Archiv für November 2009

Der SPIEGEL verklärt Deutschland zum „guten, alten Merkelland, das so schonend ist für die Nerven seiner Bewohner“

Montag, 30. November 2009

Dass der SPIEGEL für Angela Merkel gerne Hofberichtsterstattung betreibt, darüber haben wir bereits ausführlich berichtet. Doch das selbsternannte „Sturmgeschütz der Demokratie“ kann noch staatstragender. Es kann Deutschland zum „guten, alten Merkelland, das so schonend ist für die Nerven seiner Bewohner“, verklären (siehe Screenshot). Zu so viel „Systemjournalismus“ schreibt die Satirezeitschrift Titanic in ihrer aktuellen Ausgabe:

Hallo SPIEGEL-Redakteure!

Da ist die neue Regierung gerade mal ein paar Stunden im Amt, und schon geht ihr mit dem Titel „Vorsicht, Schwarz-Gelb. Der abenteuerliche Fehlstart der neuen Koalition“ so hart mit ihr ins Gericht: „Hier und dort wird ein wenig reformiert, aber die Republik bleibt die gleiche, sie wird nicht schwarz, nicht gelb, auch nicht schwarz-gelb, sondern bleibt das gute alte Merkelland, das so schonend ist für die Nerven seiner Bewohner. Nichts ändert sich rasch, nicht ändert sich stark“, vor allem nicht für Millionen Hartz-IV-Empfänger und Hungerlöhner, die noch nicht einmal einen Bruchteil des Betrages auf der hohen Kante liegen haben, den Ärzte, Notare und festangestellte Systemjournalisten in Jahrzehnten angespart haben; und der wohl immer noch nicht reicht? Oder wie oder was?

Nichts ändert sich; schon gar nicht bei Euch!

Titanic

(aus: Titanic, Dez. 2009, „Briefe an die Leser“, S. 7)

Der SPIEGEL behauptet: „Die Erderwärmung ist seit 10 JAHREN ins Stocken geraten“ – doch das ist so nicht haltbar

Sonntag, 22. November 2009

Im SPIEGEL der ablaufenden Woche (Nr. 47 vom 16. Nov.) lesen wir auf Seite 134: „Die Erderwärmung ist ins Stocken geraten: Seit ZEHN JAHREN steigt die globale Durchschnittstemperatur nicht weiter an“ (siehe auch Screenshot). Doch das ist so nicht haltbar. Kritisiert – oder besser: diffamiert – wird in dem Beitrag vor allem der Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der von SPIEGEL-Autor Gerald Traufetter als uneinsichtiger Trotzkopf hingestellt wird (siehe auch den SPIEGELblog-Bericht über Traufetters Artikel über Aquafarmen). Doch anstatt zu diffamieren, hätte Traufetter lieber mal konsequent beim eigenen Thema – dem Zeitraum der vergangenen ZEHN JAHRE – bleiben sollen.

Der SPIEGEL argumentiert unseriös, weil er nur im Vorspann von den „vergangenen 10 Jahren“ spricht – im Artikel selber dagegen nur von „den letzten Jahren“ und „den letzten 5 Jahren“
Rahmstorf: „Wer meine Ausfühungen und den SPIEGEL-Artikel aufmerksam liest, der wird feststellen: Die These des SPIEGEL-Artikels beruht allein auf einer Verwirrung über die unterschiedlichen Zeiträume.“ Tatsächlich spricht Traufetter nämlich nur im Vorspann von „zehn Jahren“, im Lauftext hingegen nur noch von „den letzten Jahren“ und dann explizit von „den vergangenen fünf Jahren“.

Tatsächlich stimmt Rahmstorf mit renommierten und auch von Traufetter hochgehaltenen Forschern wie Mojib Latif vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften darin überein, „dass die Temperaturen durch die Treibhausgase nicht von einem Rekord zum anderen eilen, sondern natürlichen Schwankungen unterliegen“. Doch die Behauptung des SPIEGEL-Artikels, „seit ZEHN JAHREN steigt die globale Durchschnittstemperatur nicht weiter an“, ist, wie gesagt, so nicht haltbar. „Denn für die vergangenen zehn Jahre gilt dies nur dann, wenn man die Arktis ausklammert – also nicht global“, so Rahmstorf. „Dieser Analyse widerspricht in dem SPIEGEL-Beitrag niemand, und ich stehe damit auch nicht alleine da, wie behauptet wird, sondern dies wird von den meisten Kollegen geteilt – wie unter anderem die in wenigen Tagen erscheinende Copenhagen Diagnosis zeigt.“ Die Copenhagen Diagnosis ist ein von 26 führenden Klimatologen erarbeitetes Update zur Klimawissenschaft.

„Der SPIEGEL-Artikel konstruiert also einen Scheinwiderspruch“, so Rahmstorf, „weil er, wie gesagt, im Artikel selber nicht mehr von den letzten zehn Jahren, sondern von ‚den letzten Jahren‘ und dann explizit von ‚den vergangenen fünf Jahren‘ spricht, in denen der globale Trend in der Tat negativ ist. Das zeige ich auch in einem meiner eigenen Beiträge. Nur – über fünf Jahre ist dies nichts Ungewöhnliches, sondern im Laufe der letzten 30 Jahre immer wieder einmal vorgekommen, ohne dass dies zu großen Diskussionen oder einer nachhaltigen Pause in der globalen Erwärmung geführt hat.“

SPIEGEL-Autor Traufetter diffamiert Rahmstorf – anstatt einfach mal nachzurechnen
Der SPIEGEL-Artikel erwähnt zudem noch eine Prognose von Latif und Koautoren (Keenlyside et al., Nature 2008). Diese bezieht sich spezifisch auf den Mittelwert über den Zeitraum 2000 bis 2010, der laut Keenlyside et al. kühler werden soll als der Mittelwert 1994 bis 2004… (mehr …)

Wie der SPIEGEL seinen Lesern das Märchen von den Kannibalen, die an der infektiösen Hirnerkrankung Kuru starben, auftischt

Freitag, 20. November 2009

„Die wissenschaftliche Welt scheint, was den Kannibalismus auf Papua-Neuguinea und dem Gerede von der dortigen angeblich ansteckenden Gehirnkrankheit Kuru angeht, einem Märchen aufgesessen.“
Roland Scholz, Professor für Biochemie und Zellbiologie aus München

Erneut Märchenstunde bei SPIEGEL Online. Da dürfen wir aktuell lesen, dass angeblich Kannibalen auf Papua-Neuguinea einst „die Hirne ihrer Toten aßen – und dann zu Tausenden an Kuru, einer tödlichen Hirnerkrankung, starben“ (siehe Screenshot). Angeblicher Grund für dieses Drama: Mit den Gehirnen der Toten hätten die Kannibalen, so wird behauptet, einen winzigen Erreger (ein Prion) mitgegessen, der Kuru früher oder später ausgelöst hätte.

SPIEGEL zweifelt Kannibalismus 1980 selber an
Doch solche Sätze sind nicht nur hanebüchen, wenn man bedenkt, was der SPIEGEL 1980 selber in seinem Artikel „Gräßliches Gebaren“ schrieb: „Kannibalismus, so behauptet ein US-Forscher, habe es als Brauchtum nie gegeben. In Wahrheit hätten die europäischen Eroberer diesen Vorwurf aufgebracht, um die Naturvölker desto leichter ausplündern zu können.“ In dem Beitrag geht das Nachrichtenmagazin auch explizit auf die behauptete Menschenfresserei in Papua-Neuguinea ein.

Doch auch ist die Behauptung, auf Papua-Neuguinea hätten menschenfressende Eingeborene mit Erregern (Prionen) verseuchte Gehirne gegessen und seien infolge dessen an der Gehirnerweichung Kuru erkrankt, hanebüchen, wenn man sich den Sachverhalt streng wissenschaftlich anschaut.

Den Grundstein für die Erreger-Theorie im Zsh. mit Kuru legte Carleton Gajdusek – doch dessen Geschichten, für die er den Nobelpreis erhielt, waren in Wahrheit frei erfunden
Beginnen wir hierfür ganz von vorne (siehe dazu Kapitel 2 und 5 in meinem Buch „Virus-Wahn“). So war es der Forscher Carleton Gajdusek, der dem Konzept der „slow viruses“ zum Durchbruch verhalf. Danach soll also ein Virus in der Lage sein, über Jahre in einer Zelle zu „schlafen“, um dann irgendwann seine krankmachende oder tödliche Wirkung zu entfalten. Gajdusek forschte in den 1970-er Jahren des 20. Jahrhunderts in Papua-Neuguinea an einer schwammartigen und mit Verblödung (Demenz) einhergehenden Veränderung des Gehirngewebes, die dort vorwiegend unter der weiblichen Bevölkerung verbreitet war. Die Krankheit, genannt Kuru, war nur in zwei Stämmen zu beobachten, die häufig untereinander heirateten – und die laut Gajdusek einen Totenkult pflegten, bei dem man das Gehirn von Verstorbenen aß (was sich später als Märchen entpuppte!).

1976 bekam Gajdusek dann für seine Theorie der langsamen Viren den Nobelpreis, was entscheidend dazu beitrug, dass die Vorstellung, diese schwammartige Veränderung des Gehirngewebes würde durch einen Erreger übertragen und erzeugt (und nicht etwa durch Industriegifte), weithin als Fakt akzeptiert wurde – und offenbar immer noch von Medien wie SPIEGEL Online kolportiert wird. Wenn man jedoch Gajduseks Versuche mit Affen, mit denen er die Übertragbarkeit bewiesen haben wollte, genauer anschaut, so muss man sich heute wundern, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft damals diese Arbeiten als Beleg für die Übertragbarkeit anerkannte. Weder die Verfütterung infizierten Hirnbreis noch die Injektion desselben irritierte die Versuchsschimpansen.

Gajduseks Versuche waren einfach nur bizarr und damit völlig realitätsfern
Dies brachte Gajdusek dazu, ein bizarres Experiment durchzuführen,… (mehr …)

SPIEGEL Online kanzelt die Studentenproteste vulgär-neoliberal ab

Mittwoch, 18. November 2009

(Mit Dank an Bernhard S.)

Die offensichtlich neoliberale und damit staatstragende Haltung des SPIEGEL macht sich an allen Ecken und Enden bemerkbar. Selbst bei dem Beitrag „Studenten rebellieren gegen Bildungschaos“ über die aktuellen Studentenproteste (siehe Screenshot). Schon im Vorspann heißt es, „für den Bildungsstreik ernten die Studenten verdächtig viel Beifall“ – wieso „verdächtig“, ist da vermutlich  etwas Verbotenes im Gange?

Auch liest man so wunderbar vulgäre Sätze wie:“Daneben gibt es die Abteilung ‚Freibier für alle“ aus der eher altlinks-bildungsfundamentalistischen Richtung: Jeder soll jederzeit überall alles studieren dürfen, so viel, so lange und wo er will… Und die Abteilung ‚Völker hört die Signale‘: Dazu gehört klassischer Politschwulst – gegen ’neoliberale‘ Einflüsse, gegen die Ausrichtung der Bildung nach ‚kapitalistischer Verwertungslogik‘ und ähnlich anstrengende Sprachstanzen.“

Dass die beiden einzig tiefer schürfenden (und damit ernst zu nehmenden) Motivationslagen für die Bildungsproteste derart vulgär-plakativ abgekanzelt werden, illustriert eindrucksvoll die neoliberale Grundhaltung des SPIEGEL.

Der SPIEGEL über Lafontaine: endgültig auf BUNTE-Niveau angekommen

Dienstag, 17. November 2009

Investigative Geschichten, die den korrupten Machtcliquen das Fürchten lehren könnten, gibt es schon lange nicht mehr vom SPIEGEL. Von „Sturmgeschütz der Demokratie“ also weit und breit nichts zu sehen. Aber das macht ja auch nichts, sagt man sich offenbar beim SPIEGEL – es lässt sich ja auch mit Hofberichterstattung und schlüpfrigen Geschichten a la BUNTE Auflage machen. Das scheint Priorität beim SPIEGEL zu haben.

Anders ist es nicht zu erklären, dass sich der SPIEGEL zum Beispiel über die Vergangenheit der Kanzlerin als FDJ-Funktionärin für Agitation und Propaganda und „Kampfreserve der SED“ schlicht ausschweigt (im SPIEGEL 46/2009 darf SPIEGEL-Autor und Ex-SED-Mitglied Alexander Osang sogar die Lüge verbreiten, Angela Merkel sei vor dem Start ihrer Polit-Karriere im Westen eine „unpolitische deutsche Physikerin“ gewesen), während man im aktuellen SPIEGEL (Seiten 32 bis 34) in Boulevardmanier einen Bericht über Lafontaine bringt. Inhalt: Für den Rückzug Oskar Lafontaines vom Fraktionsvorsitz der Linken soll es nicht nur politische Gründe gegeben haben. Vielmehr, so der SPIEGEL, soll eine private Beziehung zwischen Lafontaine und der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht hier eine Rolle gespielt haben (siehe Screenshot).

SPIEGEL: investigativer Journalismus sieht anders aus
Für diese Story bezieht sich der SPIEGEL sogar tatsächlich auf die BUNTE. Harte Fakten kann der SPIEGEL hingegen nicht vorbringen. So schreibt man: „Lafontaine und Wagenknecht, so heißt es, seien sich in der Vergangenheit nicht nur inhaltlich nahegekommen. Von einer Affäre ist die Rede, von einer Beziehung mit konkreten Folgen für die Politik“. That’s it. Dünner als dünn, was der SPIEGEL da präsentiert. Dazu die LINKE: „Alles erstunken und erlogen.“

Und selbst wenn Wagenknecht und Lafontaine gevögelt hätten, was das Zeug hält. So what? Ist doch ihre Sache… (mehr …)

FAZ über SPIEGEL Online: „unterwürfiges Sturmgeschütz“

Samstag, 14. November 2009

Wir haben ja schon einiges über den SPIEGEL geschrieben, und viele Leute pflichten uns in unseren Analysen bei. Dass uns aber ausgerechnet die Frankfurter Allgemeine Zeitung beispringt und in dem Artikel „Unterwürfiges Sturmgeschütz“ (siehe Screenshot) ihrer Fassungslosigkeit darüber Ausdruck verleiht, wie das Hamburger Nachrichtenmagazin – so wörtlich – „Hofberichterstattung“ für neoliberal ausgerichtete Spitzenpolitiker betreibt, das hätten wir in der Form nicht so ohne Weiteres erwartet.

Gut, wir haben zuletzt vor allem darüber berichtet, wie der SPIEGEL „Hofberichterstattung“ für Angela Merkel macht, während sich die FAZ in ihrem aktuellen Beitrag auf einen Bericht von SPIEGEL Online über den Afghanistanbesuch von Verteidigungsminister von und zu Guttenberg bezieht. Doch das tut der Sache keinen Abbruch, denn auch über die Artikel des SPIEGEL über den „Golden Boy“, die der Hofberichterstattung über die Kanzlerin in Nichts nachstehen, haben wir mehrfach berichtet (siehe zum Beispiel den SPIEGELblog-Beitrag „Wie der SPIEGEL Wirtschaftsminister von und zu Guttenberg in Werbemanier zum Superhelden à la Batman verklärt“).

FAZ: SPIEGEL Online leitet aus Null-Informationen eine politische Offenbarung ab
„Es ist schon ein starkes Stück, wie SPIEGEL Online über den Afghanistan-Besuch des Verteidigungsministers berichtet“, heißt es zu Beginn des FAZ-Beitrags. „‚Hofberichterstattung‘ ist gar kein Ausdruck… (mehr …)

Tragischer Tod von Robert Enke: Mainstreammedien wie der SPIEGEL blenden das Thema Nebenwirkungen von Antidepressiva erneut aus

Donnerstag, 12. November 2009

Der Tod von Robert Enke ist ein äußerst tragisches Ereignis. Auch ich möchte den Hinterbliebenen mein herzlichstes Beileid ausdrücken. Ich wünsche ihnen viel Kraft, um diese schwierige Zeit durchzustehen und die Zukunft in Frieden zu meistern.

Als Journalist erlaube ich mir, die Frage zu stellen, was Robert Enke, der offenaber unter schweren Depressionen gelitten hat und deswegen lange in Behandlung war, zu dieser „unerklärlichen“ Tat veranlasst haben könnte. Immerhin sprachen sich SPIEGEL Online in einem Beitrag (siehe Screenshot) und zum Beispiel auch Christoph Daum in einem anderen Artikel von SPIEGEL Online dafür aus, das Thema Depression nicht zu tabuisieren. Lässt sich Enkes Tat also „nur“ mit dem beruflichen Druck und den persönlichen Schicksalsschlägen erklären? Oder könnten auch andere Faktoren beteiligt gewesen sein, zum Beispiel Antidepressiva? So soll Robert Enke laut einem heutigen Bericht von www.rp-online.de „spätestens seit seiner Zeit beim FC Barcelona [2000 bis 2004] Antidepressiva genommen haben“.

Viele Menschen scheint eine Frage nach der möglichen (Mit)Schuld von Medikamenten zu irritieren, und auch die Journalistengemeinde scheint wenig bis gar nicht gewillt, in diese Richtung zu denken. Jedenfalls taucht das Thema Antidepressiva nirgends in den Medienberichten über den tragischen Tod von Robert Enke auf (mit Ausnahme dieses rp-online-Berichtes). Und wie mir Stefan Wittke, Leiter der Pressestelle der Polizeidirektion Hannover am Telefon sagte, hätte auch auf der gestrigen Pressekonferenz keiner der anwesenden Journalisten das Thema Antidepressiva angesprochen. Der behandelnde Arzt von Robert Enke, der Kölner Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Valentin Markser, ist aktuell nicht erreichbar, sodass ein Nachfragen nicht möglich ist – und wahrscheinlich würde er sich dazu auch nicht äußern wollen und auf seine ärztliche Schweigepflicht verweisen.

Dass Antidepressiva Menschen zum Selbstmord veranlassen können, ist hinreichend belegt
Die Thematik kann also derzeit nicht abschließend geklärt werden. Fest steht, dass es heutzutage gängig ist, Menschen, die wegen Depressionen in Behandlung sind, Medikamente zu verabreichen. Von daher sehe ich es als großes Versäumnis an, dass der SPIEGEL und all die anderen Mainstreammedien das Thema Antidepressiva schlicht ausblenden – oder wenn dann doch mal ein Artikel kommt, so wie gestern auf Welt Online, die rosa Brille aufsetzen und unter Berufung auf orthodoxe Mediziner Antidepressiva einseitig zu möglichen Heilsbringern verklären.

Nur auf rp-online.de heißt es immerhin: „Die Wirkung der Medikamente ist rein symptomatisch, heilen können sie den Kranken nicht.“ Doch das ist noch nicht alles. In Wahrheit können Antidepressiva (genau wie die durch das Abesetzen von Antidepressiva verursachten Entzugserscheinungen) nämlich schwere Nebenwirkungen verursachen und die Patienten zum Selbstmord und zu anderen Wahnsinnstaten veranlassen. Einer, der dieses Thema intensiv erforscht hat, ist der renommierte amerikanische Psychiater Peter Breggin (siehe z.B. seinen Beitrag „Violence and Suicide Caused by Antidepressants Report to the FDA“). Und auch auf stern.de lesen wir am 15. Oktober den Beitrag „Antidepressivum fördert Suizidgedanken“. Wieso also schweigt man sich über Antidepressiva im Zusammenhang mit Robert Enke aus?

Dieses Schweigen kennen wir von anderen medial gepushten Ereignissen, etwa vom Amoklauf in Winnenden. Auch hier spekulierten die Journalisten freimütig über alle möglichen Ursachen wie Videospiele und Schusswaffen – das Thema Antidepressiva wurde hingegen auch hier totgeschwiegen (siehe meinen Beitrag für die Wochenzeitung „Wenn der Schalter kippt…“).

Immerhin ist das Thema Antidepressiva von gesellschaftlicher Relevanz und geht weit über den tragischen Tod von Robert Enke hinaus. So soll jeder achte Bundesbürger – also rund 10 Millionen Menschen hierzulande – mindestens einmal im Leben eine Depression durchmachen; und viele schmeißen sich wie Robert Enke vor einen Zug. Welch dramatische Folgen die Einnahme von Antidepressiva haben kann, ist nicht nur durch die Arbeiten von Peter Breggin oder auch durch entsprechende Warnhinweise auf den Beipackzetteln der Medikamente gut dokumentiert; auch persönliche Berichte zeigen eindrucksvoll auf, wie Antidepressiva Patienten durchdrehen lassen können:

# In einem Schreiben an die US-Medikamentenzulassungsbehörde FDA schilchert Stephen Leith, wie er als Lehrer unter dem Einfluss des Antidepressivum Prozac im Medikamentendelirium den Schulleiter erschoss.

# In einem anderen persönlichen Bericht schildert David Carmichael, wie er unter Einfluss von Paxil seinen eigenen 11-jährigen Sohn erschoss.

Eine öffentliche kritische Debatte über Antidepressiva ist überfällig, auch wenn sich irgendwann herausstellen sollte, dass sie tatsächlich nicht (mit)schuld gewesen sind am tragischen Tod von Robert Enke.

Der SPIEGEL: Hofberichterstattung für Angela Merkel, die Zweite

Montag, 02. November 2009

Mitte Mai berichtete SPIEGELblog, wie der Kisch-Preisträger und SPIEGEL-Autor Alexander Osang mit seinem 10-seitigen Beitrag „Die deutsche Queen“ Hofberichterstattung für die Kanzlerin Angela Merkel betrieb. Jetzt hat Dirk Kurbjuweit, Leiter des Ressorts Deutsche Politik im Hauptstadtbüro, mit seinem SPIEGEL-Online-Beitrag „Deutschlands Kanzlerin: Mutti Merkel, die Große“ in gleicher Manier nachgelegt (siehe ersten Screenshot). Der Artikel erschien dem Online-Portal so wichtig, dass er über einen sehr langen Zeitraum einer der Hauptaufmacher blieb.

Merkels Vergangenheit als FDJ-Funktionärin für Agitation und Propaganda blendet der SPIEGEL erneut einfach aus
Das prekäre daran: Auch dieser Beitrag hätte gut in eine CDU-Mitgliederzeitschrift gepasst, für ein Medium, das sich selbst als „Sturmgeschütz der Demokratie“ bezeichnet, ist ein solcher Artikel jedoch unwürdig. Allein das Foto hätte die PR-Agentur der CDU nicht besser aussuchen können. Und dann diese Plattitüden, die bereits im Vorspann beginnen. Nicht nur die Überschrift „Mutti Merkel“ ist – vor allem auch in Kombination mit dem Bild – geradezu verniedlichend; und auch Sätze wie „Die Kanzlerin ist eine kühle Machtstrategin – und hält gleichzeitig alle bei Laune“ sind geradezu grotesk.

Vielleicht hält die Kanzlerin alle verbrämten Politik-Journalisten beim SPIEGEL bei bester Laune, doch dass Merkel, wie Kurbjuweit behauptet, „alle Gesellschaftsmitglieder bei Laune halten könne“, kann nur einer Realitätswahrnehmungsstörung geschuldet sein. Allein wenn man daran denkt, dass auch unter Merkels Zeit als Kanzlerin Arm und Reich in Deutschland weiter auseinandergedriftet sind, bleibt einem das Lachen über Merkels muttimäßige Fönfrisur im Halse stecken. Davon abgesehen haben CDU plus CSU bei der Bundestagswahl wohlgemerkt gerade einmal etwas mehr als 30 Prozent eingefahren… Fast 70 Prozent der Wähler plus Millionen von Nichtwählern finden Merkel also gar nicht so zum Lachen.

Besonders unjournalistisch ist auch, dass Kurbjuweits Beitrag letztlich praktisch nichts wirklich Kritisches zutage fördert. Während der SPIEGEL zum Beispiel nicht müde wird, der LINKEN ihre DDR-Vergangenheit aufs Brot zu schmieren, verliert man über die DDR-Vergangenheit der Kanzlerin kein Sterbenswörtchen. Dabei war Merkel nicht geringeres als FDJ-Funktionärin für Agitation und Propaganda. Damit gehörte sie zur Kampfreserve der Partei und war alles andere als die nette „Mutti“ von nebenan. Und dass die CDU die DDR wirklich aufgearbeitet hat, kann man nun wirklich nicht sagen. Hat die Partei der guten Christen doch das Vermögen zweier SED-Blockparteien geschluckt, deckt aber ansonsten über ihre Vergangenheit den Mantel des Schweigens – und Kurbjuweit schweigt mit.

Oder wie steht es um die Frage, welche Rolle Angela Merkel in ihrer Zeit als Bundesumweltministerin womöglich in dem Asse-Skandal gespielt hat? Dies wäre doch wirklich mal eine Rechercher wert – mindestens genau so spannend wie umfassenden Recherchen des SPIEGEL über Gregor Gysis DDR-Vergangenheit. Doch auch hierzu sagt Kurbjuweit nichts (siehe dazu auch den SPIEGELblog-Bericht „Der SPIEGEL geriert sich als eine Art Marketingmaschine für Angela Merkel – und sorgt sich um die “Glaubwürdigkeit” der Lügenbaronin“).

Auch hätte sich Kurbjuweit, um nur eines von etlichen weiteren Möglichkeiten zu nennen, doch mal dezidiert der Frage annehmen können, was es über Angela Merkel aussagt, dass sie jemanden wie Wolfgang Schäuble zum Finanzminister ernennt – eine Frage, die vor kurzem der Journalist Rob Savelberg vom niederländischen Telegraaf auf einer Pressekonferenz an die Kanzlerin richtete (siehe zweiten Screenshot; der Journalist Gerhard Wisnewski macht darauf noch mal explizit auf seiner Website aufmerksam):

Savelberg: „Wie kann man einem Mann [wie Schäuble], der sich nicht an den Verbleib von 100.000 Mark erinnern kann, das Amt des Finanzministers anvertrauen?“

Merkel: „Weil diese Person mein Vertrauen hat.“

Savelberg: „Aber kann er denn mit Geld umgehen, wenn er vergisst, dass er 100.000 Mark in bar in seiner Schublade liegen hat?“

(Heiterkeit im Saal)

Merkel: „Ich habe wirklich alles gesagt dazu.“

Savelberg: „unverständlich.“

Merkel: „Ja, ich kann gerne den Satz nochmal wiederholen, aber ich habe aus meiner Sicht alles gesagt.“

Savelberg: „Aber es geht um die Finanzen von 82 Millionen Deutschen …“

Merkel: „Die nächste Frage.“