175 Jahre Bertelsmann: SPIEGEL Online bringt nur blumigen Artikel zum Jubiläum des machtvollen Konzerns – und betreibt dabei auch noch Geschichtsklitterung

  17. September 2010, von T. Engelbrecht

Der Medienkonzern Bertelsmann feierte gestern mit einem großen Festakt sein 175-jähriges Bestehen – und SPIEGEL Online hat nichts besseres zu tun als den kurzen Artikel „Jubiläum – Bertelsmann lässt sich als Weltkonzern feiern“ zu bringen (siehe auch Screenshot), der ausschließlich schön redet. Im Vorspann etwa wird nur Kanzlerin Angela Merkel zitiert, die „in ihrer Rede die Bedeutung des Traditionskonzerns für Deutschland und die Welt würdigte“.

Erschwerend kommt hinzu, dass der SPON-Beitrag auch noch Geschichtsklitterung betreibt.

Kulturzeit-Beitrag auf Youtube: „Bertelsmann ist eine gefährliche neoliberale Denkfabrik“
Das alles erstaunt um so mehr, wenn man sich vergegenwärtigt, um was für einen Konzern es sich bei Bertelsmann handelt.

Kritische Zeitgeister meinen gar, wir lebten in der „Bertelsmann-Republik Deutschland“, wie etwa der Autor Thomas Schuler sein Buch über den Einfluss der Bertelsmann-Stiftung auf Gesellschaft und Politik betitelt hat.

Ein Beitrag des 3sat-Magazins Kulturzeit sieht den Weltkonzern ebensoo kritisch und ist auf Youtube zu sehen und dort mit „Bertelsmann – eine gefährliche neoliberale Denkfabrik“ überschrieben.

Und auch Antje Vollmer von den Grünen sagte gestern in einem Interview mit der taz, „die Bertelsmann-Stiftung übt erheblichen Einfluss auf die deutsche Politik aus“ – und zwar im „neoliberalen“ Sinne.

Dazu passt, was auf sueddeutsche.de zu lesen ist, nämlich dass den Schreibtisch von Liz Mohn, aktuelle Herrscherin des Konzerns, ein Bild der Kanzlerin Angela Merkel ziere – und dazu noch Aufnahmen von George W. Bush, Queen Elizabeth II. und Papst Benedikt XVI…

Und warum, fragt die taz, lasse sich die Gesellschaft das gefallen? Das liege, antwortet Vollmer, „am beinahe völligen Stillschweigen der Medien. Als wir Ende der 1990er Jahre das Stiftungsrecht reformieren wollten, hatte ich überall Gespräche über mögliche Fehlentwicklungen geführt – bei SPIEGEL, Stern, Focus, Zeit, FAZ, Süddeutsche oder auch bei TV-Magazinen wie Monitor. Doch an Bertelsmann traute und traut sich niemand heran, mit Ausnahme eines Artikels im Tagesspiegel und der tapferen kleinen Neuen Westfälischen in der Provinz. Sonst aber legt sich eine Medienkrake nicht mit der anderen an. Die Angst vor Bertelsmann-Juristen und die potentielle Bedürftigkeit, mal was mit denen oder bei ihnen machen zu wollen, hindert offensichtlich auch die Helden des investigativen Journalismus am Jagdeifer. Bertelsmann ist unberührbar.“

Beim SPIEGEL sind die Interessenkonflikte sogar besonders groß, denn Bertelsmann ist über den Verlag Gruner+Jahr indirekt am SPIEGEL beteiligt.

SPON lobt Bertelsmann für die Aufarbeitung seiner Nazivergangenheit – dabei hatte Bertelsmann lange Zeit seine Geschichte massiv gefälscht und musste zu dieser Aufarbeitung erst gedrängt werden
Um so pikanter ist es, wenn der SPON-Artikel auch noch Geschichtsklitterung betreibt. So heißt es in dem Beitrag, Angela Merkel „lobte den Konzern ausdrücklich für die Aufarbeitung seines Wirkens während der Herrschaft der Nationalsozialisten. Dies sei notwendig, aber nicht selbstverständlich gewesen, sagte die Kanzlerin“.

In Wahrheit musste Bertelsmann erst zu einer Aufarbeitung gedrängt werden, wie etwa der erwähnt Kulturzeit-Beitrag aufzeigt. Schlimmer noch: Die ganze Erfolgsstory nach dem 2. Weltkrieg beginnt mit der großen Lüge von Heinrich Mohn (seit 1921 Verlagschef), Bertelsmann hätte in der Nazizeit als kirchlicher Widerstandsverlag agiert und sei so den Nazis regelrecht ein Dorn im Auge gewesen. Noch bis in die 90er Jahre hält sein Sohn und Nachfolger, Reinhard Mohn, öffentlich an dieser Lüge fest.

In Wahrheit jedoch war Heinrich Mohn Ehrenmitglied der SS, und Bertelsmann der größte Buchproduzent der Wehrmacht mit engen Kontakten zu den Nazis. Verlegt wurde, so Kulturzeit, „Blut- und Bodenliteratur“, die gespickt war mit einem „rabiaten Antisemitismus für die Kämpfer an der Front“. So profitierte Bertelsmann „enorm vom totalen Krieg“.

Diese Wahrheit, so Kulturzeit, konnte nur ans Licht kommen, weil es schließlich zu einem großen massiven öffentlichen Druck auf Bertelsmann gekommen war. „Wenn hier nicht der Druck von außen gekommen wäre“, so der Autor Schuler in einem Interview mit Kulturzeit, „dann wäre diese Geschichte nie und nimmer aufgeklärt worden. Das zeigt auch, dass die Verantwortung nicht von Bertelsmann ausgeht.“

 

2 Kommentare zu “175 Jahre Bertelsmann: SPIEGEL Online bringt nur blumigen Artikel zum Jubiläum des machtvollen Konzerns – und betreibt dabei auch noch Geschichtsklitterung”

  1. H.Gerlach sagt:

    Auch im Detail funktioniert bei Spiegel online der vorauseilende Gehorsam (Zensurschere) im Kopf beflissener Redakteure:

    Ein kritischer Forumsbeitrag wurde nicht veröffentlicht. Der Beitrag erwähnte den französischen Konzern Sodexo, der über die Firma Bedirect mit Bertelsmann verbunden ist. Bertelsmann-Chefin Frau Mohn ist eine enge Freundin Frau von der Leyens, welche für Hartz4-Empfänger anstatt Geldleistungen unbedingt eine Bildungs-Chipkarte einführen möchte – eine Chipkarte, welche vorzugsweise Sodexo managen soll.

    Sodexo allerdings schröpft mit seinen bisherigen Bonuskarten gleichzeitig die Steuerzahler. Der Konzern schreibt: „Die gesetzlichen Lohnsteuerrichtlinien bieten Ihnen und Ihren Mitarbeitern finanzielle Einsparmöglichkeiten! Jeder Arbeitgeber hat die Möglichkeit, (mit der Karte) Mitarbeitern einen Essenzuschuss zukommen zu lassen. Hierdurch reduzieren Unternehmen ihre Lohnnebenkosten.“

    Der kleine Mann spart ein paar Cent, und der Konzern zahlt Millionen weniger Steuern. Das Volk zahlt den angeblichen Kartenbonus letztlich selber.

    Das zur Geldgier des Bertelsmann-Konzerns, welcher bereits durch eine pervertierte Stiftungskonzeption dem Gemeinwesen schweren materiellen Schaden zufügt.

  2. Die USA und der drohende Sturz von der sogenannten “Fiskalklippe” – 1 | A BLOG FOR NONCONFORMISTS sagt:

    […] zu dieser Sache auch den Artikel vom 17.9.2010 mit dem Titel “175 Jahre Bertelsmann: SPIEGEL Online bringt nur blumigen Artikel zum Jubiläum des machtvollen Konz…” im “Spiegel Blog“, der vom Hamburger Journalisten Torsten Engelbrecht betrieben […]

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