SPIEGEL Online offenbart in Sachen Guantánamo ein Rechtsverständnis, das an das der Bush-Regierung erinnert

  24. Januar 2009, von Sven Buechler

In eine seiner ersten Amtshandlungen hat Barack Obama die Schließung von Guantánamo angeordnet. Ein mehr als überfälliger Schritt, denn bei den Militärtribunalen handelt es zweifelsohne nicht um rechtsstaatliche Verfahren. So hat nicht nur Morris Davis, Ex-Chefankläger im US-Lager Guantánamo, der US-Regierung vorgeworfen, die Prozesse manipuliert zu haben, auch wurde die Unrechtmäßigkeit der Tribunale vom Supreme Court, dem höchsten Gericht der USA, festgestellt.

Die Menschen, die in Guantánamo einsitzen, können also im Grunde nicht einmal guten Gewissens als Verdächtige bezeichnet werden. So hat auch eine an der Rechtsfakultät der Seton Hall University erarbeitete Studie ermittelt, dass die meisten Häftlinge in Guantánamo schlicht unschuldig sind, wie etwa auch die ehemalige Bill-Clinton-Beraterin Naomi Wolf in ihrem Buch „Wie zerstört man eine Demokratie“ schreibt.

„Harte Beweise“? Wie das, wenn die Tribunale nicht rechtsstaatlich waren?
SPIEGEL Online
hingegen kommt in seinem Artikel „Steinmeier und Schäuble wollen Guantanamo-Streit beenden“ zu einer Rechtsauffassung, die irgendwie an die der Bush-Regierung erinnert. So heißt es in dem Beitrag, in dem es um die Auseinandersetzung geht zwischen den beiden Ministern über die Aufnahme von Guantanamo-Häftlingen, die nicht in ihre Heimatländer zurück können:

„Neben rund 40 Personen, gegen die wie im Fall des 9/11-Drahtziehers Chalid Scheich Mohammed harte Beweise für terroristische Aktivitäten vorliegen und die vermutlich vor Militärgerichte in den USA und vor normale US-Richter gestellt werden, gibt es mehr als 100 Insassen, deren Unschuld mehr oder minder bewiesen ist.“

Insgesamt also, behauptet SPIEGEL Online, lägen gegen rund 40 Guantánamo-Insassen „harte Beweise“ für terroristische Aktivitäten vor. Doch wie sollen die vorliegen können, wenn, wie gesagt, die Militärtribunale nicht rechtsstaatlich waren? Sollte darüber, wie „hart“ die Beweise wirklich sind, nicht besser erst einmal ein ordentliches Gericht entscheiden? Bestenfalls könnte man berichten, dass die Militärankläger meinten, genug harte Beweise zu haben, um die aus ihrer Sicht Verdächtigen anklagen zu können. Und ob eine solche Anklage überhaupt Aussicht auf Erfolg hat bzw. aufgrund der vorliegenden „Beweise“ überhaupt zugelassen wird, das muss sich erst noch zeigen.

Schlussfolgerung von SPIEGEL Online weder juristisch noch journalistisch sauber
Dies gilt streng genommen auch für Chalid Scheich Mohammed, von dem SPIEGEL Online ja meint, er sei der „Drahtzieher“ der Anschläge vom 11. September 2001. Zwar hat er vor dem Militärtribunal in Guantánamo so ziemlich alles gestanden, was die Bush-Regierung Al-Quaida seit langem vorwirft. Doch wohl kein rechtsstaatliches Gericht der Welt würde ein solches Geständnis anerkennen.

So geht nicht nur Hans-Christian Ströbele von den Grünen davon aus, dass die Aussagen von Scheich Mohammed unter Folter zustande gekommen sind. „Er hätte wohl auch gestanden, der Satan persönlich zu sein“, sagte Ströbele der Süddeutschen Zeitung.Chalid Scheich Mohammed als „9/11-Drahtzieher“ zu bezeichnen, wie es SPIEGEL Online tut, ist also weder juristisch noch journalistisch sauber und kommt daher einer Vorverurteilung gleich – auch wenn man der festen Auffassung ist, dass er ein Terrorist ist. Allenfalls hätte SPIEGEL Online ihn „mutmaßlichen 9/11-Drahtzieher“ nennen können.

Nicht so sicher ist sich SPIEGEL Online demgegenüber bei der Beschreibung der Häftlinge, die nicht vor Gericht gestellt werden sollen, sei ihre Unschuld doch nur „mehr oder minder bewiesen“. Doch will uns SPIEGEL Online damit ernsthaft mitteilen, dass nicht rechtsstaatliche Tribunale überhaupt etwas beweisen können? Im Grunde ist die Sache doch ganz einfach: Nach rechtsstaatlichen Prinzipien gilt „in dubio pro reo“, sprich ein Angeklagter gilt so lange als unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist.

Geschichte von Guantánamo-Insassen weckt Erinnerungen an Behandlung von Gulag-Gefangenen
Das sollte ganz besonders auch für Guantánamo-Insassen gelten. Nicht nur liegen gegen sie offenkundig keine Beweise vor, die eine Anklage rechtfertigen würden. Auch ist zu bedenken, dass etliche von ihnen nur deshalb in Guantánamo gelandet sind, weil sie in die Fänge der afghanischen Kriegsherren (Warlords), die sich im Kampf gegen die Taliban in einer „Nordallianz“ zusammengetan hatten, geraten waren. Und der Anreiz, Gefangene zu machen, war für die Warlords groß, hatten die USA doch für jeden Gefangenen eine Belohnung von 5000 $ ausgesetzt – was „in dieser Region der Welt eine beträchtliche Summe ist“, wie Naomi Wolf schreibt. Dabei „denunzierten die Warlords häufig schlicht Nachbarn, mit denen sie verfeindet waren, oder sie nannten die Namen einfacher Dorfbewohner, um die Belohnung zu kassieren“ („Wie zerstört man eine Demokratie, S. 94).

Naomi Wolf zieht, was die Behandlung der Gefangnen angeht, eine Parallele zu den Gefangenen in Stalins Gulags. Auch werden bei solchen Zustände Erinnerungen wach an Zeiten in Europa, in denen Menschen durch willkürliche Denunziationen zu Hexen abgestempelt wurden.

Der US-Schriftsteller Arthur Miller: „Die Hexenverfolgung war eine perverse Manifestation der Angst, die sich aller Klassen bemächtigte, als sich die Waage nach der Seite größerer individueller Freiheit zu senken begann. Sieht man über die offenbare Schändlichkeit des Einzelnen hinaus, so kann man sie alle nur bedauern, so wie man uns eines Tages bedauern wird.“

 

4 Kommentare zu “SPIEGEL Online offenbart in Sachen Guantánamo ein Rechtsverständnis, das an das der Bush-Regierung erinnert”

  1. mczakk sagt:

    Sehr guter Beitrag. Danke!

  2. Antiterrorist sagt:

    Nicht einen dieser Häftlinge möchte ich in Deutschland sehen!!!

  3. Jay sagt:

    Ja, nicht einen davon, ich würd lieber gern die Hälfte aller bisherigen US-Regierungen + die halbe Legislative in den Bundesgerichten der USA vor dem Europäischen Gerichtshof sehen, aber die geben sie natürlich nicht raus. In den USA steht die USA über allem, auch über eigenen Gesetzen.

  4. Tindomerel sagt:

    Oh mein Gott, das sind ja ca. 200 Leute! Die können NATÜRLICH nicht alle nach Deutschland, wo kämen wir denn da hin? Hier würde ja alles überquellen!

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