Wie SPIEGEL Online den Schmu mit den Arbeitslosenzahlen kolportiert

  28. Mai 2009, von T. Engelbrecht

„Vergleicht man die aktuellen Zahlen der ‚offiziell‘ Arbeitslosen (3.458.000) mit der Zahl der tatsächlichen Leistungsbezieher von Arbeitslosengeld I oder Arbeitslosengeld II (5.958.000), so wird deutlich: Die offizielle Statistik vermittelt ein völlig falsches Bild.“
Claudia Winterstein, FDP, in einer heutigen Presseerklärung

Der SPIEGEL geriert sich immer wieder als ein Blatt, das das Gefasel der Bundesregierung kritiklos weiterträgt. Für Angela Merkel wird regelrecht Hofberichterstattung betrieben (siehe SPIEGELblog-Bericht) und Wirtschaftsminister Guttenberg ist für den SPIEGEL ein Politstar (siehe SPIEGELblog-Bericht). Und selbst wenn es um die Arbeitslosenzahlen geht, gibt sich das Nachrichtenmagazin völlig unkritisch, um nicht zu sagen uninvestigativ. Da lesen wir heute auf SPIEGEL Online den Jubelartikel „Frühjahrsaufschwung: Arbeitslosenzahl sinkt deutlich“ (siehe Screenshot). Darin wird behauptet: „Aufschwung am Jobmarkt: Die Zahl der Erwerbslosen ist im Mai auf 3,5 Millionen gesunken, die Arbeitslosenquote ging auf 8,2 Prozent zurück.“

SPIEGEL Online verschweigt, dass die Zahl der Leistungsbezieher in Wahrheit bei fast 6 Millionen liegt
Tatsächlich jedoch liegt die Zahl der Leistungsbezieher bei fast 6(!) Millionen – also fast doppelt so hoch wie vo SPIEGEL Online unter Berufung auf die Angaben der Agentur für Arbeit angegeben. Nicht erfasst werden (von der Zahl von knapp 3,5 Millionen Arbeitslosen) nämlich zum Beispiel alle Personen, die an „Maßnahmen der Arbeitsförderung“ teilnehmen (Ein-Euro-Jobs, Weiterbildung, Trainingsmaßnahmen, Vermittlung durch Dritte oder Vorruhestand).

SPIEGEL Online schreibt zwar, dass die „deutliche Verbesserung zum Teil auf einer Statistikänderung beruht“, doch dass dadurch in Wahrheit fast 6 Millionen Menschen in diesem Land arbeitslos sind, das steht in dem Artikel nicht und geht aus ihm auch nicht annähernd hervor. Zumal die von SPIEGEL Online gewählte Artikelüberschrift „Frühjahrsaufschwung: Arbeitslosenzahl sinkt deutlich“ keinen Sinn macht, wenn das Nachrichtenportal es mit der Kritik an den verbogenen Statistiken wirklich ernst gemeint hätte.

Dass die von der Agentur für Arbeit genannten (und Medien wie dem SPIEGEL kolportierten) Arbeitslosenzahlen der reine Schmu sind, darauf macht auch die FDP-Bundestagsabgeordnete Claudia Winterstein in einer heutigen Presseerklärung aufmerksam. Winterstein hatte bereits 2008 gegenüber der FAZ kritisiert, dass die wahre Zahl der Arbeitslosen rund doppelt so hoch liegt wie offiziell verkündet. Winterstein: „Wer nur die [offiziell angegebene] statistische Arbeitslosigkeit betrachtet, schönt die Bilanz und betrügt sich selbst.“

Von der Stillen Reserve erwähnt SPIEGEL Online auch kein Sterbenswörtchen
Erschwerend kommt hinzu, dass zu diesen aktuell fast sechs Millionen Leistungsbeziehern noch die so genannte Stille Reseve (auch verdeckte Arbeistlosigkeit genannt) hinzukommt – also schätzungsweise deutlich mehr als eine Millionen Menschen, die unter bestimmten Bedingungen bereit wären, eine Arbeit aufzunehmen, sich aber bei der Arbeitsverwaltung nicht als arbeitslos melden. Die Agentur für Arbeit schrieb 2005 sogar selber, dass man „auch die ‚Stille Reserve‘ in die Betrachtung einbeziehen muss, um das gesamte Problem [der Arbeitslosigkeit] richtig abschätzen zu können“.

Auch darüber lesen wir bei SPIEGEL Online kein Sterbenswörtchen.

Das einzig Sinnvolle wäre also, den ganzen Zahlenschmarn der Agentur für Arbeit als das zu benennen, was er ist: pure Trickserei und Schönfärberei. Und anstatt – wie es der SPIEGEL tut – den Zahlenbetrug ernst zu nehmen, sollte konsequent nur noch das wahre Ausmaß der Arbeitslosigkeit veröffentlicht werden. So wie es zum Beispiel die „Petition für eine ehrliche Veröffentlichung der Arbeitslosenzahlen“ im Sinn hat.

 

7 Kommentare zu “Wie SPIEGEL Online den Schmu mit den Arbeitslosenzahlen kolportiert”

  1. Michael Mugge sagt:

    Na, ist doch klar: Bild und Spiegel kommen aus dem selben Stall. Beim Spiegel wird das ganze natürlich noch ein bisschen netter verpackt, die Bild packt halt noch ein paar Brüste auf die erste Seite, aber letztendlich ist es doch der gleiche Käse, der drinnen steht. Man kann überhaupt nicht mehr von einem Nachrichtenmagazin sprechen, es ist ein Meinungs-Mache-Magazin.

    Der Artikel zur ‚deutschen Queen‘ Merkel war noch der Oberhammer, der war der Witz des Jahres.

  2. Spiegel-Illu sagt:

    … bemerkenswerter Weise ist der hier besprochene Spiegel-Online-Artikel nach Veöffentlichung des SPIEGELblog-Beitrags von der zweiten Aufmacherposition auf der Website ins „Nirvana“ verschwunden. Sprich, wenn man jetzt auf http://www.spiegel.de geht, so findet man ihn auf der Websiteoberfläche nicht mehr – was absolut außergewöhnlich ist für einen Beitrag, der zuvor so gehypt wurde. Nur wenn man explizit im Suchfeld nach dem Artikel sucht, findet man ihn noch.

  3. Kapitalinkompatibel sagt:

    Es gibt 7.948.681Leistungsempfänger von ALG I, ALG II und Sozialgeld BA Bericht April 2009 Seite 48.

    Arbeitsmarkt April 2009:

    Arbeitslose:

    Der BA Monatsbericht berichtet trotz Frühjahrsbelebung von einer Stagnation – 985 Personen der statistisch erfassten Arbeitslosigkeit 3.584.826 Personen. Im Vorjahr 2008 sank die Zahl der Arbeitslosen von März 2008 3.507.436 Arbeitslose zu April 2008 3.413.921 Arbeitslose
    um – 93.515 (/Seite 45 BA Bericht März 08/Seite 46 BA Bericht April 08)
    Laut BA Bericht wurden im April 09 (Seite 48) 3.585.811 Personen von der BA – Statistik als arbeitslos erfasst. Das waren 170. 905 Personen mehr als im April 09 und gegenüber November 2008 2.988.444 Personen ist das ein Anstieg von 596.382 Personen.

    Leistungsempfänger: (ALG I; ALG II; Sozialgeld)

    7.948.681Leistungsempfänger von ALG I, ALG II und Sozialgeld BA Bericht April 2009 Seite 48. Das ist ein Anstieg von 30.039 Personen zum Vormonat. Im Vergleich zu November 08 im Vergleich der vorläufige Zahlen, einen Anstieg um 549.370 Leistungsempfänger.

    (BA Bericht November 7.399.311 Leistungsberechtigte im BA Bericht März 09 auf 7.542.787 Leistungsberechtigte korrigiert)

    Außer den Leistungsempfängern gab es im Dezember noch 357.000 Arbeitslose, die im Berichtsmonat keine Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung oder der Grundsicherung bezogen. (BA Bericht März 2009 Seite 18)

    Kurzarbeit:

    Schlimmeres verhindert im Augenblick noch die Kurzarbeit,. Nach vorläufigen Berechnungen der BA waren davon im April 1,3 – 1,5 Millionen Personen betroffen.

    Arbeitsmarktpolitische Instrumente

    Mit Beginn des Jahres 2009 ist eine weitere Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, das „Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente“, in Kraft getreten. Im Monat April befanden sich 1,59 Mio ( + 10.000 zum Vormonat März) Personen in einer von Bund oder Bundesagentur für Arbeit geförderten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme. (Seite 6 BA Bericht April 2009)

    Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB II (1 € Jobs) 303.339 Personen

    Quelle: http://forum.attac.de/viewtopic.php?f=1&t=6073&sid=29afe0ee3f4976519b82548e03dff356&start=195

  4. ericdanone sagt:

    Es ist schwer eine für jedermann richtige Maßzahl der Arbeitslosigkeit zu finden, die gleichzeitig gut messbar ist. Schaut man sich die europäische Zahlart an, wird man mit der deutschen jedoch hoch zufrieden sein.

    Unbestritten wirft die Änderung der Zählweise, indem nun von Dritten betreute Arbeitslose nicht mehr von der Statistik erfasst werden, ein schlechtes Licht auf die Arbeitsverwaltung. Weniger problematisch sind die tatsächlichen Zahlen, die wohl wohl im niedrigen fünfstelligen Bereich liegen. Vielmehr ist es die Tatsache, dass eine Statistik willkürlich geschönt wird. Eine Maßnahme, die sonst nur in totalitären Systemen zu finden ist.

    Dennoch sollte man Arbeitslosenzahl und Zahl der Leistungsempfänger strikt voneinander trennen. Bezieher von ALG2 sind nämlich auch: Aufstocker, die häufig nur 400-Euro-Jobs nachgehen, Mütter mit kleinen Kindern, Personen, die nahe Angehörige pflegen, sowie die Kinder der Leistungsempfänger. Das heißt, es sind hier Personen enthalten, die schon erwerbstätig sind oder aber solche, die für den Arbeitsmarkt überhaupt nicht zur Verfügung stehen. Nicht in der Arbeitslosenzahl enthalten sind dagegen, Arbeitslose mit Sperrzeiten und Arbeitslose die keinen Anspruch (mehr) auf Arbeitslosengeld (I) haben und wegen eigenen Vermögens nicht hilfebedürftig sind.

    Insofern bringt auch Spiegelblog leider nur einen Teil der Wahrheit.

  5. Spiegel-Illu sagt:

    @ericdanone

    Es gibt überhaupt keinen Grund, die Zahl der Leistungsempfänger von derzeit knapp 6 Millionen Menschen in irgendeiner Weise zu zerrupfen. Zumal ja, wie in dem Blog-Beitrag auch erwähnt, nicht nur die Stille Reserve, sondern auch das Heer an Kurzarbeitern von (derzeit mehr als 1 Millionen) nicht in den knapp 6 Millionen drin sind. Kurzarbeiter sind aber nichts als arme Würste – und es ist eine Schande für ein so reiches Land wie Deutschland, dass es sich überhaupt Kurzarbeiter, um nicht zu sagen morderne Sklaven leistet.

    Letztlich geht es doch darum, das Ausmaß des Arbeitsmarktelends klipp und klar zu erfassen. Und da ist es einfach nur pervers, von derzeit knapp 3,5 Arbeitslosen zu reden, wie es auch der Spiegel tut. Diese Zahl ist von ernormer psychologischer Wichtigkeit. Wenn nämlich über die Medien berichtet würde, dass rund 6 Millionen Menschen oder gar noch mehr vom Arbeitsmarktelend zentral betroffen sind, so stünde die Bundesregierung endlich dort, wo sie hingehört: am Versagerpranger.

    Es gibt nur einen Weg, gute Arbeitsmarktpolitik zu machen: radikale Umverteilung von oben nach unten – am besten weltweit. Und dazu müssten v.a. die Großkonzerne und Finanzspekulanten hart an die Steuerhand genommen werden. Ein großes Unterfangen. Doch nicht einmal wird offensiv darüber in der Bundesregierung geredet… Statt dessen wird nur immer wieder gebetsmühlenartig davon geredet, wir brauchen Wirtschaftwachstum. Doch seit Jahrzehnten haben wir Wirtschaftwachstum – und doch liegt die Arbeitslosenzahl heute um ein Vielfaches über dem Niveau der 1970er Jahre.

  6. Kapitalinkompatibel sagt:

    Leute die Aufstocken stehen sehr wohl dem Arbeitsmarkt zu Verfügung. Solange man keinen vollen Job hat wird man auch weiterhin zum Teil aggressiv von den Argemitarbeitern angegangen, sich einen vollwertigen Job zu suchen.

    Und was heisst hier “ Statistik Fälschungen gibt es sonst nur in totalitären Systemen „? Meinst Du nur weil der unliebsame Urnenpöbel alle paar Jahre sein Kreutzchen irgendwo hinmachen würde, wäre hier ein System, indem kein kleiner Kreis der Eliten den Ton angibt ? Wir leben in einer Diktatur des Kapitals.

    Ich würde fast behaupten, das Diktaturen sogar noch ehrlicher sind als die sogenannten westlichen Demokratien. Da sieht alles freundlich und bunt aus, ist es aber nicht.

  7. berlin.mart sagt:

    man durfte keine kommentare in der startseite mehr geben. sie wurden untersagt.
    der spiegel hat recht. die statistik stimmt nicht. wie der gesamte schwindel, den man uns unterjubelt zeigt, werden wir gnadenlos abgkassiert. fragen sie bitte, wie sollen denn die vielen nebenjobs verdiener später ohne eine rente leben??? wer zahlt noch was ein. oder es sind nur aushilfskräfte, die später in armut leben werden.
    niemand versteht scheinbar die gefahr, in der uns der staat führt. die machen heute ihr geld, später ist denen egal. beispiel: warum wird der strompreis wieder angehoben. sie haben doch schon soviel milliarden überschuss gemacht. nicht mehr fragen, sondern handeln. sind wir in deutschl. nur noch Tiere. die sich nicht mehr zu wehren wissen…

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