Pharmaindustrie: Rekordstrafen und Raffgier sind dem SPIEGEL keine Meldung wert – Erfolgsmeldungen der Konzerne dagegen schon

  17. Februar 2009, von T. Engelbrecht

„Der medizinische Berufsstand ist von der Pharmaindustrie gekauft – in Bezug auf Praxis, Lehre und Forschung.“
Arnold Relman, Harvard-Professor und Ex-Chef des NEJM

Milliardenstrafe für Eli Lilly - für die New York Times ein Scoop, für den SPIEGEL nicht berichtenswert...

Milliardenstrafe für Eli Lilly - für die New York Times ein Scoop, für den SPIEGEL nicht berichtenswert...

Wissen SPIEGEL-Leser wirklich mehr? Wenn es um skandalöses Verhalten von Pharmariesen geht, offenbar nicht. So wurde vor kurzem bekannt, dass sich Top-Manager des US-Konzerns Eli Lilly für 2008 mal so eben knapp 50 Mio. $ (= knapp 40 Mio. €) an Erfolgsprämien gegönnt haben, obwohl im selben Geschäftsjahr einen Verlust von 2 Mrd. $ eingefahren wurde. Doch weder für den SPIEGEL noch SPIEGEL Online war dies berichtenswert. Dasselbe gilt für die Nachricht, dass sich Eli Lilly nach jahrelangen Auseinandersetzungen wegen illegaler Vermarktungsmethoden für das Schizophrenie-Mittel Zyprexa im Januar bereit erklärt hatte, eine Strafe von 1,4 Mrd. $ zu zahlen (die Suchbegriffe „Eli Lilly“ und „Zyprexa“ ergeben bei SPIEGEL Online keinen entprechenden Treffer, und auch eine Suche bei Google mit „der spiegel eli lilly zyprexa“ bleibt erfolglos).

... dass Eli Lilly Inclome schluckt, will SPIEGEL Online seine Leser aber unbedingt wissen lassen

... Dass Eli Lilly die Biotech-Firma Inclome schluckt, will SPIEGEL Online seine Leser aber wissen lassen

Die Meldung ist so heiß, dass die New York Times sogar einen Scoop – eine exklusive Meldung – daraus machte, die von vielen Medien wie CBS News oder auch vom Standard aus Österreich aufgegriffen wurde.

Historische Strafe von 1,4 Mrd. $ für Eli Lilly – für den SPIEGEL nicht erwähnenswert
Die enorme Relevanz der Nachricht auch weit über die USA hinaus wird nicht nur verständllich, wenn man bedenkt, dass es sich bei den 1,4 Mrd. $ zu diesem Zeitpunkt um eine Rekordstrafe und somit eine historische News handelte. Auch richten sich die Vorwürfe gegen einen Pharmakonzern, der weltweit und auch in Deutschland aktiv ist und deren  Methoden alles andere als einzigartiger Natur sind.

So kündigte, wie etwa das Handelsblatt Anfang Februar meldete, der britische Pharmakonzern Glaxo-Smithkline zusätzliche Belastungen von rund 400 Mio. $ im Zusammenhang mit Ermittlungen der US-Behörden wegen unerlaubter Vertriebsmethoden an. Branchenführer Pfizer hatte wenige Tage zuvor sogar die Rückstellung von 2,3 Mrd. $ für entsprechende Verfahren bekanntgegeben. Darüber erfährt man vom SPIEGEL aber offenbar auch nichts.

Dabei wird, wie etwa eine Untersuchung des britischen Unterhauses aufzeigt, in Europa im Prinzip nicht anders vorgegangen. Und es lässt einen geradezu erschaudern, wenn man sich vergegenwärtigt, was Pharmariesen wie Eli Lilly konkret verbrochen haben. So hat Eli Lilly offenbar mittels krimineller Marketingmethoden sein Medikament Zyprexa gepusht – ein Präparat, mit dem der Konzern allein 2007 knapp 5 Mrd. $ umgesetzt hat und damit so viel wie mit keinem anderen Produkt.

Was zählt, ist konsequente mediale Aufklärung darüber, wie wenig sich die Pharmariesen um unsere Gesundheit scheren
Dabei hat Eli Lilly mit Hilfe von Tausenden Vertriebsakteuren jahrelang Ärzte dazu ermuntert, Zyprexa Pflegekindern, Patienten mit Schlafstörungen und Menschen in Altersheimen zu verschreiben – also Gruppen, für die das Medikament gar nicht zugelassen und für die die Einnahme extrem riskant war. Zum Beispiel hatte Eli Lilly, wie aus Gerichtsdokumenten hervorgeht, Geriatriker (Altersmediziner) dazu gedrängt, Bewohnern in Altersheimen mit Zyprexa ruhig zu stellen, um so den Pflegeaufwand zu reduzieren – was besonders unverantwortlich ist, wenn man bedenkt (wie auch die New York Times schreibt), dass Zyprexa das Risiko eines plötzlichen Herztods, einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung oder auch von Demenz erhöht.

Wenn man so etwas derzeit – trotz aktuellem Anlass – nicht für berichtenswert hält, so stellt sich aber doch die Frage, warum SPIEGEL Online aus Unternehmensübernahmen von Pharmagiganten Artikel strickt. So war dem Web-Portal im Oktober 2008 die Erfolgmeldung von Eli Lilly (siehe Screenshot), dass sich der Pharmakonzern im Bieterwettstreit durchsetzen und dadurch das Biotech-Unternehmen Imclone übernehmen konnte, ein Artikel wert. Und auch Ende Januar gab SPIEGEL Online die Nachricht, dass Pfizer seinen Konkurrenten Wyeth schlucken will, an seine vielen Leser weiter. Doch solche Nachrichten sind genau genommen in erster Linie für Aktionäre oder anderen Personen, die den Konzernen nahe stehen, wirklich relevant. Und zumindest sind sie für die Gesellschaft bzw. für die Patienten – also tendenziell für uns alle – weit weniger von Bedeutung als die erwähnten Skandalmeldungen. Denn für die Patienten zählt vor allem, dass die Medien konsequent darüber aufklären, wie sehr bzw. wie wenig sich die Pharmariesen um unsere Gesundheit scheren.

 

4 Kommentare zu “Pharmaindustrie: Rekordstrafen und Raffgier sind dem SPIEGEL keine Meldung wert – Erfolgsmeldungen der Konzerne dagegen schon”

  1. Frans von Hahn sagt:

    Die Nicht-Meldungen sind immer die interessantesten Meldungen.
    Während sich die internationale Presse über den H5N1 Vorfall durch Baxter auslassen, schweigt der Spiegel.

    http://www.freitag.de/community/blogs/frans-von-hahn/laborzwischenfall—knapp-an-der-katastrophe-vorbei

  2. Kurzfassung « Antidepressiva und Amokläufe sagt:

    […] Spread the word, spread the truth: „Was zählt, ist konsequente mediale Aufklärung darüber, wie wenig sich die Pharmariesen um unsere Gesundheit scheren“ &#8211 spiegelblog.net […]

  3. Stephan Schimpf sagt:

    Wir sollten die Logik, die hinter dem herkömmlichen medizinischen System steht, einmal von Grund auf hinterfragen. Am Anfang steht zumeist eine Form der Diagnostik. Dieser Vorgang ist übrigens nicht zwangsweise an das Vorliegen einer Beschwerdesymptomatik verknüpft. Allein die Abweichung bestimmter Laborwerte von der sog. Norm führt bereits zur Erstellung dieser Diagnose und somit zum offiziellen Vorliegen einer Erkrankung. Ist dies erst einmal der Fall, so folgt fast immer eine medikamentöse Therapie. Dieses auf den ersten Blick eventuell noch nachvollziehbare System missachtet jedoch meist einen extrem wichtigen Faktor: die Eigenverantwortung und Mitarbeit der betroffenen Menschen. Solange nicht jeder Therapie primär eine Anpassung der Lebensweise z.B. in Form von Ernährungsumstellung und regelmäßiger Bewegung gestellt wird, wird sich unser Gesundheitssystem nicht verändern.

  4. Was, wenn Medikamente die Ursache für die schlimmsten Amokläufe dieses Jahrzehnts sind? | rsvdr-Rechtsangelegenheiten-Deutsches-Reich sagt:

    […] Spread the word, spread the truth: „Was zählt, ist konsequente mediale Aufklärung darüber, wie wenig sich die Pharmariesen um unsere Gesundheit scheren“ – spiegelblog.netLinks: […]

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