazin vom 27. Februar 2013). Die weite Verbreitung von Schusswaffen, wie sie in den USA zu beobachten ist, kann folglich nicht der Hauptfaktor sein für Amokläufe. Denn wenn dem so wäre, so hätte es derlei Amokläufe z.B. schon in den 60-er und 70-er Jahren des 20. Jahrhundersts geben müssen, doch das ist eben nicht der Fall.

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Weiterer interessanter Link zum Thema:

Joseph M. Mercola, „The Violent Side Effects of Antidepressants that Many Ignore“, mercola.com, 3. Okt. 2013

Telepolis: Der SPIEGEL hält in seiner Titelstory „Wie Nichtwähler die Demokratie verspielen“ eine fiktive Hörspielfigur für real

Mittwoch, 18. September 2013

(Mit Dank an Ludo K. und Miranda H.)

Der SPIEGEL, 38/2013; Titelbild: der SPIEGEL

Wie Telepolis in seiner Story „Verschimmelte Kekse“ berichtet, zitiert Der SPIEGEL in seiner aktuellen Titelstory über Nichtwähler (siehe Screenshot links) die Nichtwähler-Aktivistin „Sonja Schmidt-Peters“, die sich verächtlich über politische Parteien äußert. Wählen sei „so etwas wie heilig“, wer sich verweigere, gelte als „schlechter Mensch“. Parteien seien wie „verschimmeltes Brot oder verschimmelte Kekse“. Der SPIEGEL bewertet Schmidt-Peters, die er neben den unvermeidlichen Parteienkritikern Arnulf Baring, David Precht und Gertrud Höhler zitiert, als „arrogant“.

Tatsächlich, so Telepolis, sei „Schmidt-Peters“ aber nicht einmal das. Die „Nichtwähler-Aktivistin“, vor deren Hybris Der SPIEGEL warne, sei in Wirklichkeit eine Inszenierung des Polit-Satirikers Hartmut Lühr, Mitinitiator des vom SPIEGEL ebenfalls im Artikel genannten Projekts „Wahlabsage“. „Pädagogin Sonja Schmidt-Peters“ sei die fiktive Protagonistin der von „moderne21“ veröffentlichten Politsatire „Staatsnah geht die Moderne stiften“, die zwei Wochen zuvor in der Tucholsky-Buchhandlung in Berlin-Mitte als Hörspiel Premiere hatte.

Lesen sie hier den ganzen Beitrag von Telepolis.

Der SPIEGEL macht sich erneut zum Handlanger des Polit-Establishments
Im Übrigen verklärt der SPIEGEL mit seinem aktuellen Cover-Bild, auf dem gegen Nicht-Wähler ätzt, erneut – wie bei seiner vorherigen Titelgeschichte über Angela Merkel (siehe SPIEGELblog-Beitrag) – die Realität und macht sich so im Grunde erneut zum Handlanger des Polit-Establishments. In Wahrheit machen nämlich nicht, wie der SPIEGEL behauptet, die Nichtwähler die Demokratie kaputt, sondern die Lenker der Großindustrien, die die Politiker zu Marionetten degradieren – was es wiederum den Gedanken durchaus berechtigt erscheinen lässt, Wählengehen bringt sowieso nichts. Dank Medien wie dem SPIEGEL ist das der breiten Masse aber noch nicht wirklich klar. Hackt der SPIEGEL doch lieber auf den Nichtwählern herum, anstatt eben seinem Millionenpublikum konsequent zu erzählen, wie durchkorrumpiert das deutsche Politsystem ist und wie wenig sich Merkel&Co um das Gemeinwohl kümmern und wie sehr um die Belange der Großkonzerne.

SPIEGEL-Titel über „Angela M.“: Die Kanzlerin verweigert sich nicht, wie das Magazin behauptet, „AUS FURCHT VOR DEM WÄHLER“ einer Debatte über die Zukunft des Landes – sondern AUS RÜCKSICHT VOR DER GROSSINDUSTRIE!

Sonntag, 08. September 2013

„[Die] gewissermaßen klassische und zum Glück inzwischen keineswegs mehr unkritische Vorstellung, die wir von ‚Lobbyismus‘ haben, … besagt: Lobbyisten wirken von außen in das Parlament, in die Regierung, in die Verwaltung und in die Parteien hinein. Und in der Tat: Diese Art Lobbyismus besteht nach wie vor und expandiert unvermindert weiter. Weitaus wichtiger ist jedoch eine neue Form des Lobbyismus, die noch gar nicht als solche bezeichnet wird: Diese Lobby sitzt längst im Staat, und vielfach wird sie von ihm sogar bezahlt.“
Werner Rügemer, „Die unterwanderte Demokratie: Der Marsch der Lobbyisten durch die Institutionen“, Blätter für deutsche und internationale Politik, 8/2013, Seite 67-76

SPIEGEL-Titel vom 9. Sept. 2013: „Die neue Selbstgefälligkeit der Angela M.“

Der neue SPIEGEL-Titel „Die neue Selbstgefälligkeit der Angela M.“ (siehe auch Bild links) erscheint für den unbedarften Betrachter auf den ersten Blick kritisch. Doch bei näherer Betrachtung geht die Titeltgeschichte am eigentlichen Thema vorbei. So wird darin folgende völlig verklärende zentrale These aufgestellt [Hervorhebung durch SPIEGELblog):

„Die Kanzlerin verweigert sich im Wahlkamp einer Debatte über die Zukunft des Landes – AUS FURCHT VOR DEM WÄHLER.“

Und auf S. 28, also in der Titelgeschichte selber, heißt es dazu:

„Sollte Merkels Kanzlerschaft am Ende scheitern, DANN SCHEITER SIE AN DER FUCHT VOR DEM WÄHLER. Jeder große Kanzler hat sich irgendwann entschlossen, Entscheidungen zu treffen, die erst einmal nicht den Applaus der Bürger fanden. Bei Merkel steht das noch aus.“

Das ist natürlich Quatsch mit Soße.

Denn Angela Merkel braucht im Grunde gar keine Angst vor dem Wähler zu haben. Denn es ist ja so: Überall fließen die (Steuer)Gelder zum Hauptteil in Richtung Großkonzerne, sei es nun im Bankensenktor, in der Landwirtschaft, im Medizin-/Pharmabereich oder sonstwo. Wenn hier die Geldströme seitens der Regierung umgelenkt würden in Richtung Gemeinwohl, so bräuchte die Kanzlerin nicht nur keine Angst zu haben vor dem Wähler, sondern sie würde vielmehr die Herzen von unzähligen Wählern im Sturm gewinnen. Doch das geschieht eben nicht, weil die Lobbyisten der Finanz-, Agro-, Pharma- und sonstwas-Industrien die Politik inklusive Kanzlerin fest im Griff haben…

Das belegt auch der eingangs mit einem Zitat aufgeführte Werner Rügemer mit seinem Artikel „Die unterwanderte Demokratie: Der Marsch der Lobbyisten durch die Institutionen“ (Blätter für deutsche und internationale Politik, 8/2013, Seite 67-76). Demnach „vertreten nicht nur Banken, [sondern] auch Bau-, Pharma- und andere Konzerne die Interessen ihrer Unternehmen und Branchen unter staatlicher Tarnkappe “ und halten damit de facto das Regierungszepter in ihren Händen.

Folglich verweigert sich die Kanzlerin Angela Merkel in Wahrheit nicht, wie es der SPIEGEL mit seiner aktuellen Titelgeschichte seinem Millionenpublikum weismachen will, AUS FURCHT VOR DEM WÄHLER einer ernsthaften Debatte über die Zukunft des Landes, sondern AUS RÜCKSICHT VOR DER GROSSINDUSTRIE, deren Vasallin sie letztlich ist. Denn es ist eben die brutale, omnipräsente Lobbyarbeit allen voran von den Großkonzernen, die die Regierungsvertreter inklusive Kanzlerin zu Marionetten degradiert und so echte Lösungen im Sinne des Gemeinwohls (= der Bürger) verhindert.

Vor diesem Hintergrund erscheint auch nachvollziehbar, was hintergrund.de erst kürzlich schrieb, nämlich dass „die systematische Verarmung seit Langem [durch die Bundesregierung] geplant und politisch gewollt ist“. Mit anderen Worten: Die Politik dient primär den Interessen von Großkonzerne, wodurch sich konsequenterweise ergibt, dass die Allgemeinheit verarmt. Denn wo es Gewinner gibt, gibt es in der Regel auch Verlierer.