Gazprom schickt Ex-Kanzler Gerhard Schröder auf „Iran-Mission“ – doch vom SPIEGEL erfährt man darüber nichts

  22. Februar 2009, von T. Engelbrecht

Helle Aufregugung um die Reise von Ex-Kanzler Gerhard Schröder in den Iran. „Von allen Seiten hatte er sich schon vor dem Besuch harsche Kritik anhören müssen“, wie auch SPIEGEL Online gestern schreibt (siehe auch Screenshot). Grund: Schröder fügt dem Ansehen der Bundesregierung und der Bundesrepublik Deutschland schweren Schaden zu, weil er mit Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad einen Politiker treffe, der den Holocaust leugne und als „Märchen“ bezeichnet habe.

Desinformation durch den SPIEGEL
Doch so groß die Aufregung um Schröders Treffen mit Ahmadinedschad, so  sehr hat es der SPIEGEL versäumt, über den eigentlichen hochbrisanten Grund für die Reise des Altkanzlers zu berichten. Wie nämlich auf der Website der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti schwarz auf weiß – und sogar auf Deutsch – heute zu lesen ist, hat der russische Energieriese „Gazprom Schröder auf Iran-Mission geschickt“. RIA Novosti beruft sich dabei auf einen Bericht der Tageszeitung Kommersant. Demnach werde Schröder, der als Freund des Iran gilt, versuchen, die Islamische Republik dazu zu bewegen, eine Teilnahme Irans an europäischen Gasprojekten abzulehnen und sich stattdessen dem South-Stream-Projekt, an dem Gazprom beteiligt ist, zuzuwenden. Schröder vertritt hier also knallharte Wirtschaftsinteressen eines mächtigen Konzerns, in dessen beruflichen Diensten er steht. Diese Information seinen Lesern vorzuenthalten, ist eine klare Unterschlagung, um nicht zu sagen Verfälschung von Tatsachen.

Schröder und Gazprom - "nachgelagerte Bestechung"? Quelle: www.udo-leuschner.de

Statt Kritik an Schröder zu üben, hofiert der SPIEGEL den Altkanzler und Gazprom-Angestellten lieber
Zumal SPIEGEL Online allen Ernstes schreibt, Gehard Schröder würde sich zu einem „privaten Besuch im Iran aufhalten“. Hierbei vertraut das Nachrichtenmagazin blind auf das, was von Gerhard Schröder selber bzw. auch vom Auswärtigen Amt kolportiert wird. Doch dass es sich bei Schröders Reise in den Iran nicht um einen Besuch privater Natur handelt, wird selbst dann offenbar, wenn man davon absieht, dass er im Iran für Gazprom auf Geschäftsreise ist.

So fragt sich die Redaktion des Tagesspiegel, der Schröders „Gazprom-Mission“ im Übrigen auch unerwähnt lässt, ob Schröders Treffen mit Ahmadinedschad wirklich „rein privater“ Natur sein kann. Wohl kaum, denn „allein die Tatsache, dass das Außenministerium in die Reise des Ex-Kanzlers eingebunden ist, zeigt, dass die Reise sehr wohl eine gehörige Portion politischen Charakters innehat – eine Woche Urlaub auf Sylt würde Schröder sicher nicht mit dem Auswärtigen Amt absprechen“, so die Berliner Tageszeitung.

Nun, in letzter Zeit hat der SPIEGEL Altkanzler Schröder geradezu hofiert. So durfte er in der Ausgabe vom 9. Februar in einem Essay den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr schön reden – kurz nachdem er erst Ende Dezember ebenfalls in einem SPIEGEL-Essay eine Lobesarie auf Altkanzler Helmut Schmidt singen durfte (SPIEGELblog berichtete). Hält man sich deshalb etwa beim Nachrichtenmagazin mit Kritik an Schröder stark zurück?

Der SPIEGEL hat Schröders Verhalten, bei dem es „gewaltig stinkt“, schon verdrängt
Fakt ist: Der SPIEGEL leidet hier offenbar unter einem Kurzzeitgedächtnis. Noch im April 2006 lesen wir bei SPIEGEL Online, dass das Ansehen von Ex-Kanzler Gerhard Schröder „zerbröselt“. Grund: Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit hat die rot-grüne-Bundesregierung dem russischen Gazprom-Konzern noch schnell eine Milliarden-Bürgschaft gegeben – also einem Energieriesen, für den Schröder kurz nach dem Ende seiner Amtsperiode begonnen hat zu arbeiten. Dass Schröder von der Milliarden-Bürgschaft nichts gewusst haben soll, ist auch für den SPIEGEL kaum zu glauben. „Es stinkt gewaltig“, wie der SPIEGEL schreibt. Und ein Politiker, bei dem es „so gewaltig stinkt“, ist jetzt SPIEGEL-Essayist…

Wie sehr des Ex-Kanzlers verhalten „stinkt“, zeigt auch die harsche Kritik, die von vielen anderen Seiten kam. Dabei wurde sogar der Vorwurf der „nachgelagerten Bestechung“ laut. Andere sprachen von einem „zweifelhaften Job“ Schröders bei Gazprom. Gazprom sei immerhin ein Unternehmen, das „nicht gerade für bürgerliche Freiheitsrechte steht, sondern im Gegenteil – siehe den Fall Chodorkowski – auch davon profitiert, dass Leute inhaftiert werden und der russische Staat seinen starken Arm zeigt“, hieß es. Es gebe in Rußland viele Personen aus dem Medienbereich, die unter Gazprom zu leiden hätten. Zudem sei der Geschäftsführer des Pipeline-Konsortiums, Matthias Warnig, „ein Ex-Stasimajor, der zuvor zufälligerweise Wirtschaftsspionage im Bankenbereich betrieben hat und bei der Dresdner Bank tätig war“. Wie Ende Januar berichtet wurde, soll Warnig sogar einen Posten im Aufsichtsrat von Gazprom bekommen.

 

5 Kommentare zu “Gazprom schickt Ex-Kanzler Gerhard Schröder auf „Iran-Mission“ – doch vom SPIEGEL erfährt man darüber nichts”

  1. Dr. Hamid Reza Yousefi (Uni Trier) und Richard Pesstemer sagt:

    Gerhard Schröder im Iran:
    Dialog oder Krieg

    Der Besuch des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder im Iran hat in Deutschland eine heftige Auseinandersetzung ausgelöst. Warum wird diese Reise von der Führung des Zentralrates der Juden in Deutschland verunglimpft? Dies hat verschiedene Gründe, die ausschließlich geostrategischer und machtpolitischer Natur sind.

    Hier eine Stellungnahmen des Friedensforschers Hamid Reza Yousefi und des Verantwortlichen Redakteurs Tacheles-Regional Richard Pesstemer.

    Es gibt drei Erscheinungen, welche die Weltpolitik stark gefährden:

    1. die US-amerikanische und christlich-fundamentalistische Globalisierungsbestrebung nach eigenem alleinseligmachenden Muster, welche auch durch kriegerische Mittel und im Gewande der Demokratie und des Humanismus in aller Härte umgesetzt wird. Dieser verhängnisvolle Anspruch wird aber, was die Wahl von Obama zum US-Präsidenten belegt, mehrheitlich hinterfragt.

    2. der Zionismus, der einen jüdischen Gottesstaat in schillernder und moderner Form propagiert und praktiziert wird. Gegenwärtig werden die dramatischen Holocauserfahrungen von der aggressiven Variante des Zionismus ungeniert mißbraucht, um alternativlos den jüdischen Gottesstaat zu rechtfertigen. Jegliche Kritik am Zionismus und somit den Anspruch auf Alleinvorherrschaft Israels im Nahen Osten wird als „antisemitisch“ diffamiert, um einen interkulturellen, interreligiösen und politischen Dialog im Keime zu ersticken. Aber auch selbst in Israel gibt es dialogbereite Kräfte für den Brückenschlag zwischen Arabern, Palästinensern und Israelis.

    3. Islamismus, der im Namen der Religion als eine völlig verfehlte Antwort auf diese Erscheinungen reagiert bis hin zu menschenverachtenden und unentschuldbaren Terrorismus. Auch in islamischen Kulturregionen gibt es viele Menschen aus Politik, Kultur und Wissenschaft, die bemüht sind, einen umfassenden Friedensdialog mit allen Seiten in Gang zu bringen.
    Deshalb kann mit Recht darauf hingewiesen werden, daß diese Triade der Gewalt dazu beigetragen hat, daß viele nicht mehr zwischen dem Amerikanismus und Christentum, zwischen dem Zionismus und Judentum und zwischen dem Islamismus und Islam unterscheiden. Diese dialogunwilligen und herrschaftsorientierten Ideologien fürchten einen offenen Dialog wie der Teufel das Weihwasser.

    Wer die Geschichte kennt, kann bestätigen, daß auch Menschen wie Willy Brandt, die Dialoge mit dem Osten angestrebt haben, massiv beschimpft worden sind. Was wollte Brandt? „Wandel durch Annäherung“. Mehr nicht. Ein Ergebnis dieser Bemühungen war die allmähliche Einheit Europas. Heute gehört Brandt zu Recht zu den Friedensfiguren Europas. Er verfolgte einen Dialog nach außen, um die Verhältnisse zwischen den Staaten zu bessern. Auch mit dem vermeintlichen Feind muß also geredet werden. Das ist die einzige Möglichkeit, um dauerhafte Frieden herbeizuführen.

    Nun ist der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder als Privatmann aufgrund einer Einladung des Direktors des Instituts für Neurochirurgie in Hannover, Prof. Dr. Dr. h.c. Madjid Samii in den Iran gereist. Er verfolgt unterschiedliche Ziele, die nicht politischer Natur sind, sondern wissenschaftlicher und geschäftlicher. Dazu gehören vordergründig eine Rede vor der iranischen Industrie- und Handelskammer und die Teilnahme an der Gründungsveranstaltung eines neurologischen Zentrums im Iran, das Samiis Namen trägt. Weil Schröder im Iran ein hohes politisches Ansehen genießt, will er auch mit der politischen Führung des Landes über mögliche Wege aus der Krise beraten. Das ist eine ehrenvolle Sache.

    Die zionistische Führung des Zentralrates der Juden in Deutschland beansprucht alle in Deutschland lebenden Juden zu vertreten. Diese Führung hat massiv versucht durch die Beeinflussung der Medien die Reise des ehemaligen Bundeskanzlers in den Iran, mit dem Hinweis, daß ein Dialog mit einem Holocaustleugner nicht zu führen sei, zu verhindern. Dabei wissen sie, daß Ahmadinejad und die Führung in Teheran in Wahrheit den Holocaust und das Existenzrecht Israels nicht in Abrede gestellt hat. Die Ahmadinejads Ansichten im Original belegen dies. (Siehe unten im Anhang)

    Allerdings stellt Ahmadinejad die provokant erscheinende Frage, warum Palästinenser unter den Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges, einschließlich des Holocausts derart leiden müssen. Der Besuch Schröders im Iran und sein Gespräch mit Ahmadinejad stellt deshalb in den Augen der zionistischen Führung des Zentralrates der Juden ein unerhöhten Tabubruch dar. Der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan J. Kramer, behauptet in der in Hannover erscheinenden Neuen Presse, Herr Schröder füge dem Ansehen der Bundesregierung und der Bundesrepublik Deutschland schweren Schaden zu. Schröder unterstütze mit einem Treffen das „Regime“ im Iran und den „Diktator“. Schröder solle „im Sinne der Menschenrechte“ besser auf das Treffen verzichten, sagt der Sprecher des Zentralrates.

    Viele demokratische Bürger wissen inzwischen aber, daß Begriffe wie Menschenrechte, Freiheit, Toleranz, freie Marktwirtschaft und Demokratie in solchen Debatten als Herrschaftsinstrumentarium zur Anwendung kommen. Dadurch wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
    Wir halten die ständigen Interventionen der Führung des Zentralrats für untragbar. Hierunter leiden auch die jüdischen Mitbürger, welche eine Politik der Dissonanz, wie sie vom Zentralrat gepflegt wird, nicht teilen. Die politische Korrektheit gegenüber dieser geistigen Besatzungsmacht, welche die Innen- und Außenpolitik des Landes mitbestimmt, bedeutet eine Einschränkung der Meinungsfreiheit.

    Auch wir haben mit dem politischen System im Iran grundsätzliche Probleme – dies bedeutet nicht, daß wir mit der Innen- und Außenpolitik in Deutschland uneingeschränkt einverstanden wären –, aber einen Verteufelungsdiskurs gegen den Iran zu hegen, ist unverantwortlich und zutiefst undemokratisch, da die Folge hiervon nur Krieg sein wird. Afghanistan und Irak sind unvergeßliche Beispiele dieser kriegerischen Mentalität. Aus diesem Grunde halten wir die Reise des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder für notwendig, ja sogar für unverzichtbar, weil er damit den Weg des Dialogs sucht, der manchmal sehr schmerzlich ist.

    Wenn der Zentralrat der Juden in Deutschland und in der westlichen Welt ernst genommen werden will, muß er bei der Suche nach gemeinsamen Lösungen, den Weg des Dialogs mit den vermeintlichen Feinden einschlagen. Wir können die Entwicklungen im Nahen Osten, Irak und Afghanistan nicht mit zweierlei Maß messen, was de facto geschieht. Der Einsatz für Frieden zwischen Israel und Palästina wäre sicher ein lohnenswerteres Ziel für den Zentralrat der Juden in Deutschland, als einen Kurs der Konfrontation gegen alle diejenigen aufzunehmen, die mit dem Iran in – wie auch immer geartete – Beziehungen treten.
    Wer die Entwicklungen im Nahen Osten und überall in der Welt mit zweierlei Maß messen will, der sucht nur Konfrontation und Krieg.

    Dr. Hamid Reza Yousefi
    und Richard Pesstemer

    Die Originalrede von Herrn Ahmadinejad zum Thema Holocaust
    http://www.youtube.com/watch?v=gUaN7meqlIk
    http://www.youtube.com/watch?v=ykd-syzZ4ZY&feature=related

  2. arne fink sagt:

    Vielen Dank für den spannenden und aufklärenden Beitrag zu Besuch von Gerhard Schröder im Iran.

    Ich finde die Berichtserstattung vom Spiegel diesbezüglich sehr dünn. Nun, wie soll der Spiegel kritisch darüber berichten können, wenn das Blatt immer öfters den Altkanzler sogar als Gastautor im Heft drinnen hat? Besteht da noch die Chance für Differenzierung und kritische Auseinandersetzung? Ich denke nicht. Und das ist die logische Konsequenz, wenn Kumpanei zw. Politik und Journalismus stattfindet. Darunter leidet in diesem Fall das Image und die Glaubwürdigkeit des Spiegels stark. Aber das scheint in der (Chef)Redaktion keiner zu merken.

  3. stella märtens sagt:

    Ist das nicht peinlich? Dass ein Blogger durch seine Recherche den richtigen Grund für Schröders Besuch im Iran findet, aber der Spiegel und Co. nicht in der Lage sind, auf diese Quelle zu kommen! Das ist ein Armutszeugnis für den deutschen Journalismus oder ein Zeichen für bewusste Dessinformation bzw. Desinteresse bei der Berichterstattung zu diesem brisanten Thema.

    Dass Schröder nicht einfach so privat in den Iran fährt, kann man sich doch denken, aber dass kein Journalist beim Spiegel versucht hat, dahinter zu kommen, welchen Grund tatsächlich der Altkanzler dazu haben könnte, finde ich fast besorgniserregend!

    Aber es ist doch alles nicht so schlimm: Immerhin war die heutige Berichtserstattung bei Spiegel Online über die Oscar-Nacht, mit zahlreichen Bildern, ganz nett. Über Boulevard kann das Magazin anscheinend noch ganz ok berichten. Vielleicht eine Art Gala für Intellektuelle?

  4. julianus sagt:

    Noch peinlicher wird’s, wenn man dann feststellt, dass die gesamte deutsche Presselandschaft den Auftraggeber des Teherantrips, nämlich Gazprom, nicht erwähnt. Auch die deutsche „Qualitätspresse“ muss sich von Laienkommentatoren auf ihre kognitiven Defizite hinweisen lassen. Dass Schröder im Iran definitiv gegen europäische (= deutsche) Interessen zwecks Energieimportdiversifikation zugunsten russischer Interessen agiert hat, wird kollektiv verschweigen – oder setzt man Schröders Abhängigkeit inzwischen als allseits bekannt voraus??

  5. classless sagt:

    Der Spiegel hat sich nach drei Jahren wieder von Ahmadinedschad interviewen lassen. Schön aufgemacht, in einem Heft, dessen Titelbild neben dem bedeutendsten Antisemiten der Welt eine Darstellung von Judas als Verräter an Jesus Christus zeigt, kann der iranische Präsident passend zum Osterfest die deutschen Journalisten darüber ausfragen, warum sie sich die jüdisch-amerikanische Sicht der Dinge aufzwingen lassen…

    http://www.classless.org/2009/04/12/ahmadinedschad-glaubt-ans-deutsche-volk/

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