Das Heilsbringergesicht – ein Hammer-„Essay“ im SPIEGEL klärt auf über Christian Klar

  08. Januar 2009, von Klaus Bittermann

An der krummen Nase, den abstehenden Ohren und am heimtückischen Blick würde man den Volksfeind erkennen, behauptete in der Nazizeit die deutsche Publizistik. Wer meinte, dieser rassistisch begründete und auf angeblich anatomische Merkmale beruhende Schwachsinn hätte schon lange ausgespielt und wäre dem aufgeklärten, zur Wahrheit verpflichteten Journalismus gewichen, hat nicht mit dem SPIEGEL (50/08, siehe Ausriss) gerechnet, in dem ein sogenannter „Essay“ mit der Headline „Der Andersweltler“ über die Freilassung von Christian Klar veröffentlicht wurde:

„Den Zeitungskommentar las ich nur flüchtig. Es war Klars Konterfei, das mich in Bann hielt. Da sehen mich die unergründlichen Augen eines Mannes an, der mit seinen ehemaligen Genossen dem unwissenden, in die Irre geleiteten Volk den Weg in eine bessere Zukunft weisen wollte. Aber sieht so das Gesicht eines Heilsbringers aus? Strahlt da die Vision einer von was auch immer befreiten Gesellschaft? Nein, dieser Ausdruck kündet nicht von zukünftigen Paradiesen der Menschenliebe, er malt keine bunte Phantasie von irgendeiner Utopie, keine Spur vom ‚Age of Aquarius‘. Könnte ich mich mit einem, der so in die Welt schaut, an einen Tisch setzen, um über das Antlitz einer humanen Gesellschaft zu reden? Nein, sicher nicht! In diesen Augen sehe ich keinen Schimmer von einem Aufbruch in neue Zeiten, sondern nur vom Ende aller Träume. Ich befürchte, daß niemals auch nur ein einziges Atom wirklicher Verständigung in diese Augen dringen kann.“

„Essay“ mit ressentimentgeladenen Urteilen
Ein echter Hammer! Und das ist diesmal wörtlich zu nehmen, denn der Artikel stammt von einem Mann mit dem Namen Ulrich Hammer, dessen Eltern ihm auch noch das sinnige Mittelinitial „M“ wie „Magnus“ verpaßten, als ob sie damals bereits gewußt hätten, daß ihr Sohn irgendwann mal den großen Hammer rausholen würde. Im Unterschied zu diesem harmlosen Namenswitz ist dieser als „Essay“ aufgemotzte Kommentar nicht lustig, sondern zeugt von großer, gedankenschwacher Dämlichkeit, und man denkt sofort, die muß man unter Naturschutz stellen, um für nachfolgende Generationen die Kontinuität ressentimentgeladener Urteile zu dokumentieren, vor allem, weil sich Ulrich Magnus Hammer auf ein Foto bezieht, auf dem Christian Klar ziemlich ausgezehrt wirkt, was zweifellos eine Folge der Knastjahre ist.

Wer erinnert sich Anfang der 70er nicht an die Töne der Politiker, die Volkes Stimme zum Ausdruck brachten? „Man muß diesen Typen (der RAF) nur ins Gesicht sehen!“ hieß es damals, und mit einer gewissen Befriedigung strich man auf den Fahndungsplakaten die Konterfeis derjenigen durch, die erschossen oder verhaftet wurden. Dieses damals vor allem in der Boulevardpresse geprägte Bild von den fanatischen Tätern mit dem irren Blick, taucht bei Hammer jetzt im SPIEGEL wieder auf, das heißt nach 26 Jahren Knast, die an niemandem spurlos vorübergehen dürften, sieht er bestätigt, was aus Klar und seinen Genossen durch Knast und BILD gemacht worden war…

„Sieht so das Gesicht eines Heilsbringers aus?“ fragt Hammer. Weshalb man gerne wissen würde, wie das Gesicht eines Heilsbringers denn aussieht? Vielleicht so wie das zufriedene Grinsen Buddhas? Oder die Leidensmiene Jesus? Oder wie Helmut Schmidt, als er sagte, damit muß jetzt Schluß sein? Oder wie das Gesicht Hammers, das im SPIEGEL leider nicht abgedruckt wurde, was interessant gewesen wäre, um die entsprechenden Vergleiche ziehen zu können. Gerne hätte ich jedenfalls von einem offenkundigen Fachmann für Anatomie erfahren, wie ein Gesicht auszusehen habe, das von „zukünftigen Paradiesen der Menschenliebe“ kündet.

Hannah Arendt, Alexis de Tocqueville – und Schuldbewußtsein und Reue im politischen Raum
Hammer, so erfährt man immerhin auch noch, hat keine guten Erinnerungen an die RAF. Schön. Muß man ja auch nicht. Die politischen Hülsen, die Klar heute noch produziert, sind in der Regel nichtssagend und nicht mehr als Selbstverständigungsprosa, das heißt unbedeutend. Wenn man Lust hat, kann man sich im Unterschied zu Hammers Mimikdeutungen jedoch inhaltlich damit auseinandersetzen. Ulrich Magnus Hammer genügt jedoch bereits „Form und Klang“ der Sprache, um in „Sprachlosigkeit“ zu verfallen. „Mit Entsetzen höre ich ihn sagen: ‚Schuldbewußtsein und Reue sind im politischen Raum keine Begriffe‘.“ Tja, und da, würde ich mal sagen, hat Christian Klar doch recht, und er hat mit dieser Aussage immerhin Hannah Arendt, Alexis de Tocqueville und andere bedeutende politische Denker auf seiner Seite, die nie auf die Idee gekommen wären, für den politischen Diskurs derartig aufgeladene Begriffe aus der Psychologie für tauglich zu halten.

Die Leute, die die „eisige Kälte einer Sprache“ beklagen, werfen gerne die Begriffsnebelmaschine an und schwadronieren vom „Mitgefühl für die Menschen“ und „wirklichen Visionen“, weil sie nicht in der Lage sind, rational und nüchtern zu argumentieren. Vernunftbegabte Menschen aber wollen kein „Mitgefühl“, sondern Gerechtigkeit, und wer sie mit „Visionen“ belästigt, hat in der Regel nur vor, sie für andere Zwecke einzuspannen. Hammer vermißt ein Wort des Bedauerns, eine Geste wie im Mittelalter der Kniefall, in einer Demokratie, die diesen Namen verdient, spielt genau das keine Rolle mehr, weil mit der Strafe die Schuld beglichen wurde. Es war der Versuch, die Willkür abzuschaffen, die in den Begriffen Reue, Schuld und Sühne enthalten ist. Okay, Hammer hat vermutlich keinen größeren Schaden angerichtet, er hat niemanden erschossen, höchstens genervt, und vermutlich würde er Klar, wenn er die Macht dazu hätte, auch nicht länger im Knast schmoren lassen, aber er würde sich nicht mit ihm an einen Tisch setzen. Und da muß man sagen, da hat Christian Klar aber Glück gehabt.

Ulrich Magnus Hammer war Mitte der siebziger Jahre Percussionist für die Band Ton Steine Scherben und lebt heute laut Auskunft des SPIEGEL als Schriftsteller in München. Was nur beweist, daß weder eine solche Vergangenheit noch ein solcher Beruf vor Blödheit schützt.

(Der Beitrag ist vorab in der Tageszeitung junge Welt und auch im Blog des Verfassers)

 

12 Kommentare zu “Das Heilsbringergesicht – ein Hammer-„Essay“ im SPIEGEL klärt auf über Christian Klar”

  1. Aufwachen sagt:

    Guter Beitrag, so in der Art waren auch meine Gedanken als ich diesen Essay gelesen hab. Aber wenn ich mir die Definition von Essay bei Wikipedia anschaue kann man dem Herrn Hammer noch nicht mal Vorwürfe machen. Trotzdem hätte ich so etwas von einem Ex-Scherben Mitglied echt nicht erwartet.. Die damaligen Lieder sprechen ne ganz andere Sprache.. Hier was interessantes dazu:

    http://de.youtube.com/watch?v=sa0rpCgVLs4

    Friedliche Grüße

  2. Tim sagt:

    Kritische Auseinandersetzung mit Artikeln aus Mainstream-Medien finde ich gut. Demontieren mittels fundierter Argumente finde ich gut.

    Texte, in denen anderen „Blödheit“ und „Dämlichkeit“ bescheinigt wird, ohne das der Autor wirklich was weiß über deren Intelligenz, finde ich scheiße.

    Erinnert mich irgendwie an meinen Mathe-Pauker von vor 25 Jahren.

    Ich sag‘ deswegen mal: Ziemlich schlechter Beitrag. Mag keine Oberlehrer …

  3. tela sagt:

    Ich finde den Artikel sehr spannend und die Kritik am Text vom Autor Hammer berechtigt.

    Was ich schwierig finde in dem Zshg. ist, dass Klaus Bittermann dem Spiegel-Autor Dämlichkeit unterstellt. Dies wäre nicht notwendig gewesen. Zumal der Text dadurch an Sachlichkeit verliert. Vielleicht wollte Herr Bittermann seinem Text etwas Pffefer verpassen, indem er den Spiegelautor degradieren lässt. Richtig würzig wurde das Ganze aber nicht!

    @Aufwachen: super Hinweis das Video auf Youtube! Danke!

    Grüße

  4. wintzingerode sagt:

    Ich gebe tela in jeder hinsicht Recht und hätte mir auch gewünscht, wenn der Autor auf die Wortwahl „Blödheit oder Dämlichkeit“ verzichtet hätte. Was einem einfallen könnte (insbesondere nach dem „Genuss“ des youtube-Videos), wäre so etwas wie: „wenn Nutten alt werden, werden sie gewöhnlich fromm“ 😉

  5. Kirschblüte sagt:

    Ich hätte mir gewünscht, dass die Fakten nicht duch Dummeheitsbescheinigungen vermittelt werden. So kommt am ende doch nur wieder Meinungsjournalismus raus.

  6. ilia Papa sagt:

    @ Tim sagt: 09. Januar 2009 um 01:27 zu, etwas verkürztes Zitat:
    ‚Kritische Auseinandersetzung mit Artikeln aus Mainstream-Medien finde ich gut.
    Demontieren mittels fundierter Argumente finde ich gut.

    Texte, in denen anderen ‚Blödheit‘ und ‚Dämlichkeit‘ bescheinigt wird, ohne das der Autor wirklich was weiß über deren Intelligenz, finde ich scheiße. …‘

    ilia Papa: Lieber Tim, ich mag auch keine Oberlehrer und die Quadratur-des-Kreises-ich-BIN-intelligent-Sülzer! Du?

    Ich mag also auch keine so called ‚Intelligenzen‘, keine ‚Revoluzionäre‘, keine ‚Scheinschangerschaften‘ und auch ABSOLUT keine egal woher-‚Terroristen‘ und ihre Individual-‚Ideologien‘, wie der SPIEGEL-Hammer auch einer ist und hat, offensichtlich und Hammer-hart …

    So. Und was ist nun Ziel meiner sehr beleidigenden Ansprache zum eiligen Samstag, dem der noch eiligere Sonntag und die BILD am Sonntag folgt?

    Nun ja, ich sehe mir also das Video auf YouTube an, höre das Gequake vom MEGA-Hammer, dann die Axt in seiner Hand, … kurzes Innehalten meinerseits, dann … oh, D-I-E ERLEUCHTUNG: Es ist ein Filmstudio, der BeHÄMMERT-Typ hat ‚plötzlich‘ eine Axt in der Hand und Ha[e]mmert auf den jungfräulich-unschuldigen Tisch ein, aua, aua, … Wo kommt denn die Axt so ‚plötzlich‘ her? Hmmm, wenn da man bloß keine ‚ideologische‘ voll-inszeniert Verarsche bei war, ne??!

    Gott sei Dank hast Du keine Ahnung, wie ‚intelligent‘ ich ‚einzuschätzen‘ wäre oder bin, wenn es sein müßte: Ich bin nämlich absolut BLÖD, Mann!

    Und wenn ich das real bin, dann lieber SPIEGEL-Blog, gibs mir: bitte nach meine ‚Blödheit‘ und ‚Dämlichkeit‘ publik, schlag mich mit dem Hammer oder der Axt des letzten-Abenmahl-Tisches, … ich habe es verdient an das Frankfurter-Turnschuh-Träger-‚GRÜNE‘-Autobahn-Kreuz des Lebens genagelt zu werden. Amen!

    … so then, let’s beginn!

  7. Torsten sagt:

    Man merkt schon: auch die Leserschaft (ausgenommen der merkbefreite Papa mit den schwülstigen Schwadronaden) ahnt, dass hier persönliche Schmutzwäsche gewaschen wird.

    Ist der Text des Essays (ich empfehle ebenfalls, die Definition des Begriffes mal nachzuschlagen – und „Polemik“ gleich dazu) daneben, moralisch fragwürdig, unangenehm? Sicher ist er das. Ist er FALSCH, UNWAHR, oder IRREFÜHREND? Nein. Und damit ist mir nicht ganz klar, was der Blog-Autor hier belegen will – außer, dass ihm wieder ein SPIEGEL-Beitrag nicht passt.

    Die Artikel über die FEHLER des SPIEGEL, sie lassen auf sich warten…

  8. Torsten sagt:

    Ach so, ja: ich finde es hübsch und angemessen, an dieser Stelle auch noch den Titel eines kürzlichen Beitrages in Erinnerung zu rufen: „Klarstellung: SPIEGELblog kommt es allein auf die Fakten an“

  9. SPIEGELblog sagt:

    Torsten,

    danke, dass Sie so rege an SPIEGELblog teilnehmen. Wir möchten Sie jedoch darum bitten, dies in sachlicherer Form zu tun.

    In diesem Zsh. möchten wir Sie erneut darauf hinweisen, dass unter “Über SPIEGELblog” (http://www.spiegelblog.info/about) exakt skizziert ist, was wir aufzeigen möchten:

    “Schaut man den SPIEGEL und dessen Ableger genauer an, so zeigt sich, dass viele Berichte faktisch nicht haltbar sind oder kritikwürdige Aussagen transportieren. Auch kommt es vor, dass der SPIEGEL zentral wichtige Informationen außer Acht lässt.”

    Dabei kommt es uns, worauf Sie zu Recht erneut aufmerksam machen, allein auf die Fakten an. Wenn Sie also konkret aufzeigen können, was an dem Beitrag von Klaus Bittermann oder sonst einem Beitrag auf SPIEGELblog faktisch nicht korrekt ist, so können Sie uns dies gerne wissen lassen.

    Wenn Sie dazu nicht in imstande sind, möchten wir Sie bitten, von Kommentaren abzusehen.

    Dass Sie es nicht als schwerwiegenden Fehler ansehen, wenn ein SPIEGEL-Essayist in einer Kritik an einer Person – so kritisch diese auch zu sehen ist- auf nazistische Methoden zurückgreift, indem er zum zentralen Gegenstand seiner Kritik äußerere Merkmale macht – das lässt Ihre geistige Grundhaltung aus unserer Sicht in einem fragwürdigen Licht erscheinen.

    Vor diesem Hintergrund verwundert es auch nicht mehr, dass Sie die Medien inklusive SPIEGEL nicht als “vierte Macht” begreifen.

    Dazu ein weiterer Tipp: Schauen Sie doch mal in das Buch “Der SPIEGEL-Komplex”. Vielleicht öffnet Ihnen das ja die Augen. Auch dort ist nämlich davon die Rede, dass der SPIEGEL Teil der “vierten Gewalt” ist und sein “Kerngeschäft die Recherche von Missständen” darstellt bzw. darstellen sollte.

    SPIEGELblog-Team

  10. Hektor sagt:

    Ein Artikel ganz in der Tradition der SAntifa…

    Statt des korrekten Begriffes „Gefängnis“ ist es der „Knast“, welcher „auszehrt“ und in welchem der arme Herr Klar „schmort“.

    Eine Sprache wie zu Hochzeiten des Stürmer.

    Wen wundert es da, wohin das Vaterland driftet.

  11. cruiser sagt:

    Ich kann dem SPIEGELblog nur zustimmen, denn ich hatte einen sehr ähnlichen Gedankengang und Eindruck, als ich die „Einführung“ gelesen hatte.
    Ich bin hier zum ersten mal und dachte erst, diese Aussagen kämen vom SPIEGELblog selbst, dann hätte ich denen ähnliches geschrieben.
    Denn der SPIEGELblog offenbart mir nicht welche Stellung man zum Spiegel selbst einnimmt.

    > das heißt nach 26 Jahren Knast

    Ich war nie im Knast ;), doch fände ich das Wort „Gefängnis“ im Zusammenhang mit „26 Jahren“ keinesfalls treffender.
    Man sollte die Kirche auch mal im Dorf lassen können und nicht auf vermeintlich harmlosen Wortdeutungen herumreiten.

  12. Ulrich Magnus Hammer sagt:

    Vielen Dank, für die engagierten Kommentare. Das ist alles sehr intelligent. Sehr schön auch wie Ursachen und Wirkungen in den richtigen Zusammenhang gestellt werden. Auch sehr schön finde ich, wie das alles geschrieben ist. Da spürt man noch so richtig die schöne alte K Gruppen Kultur. Ach, wie ich das vermisse! Stilistisch kann man da als Autor noch eine Menge lernen.
    Liebe Grüße an eine aussterbende Rasse, U.M.Hammer
    (Tatsächlich interessiert sich niemand dafür, was ich sage oder schreibe und wer das wie kommentiert. Gott sein Dank leben wir in einer anderen Zeit und die Protagonisten der K-Gruppen Welt sterben langsam aus)

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